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Auf der Jagd nach Süssem

Vor der Erfindung von raffiniertem Zucker aus Zuckerrohr oder Zuckerrüben gab es nur wenige Möglichkeiten, die Geschmacksrichtung „süss“ zu erleben. Dazu gehörten süsslich schmeckende Pflanzen wie die Blüten von Holunder oder Mädesüss, eingekochte Früchte oder Fruchtsäfte und vor allem: Honig.

Honig war schon vor der Pfahlbauzeit ein beliebter Süssstoff. Eine 12’000 Jahre alte Höhlenmalerei in Spanien zeigt eine Frau bei der Jagd nach dem flüssigen Gold bei einem Nest in einer hochliegenden Baumhöhle oder einer Felsspalte. Solche wetter- und winterfesten Hohlräume sind bevorzugte Nistplätze der in Nordeuropa heimischen Wildbienen.

Umzeichnung der mittelsteinzeitlichen Felszeichnung einer Honigjägerin, die ein Bienennest ausbeutet. Cuevas de la Araña, Spanien. Umzeichnung nach Foto

Aber man muss nicht schwindelfrei sein, um an honiggefüllte Bienenwaben zu gelangen. Man kann einen hohlen, von einem Bienenvolk bewohnten Baumstamm abhacken und ihn an einem günstigen Standort nahe beim Dorf wieder aufstellen. Ein solches Vorgehen ist noch aus historischer Zeit für unsere Breitengrade überliefert und wird als Übergang zur eigentlichen Bienenhaltung – der Imkerei – als Zeidlerei bezeichnet.

Bienen ein Zuhause bieten

Einen hohlen Stamm als Bienenbehausung kann man auch einfach selbst herstellen: Man höhlt einen geeigneten Stammabschnitt bis auf eine Wandstärke von wenigen Zentimetern aus, stellt ihn auf einen ebenen Untergrund und deckt ihn mit einem Brett oder Stein ab. Ein Flugloch nicht vergessen, vielleicht ein paar Holzstöcke quer einbringen, um den Wabenbau zu erleichtern, und schon können Honigliebhaber*innen ein eingefangenes Bienenvolk darin einquartieren.

Solche Bienenunterkünfte werden als Klotzbeuten bezeichnet. Wie die heutige Haltung von Bienenvölkern zeigt, stellen die Bienen geringe Anforderungen an die Form einer solchen Behausung. Voraussetzungen, dass sich ein Bienenvolk wohlfühlt, sind ein Standort an einem gut geschützten, trockenen Platz und ein Volumen von mindestens 40 Litern. Das Bienenvolk mit etwa 50’000 Mitgliedern – neben der Königin und hunderten Drohnen mehrheitlich Arbeitsbienen – baut in den Hohlraum ihren Stock aus mehreren senkrechten Wabenwänden. Die wiederum bestehen aus den typischen sechseckigen Zellen aus Wachs, den die Arbeiterinnen aus Wachsdrüsen am Hinterleib produzieren. Wabenzellen dienen der Brutaufzucht und der Lagerung von Vorräten, wie eben dem köstlichen Honig.

Holzschnitt mit der Darstellung zweier Klotzbeuten aus dem „hortus sanitatis“ von 1491. CC Jacob Meydenbach
Ein Baumstamm wird mit Hilfe von Feuer ausgehöhlt. © Pfahlbau Dingelsdorf

Die genügsame Honigbiene

Nördlich der Alpen war ursprünglich die Dunkle Europäische Biene (Apis mellifera mellifera) beheimatet. Den Namen verdankt sie der dunklen Färbung ihres Panzers. Sie gilt als genügsame und winterharte Rasse. Die dunkle Honigbiene lebt zwischen Pyrenäen und Ural, und es werden einzelne ortstypische Arten wie die Alpenbiene unterschieden. Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts waren etwa die Hälfte aller Bienen in der Schweiz dunkle Honigbienen. Seither gelten sie als gefährdet, weil sie vor allem von der Carnica-Biene (Apis mellifera carnica) verdrängt wurden, die grössere Honigerträge liefert.  

Honigbienen erzeugen Honig zur eigenen Nahrungsvorsorge aus dem Nektar von Blüten und Honigtau. Mit diesen Nahrungsreserven bauen sie ihren Stock aus. Bei der dunklen Biene ist diese Volksentwicklung eher langsam und erreicht erst im Juni den Höhepunkt. Honig kann man erst ab dann ernten. Danach kann man Honig gut lagern, solange man ihn dunkel, kühl und trocken aufbewahrt.

Dunkle Honigbiene (Apis mellifera mellifera). CC Zeynel Cebeci

Klotzbeuten liefern Beweise

Dass in den Pfahlbauten Honig konsumiert wurde, halten wir für sehr wahrscheinlich, die Verwendung von Bienenwachs ist sogar erwiesen. Der Nachweis von Bienenhonig oder gar Bienenhaltung ist allerdings schwierig. In einigen jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlungen aufgefundene hohle Baumstämme oder Holzröhren werden als Klotzbeuten interpretiert. In keiner fanden sich aber Waben-, Brut- oder Bienenreste, die eine sichere Identifikation als Bienenunterkunft ermöglichen würden. Für einen Stammabschnitt aus der Grabung bei Zürich Parkhaus Opéra (CH) konnte man aber zumindest die Anhaftung von Wachs nachweisen.

Zwei weitere Röhren stammen von Arbon-Bleiche 3 (CH). Die kleinere hatte eine Höhe von 40,5 cm und einen Durchmesser von 17 cm: Man fand sie senkrecht in der Kulturschicht steckend und einseitig abgewittert, was belegt, dass sich dieser Teil über eine längere Zeit an der Oberfläche befand. Allerdings ist diese Röhre für ein Bienenvolk eher klein, wie heutige Experimente gezeigt haben. Ein exakter Nachbau in der Zeiteninsel Marburg war innert einem Monat mit Waben überfüllt. Vielleicht war diese Raumenge gezielt gesucht: Hat ein Volk zu wenig Platz, produziert es eine neue Königin und der Schwarm teilt sich, man verdoppelt also das Bienenvolk. Der zweite ausgehölte Baumstamm von Arbon mit einer Länge von 91 cm und einem Durchmesser von 40 cm hat für eine eigentliche Klotzbeute schon eher die richtige Grösse. Beide Stammabschnitte wurden in 2 Meter Entfernung bei einem kleinen Platz innerhalb der Siedlung aufgefunden.

Klotzbeute aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG
Das Pfahlbaumuseum Dingelsdorf experimentiert mit Klotzbeuten. © Pfahlbau Dingelsdorf

Eine richtiggehende Bienenzucht ist spätestens ab der Bronzezeit anzunehmen. Neben Honig benötigte man ab dieser Zeit auch eine grössere Menge an Wachs. Komplexe Bronzegegenstände wurden nämlich im Wachsausschmelzverfahren hergestellt: Man verkleidet ein Wachsmodell mit Ton, brennt es, schmilzt dabei das Wachs aus und füllt im Anschluss den Hohlraum mit flüssiger Bronze.

Heilmittel, Doping und Nektar der Götter

Bei Halsschmerzen hilft ein Löffel Honig im Tee; wenn man nicht einschlafen kann, warme Milch mit Honig – die heilende Wirkung von Honig ist uns allen durch solche Hausmittelchen bekannt. Tatsächlich hemmen im Honig enthaltene Enzyme Entzündungen, weshalb man ihn nicht nur zur Behandlung von Halsschmerzen, sondern auch von Magen- oder Darmreizungen und sogar zur Wundheilung verwenden kann. Honig ist ein natürliches Antibiotikum, welches das Wachstum von Bakterien nachweislich hemmt – solange er nicht über 40 Grad erhitzt wird, sonst verliert er seine antibakterielle Wirkung!

Bereits die alten Griechen nutzten Honig in der Medizin: Hippokrates empfiehlt Honigsalben als Fiebersenker, Galen therapierte mit Honig Darmleiden und Vergiftungen. Darüber hinaus solle die tägliche Einnahme von Honig mit Nüssen die Jugendlichkeit erhalten, und Honigwasser wurde als erstes Dopingmittel bei den antiken olympischen Spielen eingesetzt. Und schliesslich waren Nektar und Ambrosia (Honig) die Nahrung, die den Göttern zu ihrer Unsterblichkeit verhalfen.

Westliche Honigbiene (Apis mellifera carnica).

Mit Honig kann man übrigens auch Alkohol herstellen: Fügt man ihm mehr als eine Viertel seiner Menge an Wasser zu, beginnt er zu gären und riecht wie Bier nach Hefe. Es entsteht Honigwein, besser bekannt als Met. Ob die Pfahlbauer*innen diesen schon genossen, ist uns aber nicht bekannt.

Portrait Simone Benguerel

Archäofacts

Leuzinger, U. (2002) Holzartefakte. Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon-Bleiche 3, Funde, Archäologie im Thurgau 11 (Frauenfeld) 112–113.

Giess, H./Zorn, Ch./Zorn, K. (2019) Prähistorische Bienenhaltung in hohlen Baumstämmen. Experimentelle Archäologie in Europa 18, 2019, 82-94.
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Experimentelle Bienenhaltung in Klotzbeuten im Pfahlbaumuseum Dingelsdorf.

Making of

Auf den Fotos zu unseren Rezepten sind modernes Geschirr und originalgetreue Repliken friedlich vereint. Während wir uns bei den Blogbeiträgen strikt an die Archäofacts halten, verwenden wir für die Rezepte bewusst foodfoto-taugliches Geschirr von heute neben handgetöpferten Schalen, gebrauchen sowohl den Stabmixer als auch den Holz-Quirl und kochen mit orangen Karotten aus dem Supermarkt oder frisch ausgegrabenen Wilden Möhren. Wie für die Koch-Challenges gilt: Erlaubt sind Lebensmittel, welche die Pfahlbauer*innen der Jungsteinzeit und Bronzezeit kannten. Für deren Zubreitung kann jedoch gerne der Dampfgarer, die Flotte Lotte oder der Gemüsehobel zum Einsatz kommen. Damit wollen wir die Rezepte alltagstauglich machen und dazu animieren, neue „alte“ Zutaten zu entdecken und daraus selber leckere Gerichte zu zaubern.

Dennoch geht nichts über einen Linseneintopf mit zart geschmortem Rindfleisch, der stundenlang auf niedrigem Feuer in einem Tontopf gegart hat. Die rauchige Geschmacksnote bringt kein Schnellkochtopf der Welt hin. Deshalb verwenden wir bei unseren gemeinsamen Koch- und Fotoevents mit Vorliebe Repliken pfahlbauzeitlichen Geschirrs. Die Töpfe, Schüsseln und Krüge haben wir selbst gemacht oder von einem Töpfer anfertigen lassen. Heute möchten wir dir einen Blick in unseren speziellen Repliken-Geschirrschrank gewähren.

Für die Foodfotos verwenden wir sowohl modernes Geschirr als auch Repliken und verarbeiten neuzeitliche Zuchtformen von Gemüse und Obst neben alten Kultursorten und Wildpflanzen.
Abgesehen vom maschinell zerkleinerten Feuerholz hätte eine Kochstelle vor rund 5500 Jahren so aussehen können. Hier bereiten wir den Wassernuss-Eintopf und Steckerlfisch zu.

Kochen im Tontopf will geübt sein

Noch heute steht in mancher Rezeptanleitung: „Auf kleiner Flamme köcheln“. Auch wer keinen Gasherd besitzt, weiss, was damit gemeint ist. Beim Kochen auf dem Feuer nehmen wir die Anweisung wörtlich und legen nur wenig Holz nach. Dennoch braucht es etwas Übung, damit die Milch nicht überkocht und das Fladenbrot nicht verkohlt. Noch weniger gewohnt sind wir Menschen von heute den Umgang mit Kochgeschirr aus Ton. Die nach Funden aus Pfahlbausiedlungen nachgeformten Töpfe sind nicht so hart gebrannt wie die Steinzeug-Gratinform, der Römertopf oder die Tajine. Sie wollen deshalb pfleglich behandelt werden. Wer keine Scherben riskieren möchte, greift den Topf niemals am Rande, sondern umfasst ihn stets mit beiden Händen, giesst keine kalte Flüssigkeit in einen aufgeheizten Topf und schlägt den Kochlöffel nicht wie gewohnt am Rande ab. So kann man damit so manches Gericht zubereiten, bevor der Topf irgendwann doch zu Bruch geht. Der Vorteil der Tontöpfe? Sie speichern die Hitze lange: Ein dickwandiger Horgener-Topf köchelt selbst in erkaltender Glut noch ewig weiter.

Der Wassernuss-Eintopf köchelt auf kleiner Flamme.

Geliebte Speisekrusten

Künftige Archäolog*innen hätten ihre helle Freude an den Speisekrusten, die wir in unseren Kochtöpfen produzieren. Aus deren Zusammensetzung könnte man noch Jahrtausende später rekonstruieren, was wir darin zubereitet haben. Wir möchten die Töpfe jedoch weiterverwenden und (noch) nicht der zukünftigen Wissenschaft spendieren. Deshalb ist es unsere grosse Challenge, die Pötte wieder sauber zu kriegen. Lange einweichen unter Zugabe von Pottasche, schrubben mit einer Wurzelbürste und etwas Toleranz bei hartnäckigen Krusten haben sich bewährt. Soll der Topf nicht gleich wiederverwendet werden, muss er raus an die Sonne und ordentlich durchtrocknen (bei Regenwetter kann der Backofen herhalten).

Eingebrannte Milch von der Frischkäsezubereitung.
Die Eintopfreste haften hartnäckig im Tongefäss.

Backteller – unser favorisiertes Küchenzubehör

Zwischen 4400 und 3500 v. Chr. waren runde Tonplatten in Mitteleuropa en vogue. Über die Verwendung dieser sogenannten Backteller sind sich die Archäolog*innen uneins. Wir finden: Sie eignen sich ausgezeichnet für die Zubereitung von Fladenbrot, fruchtigen Wähen oder Pfahlbaupizzas. Selbst ein einfacher Kuppelbackofen für Pfahlbauerbrötchen lässt sich damit bauen. Die dicken Tonplatten speichern Hitze erstaunlich gut. Einmal aufgewärmt reicht es aus, sie in schwach glimmende Glut zu legen, um Teige knusprig zu backen.

Originaler Backteller von der Fundstelle Wilchingen-Flühhalde (CH).
Nach Vorlagen aus Thayngen-Weier (CH) gefertigte Backteller.
Das Backen von Fladenbrot auf Backtellern will geübt sein.
Der Pizzateig wird auf der Backplatte richtig schön knusprig.
Mit einem Backteller und einer aufgestülpten Schale ist schnell ein Kuppelbackofen gebaut. Darin backen die Brötchen für den Mehlwurm-Burger.

Holzgeschirr

Geschirr aus Holz wie Löffel, Schalen und Schüsseln, spielten in der Jungsteinzeit und Bronzezeit neben dem Tongeschirr eine grosse Rolle. Dank der guten Erhaltungsbedingungen blieben sie in den dauerfeuchten Kulturschichten der Pfahlbaufundstellen erhalten. Ein beliebtes Requisit für unsere Foodfotos sind daher Holzlöffel und Schalen, die wir selbst geschnitzt oder uns von einem Drechsler haben anfertigen lassen.

Mit modernem Werkzeug stellen wir eine Replik einer Holzschüssel aus Thayngen-Weier (CH) her.
Die Schüssel eignet sich zum Teig kneten, zum Anrichten von Speisen oder als Essschale.
Gebratener Saibling mit Pastinaken-Hirse, in einer Holzschale appetitlich angerichtet.

Sinn für Geschmack

Neben dem unvergleichlichen Geschmack, den ein im Tontopf zubereitetes Gericht erhält, beeindruckt uns das Geschirr der Steinzeit und Bronzezeit stets auch durch seine Ästhetik. Bei den Kochtöpfen folgt die Form der Funktion; Verzierungen sind selten. Becher, Schalen und Schüsseln, aus denen die Pfahlbauer*innen gegessen und getrunken haben, sind aber oftmals elegant geformt und mit Ritzlinien, Knubben oder gar Brüsten verziert. Wir meinen: Wer aus solchem Geschirr gegessen hat, legte auch Wert auf geschmackvolle Speisen. Nicht zuletzt das hat für uns den Ausschlag gegeben, den Foodblog PalaFitFood ins Leben zu rufen.

Repliken jungsteinzeitlichen Geschirrs aus Ton und Holz sowie Birkenrindengefässe.
Spätbronzezeitliches Geschirr (hier Repliken) ist wunderschön anzuschauen. Auch Daubengefässe (hinten) kannte man damals schon.
Portrait Katharina Schäppi

Links

Ein Teil der Löffel und Holzschalen auf unseren Foodfotos hat Wolfgang Potocki, Taching am See (D) hergestellt.

Einige der Keramikrepliken hat Stefan Jakob, Zürich (CH) gefertigt.

Behind the scenes

Wir gönnen uns eine kreative Pause, um neue Blogbeiträge zu verfassen und uns Rezepte auszudenken.

Ein Teil der Foodfotos entsteht bei gemeinsamen Kochevents, bei denen alle ihre Zutaten mitbringen und daraus über dem Feuer köstliche Gerichte zaubern. Es ist jedesmal ein Festschmaus, an dem wir abends pappsatt sind, nach Rauch riechen und einen Berg Geschirr abzuwaschen haben.

Tausche Nomadentum gegen Karies

Regional, saisonal, Bio, ungesättigte Fettsäuren, Vollkorn, unverarbeitete Lebensmittel, wenig Salz und Zucker. Wie aus dem Lehrbuch für gesunde Ernährung klingt der Speiseplan der Pfahlbauer*innen – auf den ersten Blick.

Als vor mehr als 10´000 Jahren Menschengruppen im Vorderen Orient damit begannen, ihre wichtigsten Sammelpflanzen nicht nur zu pflücken, sondern sie wieder auszusäen und einzulagern, leiteten sie eine der bedeutendsten Veränderungen in der Menschheitsgeschichte ein – den Übergang vom nomadischen Leben als Jäger*in, Fischer*in und Sammler*in zum Leben als sesshafte Bauern. Ohne Ackerbau und Viehzucht wäre die ganze weitere Entwicklung unserer Spezies nicht möglich gewesen. Keine Städte, keine Hochkulturen, keine Schrift, keine Industrialisierung. Für diese Errungenschaften bezahlten und bezahlen die Menschen mit ihrer Gesundheit.

Kleine Pfahlbauer*innen

Unser Skelett verrät viel über unsere Lebensweise. Nicht nur, wie gross, wie alt und welchen Geschlechts wir sind, sondern auch, wie hart wir körperlich arbeiten oder wie wir uns ernähren.  Anthropolog*innen (Spezialist*innen für menschliche Knochen) können diese Aussagen auch für archäologische Knochen treffen und so neben individuellen Lebensgeschichten unter anderem den gesundheitlichen Zustand einer früheren Gesellschaft, die Lebenserwartung oder die durchschnittliche Körpergrösse ermitteln. Aus der Zeit der Pfahlbauer*innen sind nur wenige Skelette erhalten. Vereinzelt finden Archäolog*innen in Pfahlbaufundstellen Knochen ertrunkener Menschen. Ötzi, die 1991 in den Südtiroler Alpen gefundene Gletschermumie ist ein Glücksfall für die Forschung, da die Leiche mitsamt Haut, Haaren und Organen erhalten blieb. Eigentliche Gräber, wie wir sie aus anderen Epochen zuhauf kennen, sind selten. In Oberbipp (CH) entdeckte man 2011 ein Dolmengrab (ein aus Steinblöcken errichtetes Grab) mit Knochen von insgesamt 42 Toten aus der Zeit um 3200 v. Chr. Im Kanton Schaffhausen (CH) und dem angrenzenden Süddeutschland bestatteten die Hinterbliebenen ihre Toten im 4. Jahrtausend v. Chr. in Höhlen und unter Felsvorsprüngen. Als Forscher im 19. Jahrhundert die Skelette entdeckten, fiel ihnen die geringe Körperhöhe von rund 155 bei den Erwachsenen auf. Sie bezeichneten diese Individuen als „Pygmäen“ und hielten sie für einen speziellen Menschenschlag.

Bestattungsszene beim Schweizersbild-Felsen, Kanton Schaffhausen (CH). © KASH

Auf Augenhöhe mit der Altsteinzeit

Die jungsteinzeitlichen Schaffhauser*innen waren demnach auffallend klein. Ebenso Ötzi mit seinen knapp 160 cm. Und auch die Oberbipper*innen brachten es gerade mal auf 154 bis 157 cm Körpergrösse. Dass die Menschen früher kleiner waren, haben wir in der Schule gelernt. Weshalb das so ist, war wohl weniger Thema und auch nicht die Tatsache, dass wir mit den Menschen der Altsteinzeit fast auf gleicher Augenhöhe sind. Erst nach dem Übergang zur sesshaften Lebensweise und damit dem Beginn der Jungsteinzeit schrumpften die Neubauern und -bäuerinnen regelrecht. Woran liegt das? Die Körpergrösse ist zum einen genetisch vorbestimmt, zum anderen durch die Lebensumstände in der Kindheit beeinflusst. Die ererbte Körperhöhe wird nur erreicht, wenn ein Mensch während des Wachstums ausreichend ernährt ist, nicht zu viel körperlich arbeiten muss und keine schweren Krankheiten erleidet. Dies war den Jungsteinzeitler*innen offenbar nicht vergönnt.

Demgegenüber sind heutzutage sowohl Menschen wie Tiere in den westlichen Gesellschaften alle sehr gut – manchmal zu gut – „ausgefüttert“. In Kombination mit weniger harter körperlicher Arbeit und moderner Medizin sind deshalb sowohl die Körpergröße wie auch die Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren stark gestiegen.

Entwicklung der Körpergrösse im östlichen Mittelmeerraum von der Altsteinzeit bis heute. © Our world in data

Knochen lügen nicht

Das neolithische Lebensmittelpaket, welches die erste Ackerbäuer*innen und Viehzüchter*innen vor rund 7000 Jahren nach Mitteleuropa mitbrachten, enthielt nur wenige Kulturpflanzen und Nutztiere: Drei bis vier Sorten Getreide, Erbse, Lein, Mohn, Schwein, Schaf, Ziege und Rind. Wenn die frühen Bauern sich vor allem davon ernährt haben, war das eine deutliche Verschlechterung der Ernährungssituation im Vergleich zum Leben als Wildbeuter, mit direkten Auswirkungen auf die Gesundheit. Das Essen war einseitiger und es beruhte vor allem auf Getreideprodukten. Es enthielt weniger Vitamine und Fette, im schlimmsten Fall fehlte sogar Eiweiss. Die Mangelernährung bzw. das Fehlen einzelner wichtiger Nahrungsgruppen manifestiert sich an den Skeletten, vor allem, wenn sie im Kindesalter auftritt. Schmelzhypoplasien (Defekte am Zahnschmelz) oder Harris-Linien (unterschiedliche Knochendichte durch kurzzeitige Veränderungen im Knochenwachstum) in den Bein- und Armknochen zeigen Phasen an, in denen ein Kind so schlecht ernährt war, dass Zähne und Knochen nicht ordentlich wachsen konnten. Viele urgeschichtliche Schädel weisen im Dach der Augenhöhlen eine poröse Knochenstruktur auf. Diese sogenannte „cribra orbitalia“ ist auf Blutarmut durch Eisenmangel während der Kindheit zurückzuführen. Die Ursachen sind Mangelernährung und zu wenig energie- und proteinreiche Kost in der Wachstumsphase.

Kohlenhydrate befeuern das Bevölkerungswachstum

Wenn die Energie liefernden Kohlenhydrate vor allem von selbst angebauten Pflanzen stammen, kann man sehr viel mehr Menschen pro Fläche ernähren als bei einer sammelnden und jagenden Lebensweise, bei der weniger Kohlenhydrate, dafür aber viel mehr tierische Produkte verzehrt werden. Dementsprechend stieg die Bevölkerungszahl mit dem Beginn der Sesshaftigkeit markant an. Die Kulturpflanzen dienten damals weniger dem Frischverzehr, sondern der Bevorratung. Das kargere Nahrungsangebot im Winter konnte so überbrückt werden. Bei Missernten oder Schädlingsbefall der Vorräte drohte deshalb rasch ein Engpass in der Versorgung. Entsprechend schwankte die Bevölkerung stark und nahm insgesamt während des Neolithikums kaum mehr zu.

Getreide liefert Kohlenhydrate. Ein reifendes Dinkelfeld.

Kinder am Laufmeter

Mehr Menschen heisst, mehr Geburten. In der Jungsteinzeit brachten junge Frauen mit 12 bis 15 Jahren ihr erstes Kind zur Welt. Ab dann ging es weiter mit dem Nachwuchs, im Jahres- oder Zweijahrestakt, sofern die Mütter nicht bei einer Geburt starben. Das Kindbettfieber – Infektionen, die nach der Entbindung oder durch eine Fehlgeburt auftreten – raffte noch bis in die nahe Vergangenheit so manche Mutter dahin. Die Lebenserwartung der Frauen war deshalb deutlich geringer als jene der Männer und auch niedriger als die der nomadisierenden Vorfahrinnen, die nur rund alle vier Jahre ein Kind gebaren. Die Milchmädchenrechnung ergibt eine doppelt so hohe Gefahr, bei der Geburt zu sterben und eine doppelt so hohe Belastung für den Körper der Frauen. Dies wirkte sich z. B. auf die Zähne aus, die bei Frauen häufiger von Karies befallen waren als bei Männern. Jedes Kind kostet einen Zahn, besagt eine alte Volksweisheit, da werdende Mütter besonders anfällig für Karies und Zahnfleischerkrankungen sind.

Auf dem Zahnfleisch gehen

Bleiben wir beim Thema Zahngesundheit. Zucker ist schlecht für die Zähne, das lernt heute jedes Kind. Die Karies hielt jedoch schon lange vor der Einführung des weissen Zuckers Einzug in unserem Gebiss. Selbst in der Altsteinzeit waren die Menschen nicht davor gefeit. Aber seitdem das tägliche Brötchen auf den Tisch kam, beziehungsweise seit mit dem Getreide sehr kohlenhydratreiche Nahrung Einzug in unseren Speiseplan hielt, führten die Kariesbakterien ein besseres Leben. Aus dem Zucker des Getreidebreies bilden die Bakterien Säure, welche den Zahnschmelz angreift. Gleichzeitig hatten die Pfahlbauer*innen dem Brot zu verdanken, dass die Zahnfäule nicht allzu arg grassierte: Die feinen Steinpartikel, die beim Mahlen des Getreides auf Steinplatten in den Teig gelangten, schmirgelten die Zähne und die krank machenden Zahnbeläge laufend wieder ab. Das wiederum führte dazu, dass mit zunehmendem Alter die Zähne regelrecht abgekaut waren und so manche Pfahlbauer*in beim Lächeln nur noch kleine Stummel präsentierte.

Die Brötchen der Pfahlbauer*innen enthielten abrasive Steinpartikel vom Mahlen.

Genmutation durch Ackerbau und Viehzucht

Selbst abgekauten Zähnen vermögen Forscher*innen noch viele Informationen zu entlocken. Wenn wir uns heute auf dem Stuhl der Dentalhygieniker*in den Zahnstein bis in den hintersten Winkel unseres Gebisses entfernen lassen, vernichten wir damit einen Datenspeicher unserer individuellen Ernährung. Im Zahnstein kann unter anderem ein Milchsäure-Protein enthalten sein, anhand dessen wir als Milchtrinker*in im Erwachsenenalter identifiziert werden können. Forscher*innen untersuchten den Zahnstein archäologischer Skelette und fanden dieses Protein bis zurück in die Zeit um 3000 v. Chr.  Damals begann sich eine Genmutation durchzusetzen, die auch Erwachsenen die Verdauung von Milchzucker ermöglichte. Die lactosetoleranten Milchtrinker*innen hatten offensichtlich einen evolutionären Vorteil. Die Milch von Kühen, Schafen und Ziegen liefert Fette, Proteine, Vitamine und Mineralstoffe. Sie ist eine Art „sauberes Wasser“, was angesichts der bereits damals existierenden Wasserverschmutzung durch die Menschen der Gesundheit zugutekam. Weitere Genmutationen, die Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel hatten, boten den Vorteil einer verbesserten Vitamin D-Aufnahme. Die ebenfalls genetisch bedingte Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) ist vereinzelt archäologisch nachweisbar, kommt aber offenbar erst in jüngerer Zeit vermehrt vor.

Wer Milch auch als Erwachsener vertrug, hatte Vorteile.

Wir sind, was wir essen. Das gilt damals wie heute. Die fundamentale Ernährungsumstellung durch den Übergang zu einer sesshaften Lebensweise blieb nicht ohne Konsequenzen. Selbst wenn die Pfahlbauer*innen aus heutiger Sicht viele Regeln einer gesunden Ernährung befolgten, war ihr Speiseplan dennoch einseitig, was sich auf Knochen, Zähne und sogar das Erbgut niederschlug. Paläodiät oder PalaFitFood? Wir haben heute die Qual der Wahl. Dank fortwährender genetischer Anpassung und dem modernen Wissen um eine ausgewogene Ernährung, wären wir heute in der Lage, so manche Zivilisationskrankheit, die sich durch die Sesshaftigkeit einstellte, zu vermeiden.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

Archaeofacts

Doyle, C. (2017) Der Wandel, der vom Acker kam. MaxPlanckForschung Heft 2/2017, 27-33.
https://www.mpg.de/11383643/F002_Fokus_026-033.pdf

Larsen, C. S. (2006) The agricultural revolution as environmental catastrophe: Implications for health and lifestyle in the Holocene. Quarternary International 150, 2006, 12-20.
DOI: doi.org/10.1016/j.quaint.2006.01.004

Lösch, S./Siebke, I./Furtwängler, A. et al. (2020) Bioarchäologische Untersuchungen der Knochen aus dem Dolmen von Oberbipp, Steingasse. Archäologie Bern – Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern (Bern) 202-230.
DOI: 10.7892/boris.145206

Rosenstock, E./Ebert, J./Martin, R. et al. (2019) Human stature in the Near East and Europe ca. 10,000–1000 BC: its spatiotemporal development in a Bayesian errors-in-variables model. Archaeol Anthropol Sci 11, 5657–5690.
DOI: doi.org/10.1007/s12520-019-00850-3

Krabbelküche

Unter diesem Titel beschäftigen wir uns nicht etwa mit Babynahrung in der Jungsteinzeit und Bronzezeit. Das wäre zwar ein spannender Aspekt der Ernährung, aber heute interessiert uns nur eines: Haben die Pfahlbauer*innen Insekten gegessen?

Hauptsache satt?

Wenn wir uns die Liste der Tierarten anschauen, die anhand von Knochenfunden aus Pfahlbaufundstellen nachgewiesen sind, denken wir nicht unbedingt ans Essen:  Biber, Dachs, Hund, Schildkröten, Frosch und Kolkrabe. Dennoch beweisen Schnittspuren an den Knochen, dass diese Tiere zum Speiseplan der Pfahlbauer*innen gehörten. Es erweckt den Anschein, als habe man damals alles gegessen, was irgendwie essbar war. Dahinter müssen nicht unbedingt Verzweiflungstaten während Hungersnöten stecken. Vielmehr scheint man sich an der breiten Palette dessen, was die Natur bietet, bedient zu haben.

Eine kleine Leckerei zwischendurch? Grashüpfer.

Ein paar Larven zum Apéro

Daher halten wir es für gut möglich, dass die Pfahlbauer*innen auch gegenüber dem Insektenessen unvoreingenommener waren. Schliesslich ist der Verzehr von Käfern, Maden, Larven, Ameisen, Spinnen oder Bienen noch heute in vielen Weltengegenden gang und gäbe. In Uganda z. B. gelten die dicken Larven des Roten Palmrüsslers als Delikatesse. Die Larven der Käsefliegen wiederum veredeln den sardischen Käse «casu marzu» und werden lebend mitgegessen. Leider haben Archäolog*innen bislang keinen Kochtopf mit angebrannten Heuschrecken oder ein Kothäufchen mit Resten der Chitinhülle von Maikäfern gefunden. Dies wäre ein schlagkräftiger Beweis. So jedoch können wir nur ein paar hypothetische Überlegungen zum Insektenverzehr bei den Pfahlbauer*innen anstellen.

Die Engerlinge des Rosenkäfers sind – wie jene des Maikäfers – essbar.

40 Heuschrecken für eine Mahlzeit

Seit wenigen Jahren findet man im Sortiment grosser Lebensmittelläden oder im Internet frei käuflich Heuschrecken, Grillen und Mehlwürmer. Der Mehlwurm, eigentlich die Larve des Mehlkäfers, ist in den Pfahlbauten nicht nachgewiesen. Die Larven der damals bekannten Getreideschädlinge sind deutlich kleiner als der Mehlwurm und verstecken sich erst noch in den befallenen Körnern. Wenn, dann dürften sie eher unbeabsichtigt mit dem Getreide im Eintopf gelandet sein.

Käufliche Insekten: Grillen, Mehlwürmer und Heuschrecken.

Auch für Heuschrecken und Grillen, von denen es etliche einheimische Arten gibt, liegen uns keine Belege aus Pfahlbaufundstellen vor. Immerhin wissen wir, dass die Landschaft infolge der menschlichen Nutzung ab der Bronzezeit zunehmend weniger bewaldet war, was den Hüpfern durchaus zugesagt haben dürfte. Wie man aus Survival-Tipps und YouTube-Videos erfahren kann, reichen bereits vierzig Heuschrecken aus für eine vollwertige Mahlzeit. Vor dem Verzehr sollte man die Beine und Flügel entfernen, den Kopf abdrehen, diesen zusammen mit den Gedärmen herausziehen und den Körper über einem Feuer knusprig braten.

Alle drei Jahre ein Maikäfer-Festessen

Bis in die 1940er Jahre gab es alle drei bis vier Jahre eine Maikäfer-Plage. Man denke nur an Max und Moritz von Wilhelm Busch, die Maikäfer vom Baum schüttelten und sie Onkel Fritz unter die Bettdecke steckten. Die Maikäferschwärme haben ganze Laubwälder kahlgefressen. Sie schwächten dabei die Bäume so stark, dass diese in den Maikäferjahren nur wenig Holz bildeten, was sich in einem schmalen Jahrring äussert.

Maikäfer. © Schmidkerstin, bearbeitet

Dendrochronolog*innen können Jahrtausende später nicht nur das Alter der Hölzer bestimmen, aus denen die Pfahlbauten errichtet wurden, sondern sie ermitteln auch das Auftreten von dünnen Jahrringen in regelmässigen Abständen, welche die Maikäferjahre anzeigen. Im Frühjahr 3921 v. Chr. beispielsweise schwärmten am Bodensee abertausende Maikäfer aus. Bauhölzer aus den zeitgleich bestehenden Pfahlbaufundstellen Hornstaad-Hörnle, Sipplingen und Bodman verzeichnen für dieses Jahr einen sehr geringen Zuwachs.

Was machten Max und Moritz der Pfahlbauer*innen mit den Maikäfern? Steckten sie die Krabbelviecher dem Onkel unter die Felldecke oder kochten sie lieber eine kräftigende Maikäfersuppe daraus oder rösteten die in Honig eingelegten Käfer über dem Feuer? Noch im 19. Jahrhundert galt Maikäfersuppe als Delikatesse. Der Geschmack soll an Krebssuppe erinnern. Ein Rezept dafür möchten wir euch nicht vorenthalten. Es stammt aus einem Kochbuch von 1887: «Zur Zubereitung werden die Maikäfer ohne Flügel und Beine in Butter angeröstet und in Kalbfleisch- oder Hühnerbrühe gegart. Je nach Rezept wird die Suppe gesiebt und als Brühe genossen oder die Käfer werden anfangs im Mörser zerstossen, die Suppe wird passiert und mit etwas Mehlschwitze und Eigelb gebunden.»

In Honig marinierte Heuschrecken am Spiess.

Kannst du dir vorstellen, Maden, Würmer oder Fluginsekten zu essen? Für viele ist dies gewöhnungsbedürftig. Aus ernährungsphysiologischer Sicht spricht jedoch nichts dagegen. Als Alternative zum Fleisch werden Insekten in den nächsten Jahren vielleicht sogar das neue Superfood. Da bietet es sich doch an, sich gleich mal an einem entsprechenden Rezept zu versuchen, wie es vielleicht schon in der Steinzeit zubereitet wurde. Was meinst du? Ran an die Larven!

Portrait Katharina Schäppi

Weitere Infos zum Insektenessen

Verbraucherzentrale, Insekten essen

Das Nordic Food Lab zum Insekten essen mit der Dokumentation „BUGS the Film“

Archäofacts

Billamboz, A. (2014) Dendroarchaeology and cockchafers north of the Alps: Regional patterns of a middle frequency signal in oak tree-ring series. Environmental Archaeology 19(2), 114-123.
DOI: 10.1179/1461410313Z.00000000055

Blinde Passagiere im Saatgut

Der Übergang vom Jagen und Sammeln zur Sesshaftigkeit mit Ackerbau und Viehzucht, veränderte das Essverhalten der Menschen: Sie machten sich abhängig von Kulturpflanzen als Grundnahrungsmittel. Während man einige Wildpflanzen das ganze Jahr über pflücken kann – von der Wurzel über die ersten Blätter bis hin zu Blüten und Samen – ernteten die Bauern und Bäuerinnen nur einmal im Jahr die reifen Samenkörner von Hirse, Linse, Getreide und Co. Und das auch nur, sofern die Felder von Frost, Hagel, Trockenheit und anderen Wetterkapriolen oder von hungrigen Wildtieren verschont blieben.

Doch selbst wenn man die Ernte unter Dach brachte, konnte man sich seines Vorrates nicht sicher sein. Die ersten Landwirt*innen brachten nicht nur Saatgut und Haustiere aus dem fruchtbaren Halbmond nach Mitteleuropa mit, sondern auch allerlei Schädlinge, die es auf die menschlichen Vorräte abgesehen haben.

Reifende Gerste.

Kleiner Käfer, grosser Schaden

Bis in die Nachkriegszeit sorgte der Kornkäfer (Sitophilus granarius) immer wieder für leere Mägen. Die Käferweibchen bohren ein Loch ins Getreidekorn, legen ein Ei hinein und verkleben das Loch wieder. Die Larven fressen die Körner von innen komplett auf, zurück bleibt nur eine leere Hülle. Oft bemerkt man deshalb den Schädling erst dann, wenn die Larven schlüpfen. Da ein Weibchen auf einmal bis zu 300 Eier legen kann und bei günstigen Bedingungen mehrere Generationen pro Jahr aufwachsen, kann der Schaden enorm sein. Ist ein Vorrat einmal von Kornkäfern befallen, folgen oft noch weitere Ungezieferarten wie Milben, Schimmel- und Moderkäfer. Die übrigen Körner verlieren dadurch an Keimfähigkeit und sind ungeniessbar. Der nur 3 mm grosse Samenfresser hat es gerne warm und kann in Mitteleuropa nur in menschlichen Behausungen wie Ställen und Vorratsräumen überleben.

Die Kornkäfer sind aus Vorratsgruben und mit Abfall verfüllten Brunnen der ältesten Bauern Mitteleuropas (Bandkeramik, 5400-4900 v. Chr.) mehrfach nachgewiesen. Auch aus römischer Zeit gibt es massenhaft Funde. Merkwürdigerweise fehlen diese Käfer in den Pfahlbauten. Weshalb? Forscher*innen haben dafür verschiedene Erklärungen: Das Klima in Mitteleuropa behagte den Käfern nicht. Einige Generationen, nachdem die ersten, Ackerbau betreibenden Menschen das Ungeziefer zusammen mit dem Saatgut eingeführt hatten, starben die Kornkäfer aus. Die Dörfer lagen damals so isoliert in der Landschaft, dass kein Befall durch die Nachbarn drohte; denn die Kornkäfer können nicht fliegen. Das Leben im Pfahlbau behagte dem Schädling erst recht nicht. Hier war es ihm zu feucht, zu kühl und zu verraucht. Die Pfahlbauer*innen lagerten ihre Vorräte nicht wie in den Epochen davor und danach in Erdgruben, sondern wahrscheinlich auf den Dachböden. Kamine kannte man damals noch nicht. Der Rauch der Kochfeuer zog durch Ritzen und Spalten durch das Dach ab und verleidete damit wohl so manchem Ungeziefer das angenehme Fressen.

Wenn die Käfer schlüpfen, ist der Schaden bereits angerichtet. Von Kornkäfern befallenes Getreide. © CSIRO, bearbeitet

Getreide bringt dich zum Tanzen

Getreide barg aber andere Gefahren, vor denen wohl auch die Pfahlbauer*innen nicht gefeit waren: Krampfartige Bewegungen, Wundbrand und absterbende Gliedmassen – das sind die schrecklichen Folgen des Verzehrs von mit Mutterkorn verunreinigten Getreidekörnern. In Mitteleuropa starben in historischer Zeit Tausende von Menschen daran. Das Mutterkorn (Secale cornutum) ist eine in der Gestalt kornähnliche Schlauchpilzart, die aus den Ähren von Getreide herauswächst. Im Mittelalter war der purpurbraune Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) weit verbreitet. Er befällt bevorzugt Roggen, den es im Neolithikum noch nicht als domestizierte Pflanze gab. Roggen ist ein Fremdbestäuber und damit anfälliger für den Pilz im Gegensatz zu den selbstbestäubenden Getreidearten Weizen, Gerste und Dinkel sowie Wildgrasarten. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich die Pfahlbauer*innen der Jungsteinzeit und Bronzezeit mit Mutterkorn vergifteten, ist somit deutlich geringer als für die jüngeren Epochen. Aber sie waren wohl nicht davor gefeit, denn selbst geringe Mengen von fünf bis zehn Gramm können bei einem Erwachsenen zu Atemlähmung, Kreislaufversagen und schliesslich zum Tod führen. Bei niedrigerer Dosierung treten Halluzinationen, Krämpfe („Veitstanz“) und Durchblutungsstörungen beziehungsweise Wundbrand auf, die schliesslich zum Absterben von Fingern und Zehen führen können. Den Namen hat der Pilz von seiner Wehen auslösenden Wirkung.

Vom Mutterkornpilz (Claviceps purpurea) befallener Roggen. © Käfer in der Erbse

Der gleichen Taktik wie der Kornkäfer bedient sich der 4-5 mm grosse Erbsenkäfer (Bruchus pisorum), den die ersten Siedler*innen ebenfalls aus dem fruchtbaren Halbmond einschleppten. Die Weibchen legen ihre Eier in unreife Erbsenschoten. Die Larven fressen sich satt bis auf die Hülle. Von aussen deutet nur eine kleine kreisrunde Membran auf den Befall hin. Durch diese schlüpft später der Jungkäfer. Ganze Ernten können so vernichtet werden. Die Erbsen sind weder für den Verzehr geeignet, noch sind sie keimfähig, so dass die nächste Aussaat und Ernte damit auch in Frage gestellt sind.

Bohnenkäfer (Acanthoscelides obtectus) haben Löcher in die Samen von Stangenbohnen gefressen.

Der bislang älteste Nachweis des Erbsenkäfers in der Schweiz stammt aus der Pfahlbaufundstelle Zürich, Parkhaus Opéra. Käferflügel aus mehreren Hausstandorten aus der Zeit zwischen 3176-3153 v. Chr. belegen die Präsenz des Schädlings. An einer Saubohne aus der bronzezeitlichen Fundstelle Zug-Sumpf (um 950 v. Chr.) hat ein Käfer genagt und ein Loch hinterlassen. Allgemein scheint es so, als würden sich mit zunehmender Besiedlungsdichte auch die Schädlinge ausbreiten. Die Forschungen zu Schädlingsbefall und wie man damit umging, stecken aber noch in den Kinderschuhen.

Flügel eines Erbsenkäfers (Bruchus pisorum) aus der Pfahlbaufundstelle Zürich, Parkhaus Opéra. © F. Antolìn, M. Schäfer, bearbeitet

Keine Maus im Haus

Mäuse hinterlassen Spuren: Knochen, Kot und Nagespuren. Die Hausmaus (Mus musculus) gab es in der Jungstein- und Bronzezeit noch nicht. Sie traf erst in der Eisenzeit (800-15 v. Chr.) in Mitteleuropa ein. Die beiden in Pfahlbauten nachgewiesenen Mausarten – die Wald- und Gelbhalsmaus – halten sich lieber zwischen Bäumen auf als zwischen Hauspfählen. Sie fressen bevorzugt Samen, Kräuter, Insekten und Knospen. Die Pfahlbauer*innen brauchten sich deshalb vor den Mäusen noch nicht zu fürchten.

Waldmaus (Apodemus sylvaticus). ©
Portrait Renate Ebersbach

Archäofacts

Antolìn, F./Schäfer, M. (2020) Insect Pests of Pulse Crops and their Management in Neolithic Europe. Environmental archaeology. The Journal of Huma Palaeoecology.
DOI : 10.1080/14614103.2020.1713602

Hellmund, M. (2008) The neolithic records of Onopordum acanthium, Agrostemma githago, Adonis cf. aestivalis and Clavicepspurpurea in Sachsen Anhalt, Germany. Veget. Hist. Archaeobot 17 (Suppl 1), 123-130.
DOI 10.1007/s00334-008-0180-8

Schäfer, M. (2017) Invertebratenreste. In: N. Bleicher/Ch. Harb (Hrsg). Zürich-Parkhaus Opéra. Eine neolithische Feuchtbodenfundstelle. Band 3: Naturwissenschaftliche Analysen und Synthese (Zürich und Egg) 144-164.

Schmidt, E. (2016) Viele Käfer, aber keine Vorratsschädlinge. Fehlen Vorratsschädlinge in Feuchtbodensiedlungen wirklich? Denkmalpflege in Baden-Württemberg 3, 2016, 208-212.
Link zum Artikel

Das grosse Krabbeln in den Pfahlbauten

Wenn Mensch und Tier über längere Zeit auf engem Raum leben, befördert das die Übertragung von Parasiten und Krankheiten. Das war schon immer so, und Corona ruft uns das wieder ganz besonders ins Bewusstsein.

Wie in vielen historischen bäuerlichen Gesellschaften lebten die Pfahlbauer*innen mit ihren Tieren zusammen; den Nutztieren, aber auch allerlei unwillkommenen Klein- und Kleinstlebewesen. Alle, die schon mal längere Zeit mit Kühen auf einer Alp oder mit Pferden im Stall verbracht haben, kennen das Problem: Mist, Fliegen und Käfer überall. Die Tiere bringen Zecken und anderes Ungeziefer mit sich, die auf ihre Besitzer*innen übergehen können. Und das sind nur die sichtbaren Mitbewohner*innen. Unsichtbar, aber mit nicht zu unterschätzendem Einfluss auf Gesundheit und Wohlbefinden sind die Parasiten.

Langzeitexperiment mit einem rekonstruierten Pfahlbauhaus in Unteruhldingen (D) unter anderem zur Ablagerung von Abfällen. © K. Schäppi

Schlamm waschen

Dank der ausserordentlichen Erhaltungsbedingungen in den Pfahlbaufundstellen, haben sich in den jahrtausendealten Kulturschichten sogar Insekten- und Parasitenreste erhalten. Entscheidend ist dann aber die Vorgehensweise während der Ausgrabung. Nur durch systematische Probenentnahmen und ein aufwändiges Schlämm-Programm mit der vorsichtigen wash-over Methode (siehe dazu die Anleitung des IPNA, Universität Basel, Seite 15) gelingt es, die fragilen und winzigen Reste überhaupt zu separieren. Moderne Untersuchungen von Grabungen aus den letzten Jahren erlauben einen neuen Blick auf Gesundheit und Hygiene bei den Pfahlbauer*innen. Die Auswertungen der Grabungen beim heutigen Parkhaus Opéra in Zürich haben Entscheidendes dazu beigetragen.

Es kreucht und fleucht im Pfahlbau Zürich-Opéra

Bei der Grabung Zürich Parkhaus Opéra war Schicht 13 aus der Horgenerzeit (um 3200 v. Chr.) besonders ergiebig. In ihr wurden fast 15´000 sogenannte Wirbellosenreste (Invertebraten) nachgewiesen. Darunter verstehen die Archäobotaniker*innen unter anderem Funde von Insekten, Milben, Fliegen, Larven und Käfern. Erhalten haben sich Bestandteile der Körperhüllen (Chitin), aber auch Köcher von Köcherfliegen, Brutknospen (Statoblasten) von Süsswassermoostierchen oder Eihüllen und Larvenreste. Insgesamt gelang der Nachweis von 21 Käferarten (darunter Schwimmkäfer, Wasserkäfer, Blattkäfer, Blatthornkäfer, Mistkäfer, Laufkäfer, Rindenkäfer, Aaskäfer, Leuchtkäfer, Rüsselkäfer), ausserdem Arten bzw. Familien aus den Gattungen der Zuckmücken, Fliegen, Köcherfliegen, Schlammfliegen, Moostierchen, Hornmilben, Tausendfüssler und Spinnentiere. All diese Krabbelviecher bewohnen ganz bestimmte Habitate. Auffallend viele der gefundenen Arten bevorzugen sich zersetzenden Dung, verrottende Pflanzen oder Aas. Indirekt erzählen sie somit viel über die damaligen (un)hygienischen Zustände.

Fleischfliege (Sarcophaga sp.). © Richard Bartz

So ein Mist – direkt vor der Haustür

Wie wir in unserem letzten Blogbeitrag berichtet haben, entsorgten die Pfahlbauer*innen ihren Müll zwischen oder unter den auf Pfählen stehenden Häusern. Sie erschufen damit ein optimales Biotop für viele Käfer- und Fliegenarten. Dungfliegen z. B. fühlen sich magisch angezogen von tierischen und menschlichen Exkrementen, Kadavern, Pilzen, faulendem Tang und zerfallenden Pflanzenstoffen. Bei den Käse- und Fleisch-/Aasfliegen ist der Name selbsterklärend. Ein Archäozoe ist die Gemeine Stubenfliege (Musca domesticus), die – wie der Name besagt – ein Kulturfolger ist und mit der Neolithisierung aus den Ursprungsgebieten (subtropische Regionen) nach Mitteleuropa kam. Gemeine Stubenfliegen legen ihre Eier bevorzugt in Mist. Bei idealen Verhältnissen (über 20 Grad, mindestens 10 Tagen Reifezeit und viel Mist) schaffen sie 10 bis15 Generationen in einem Jahr.

Kot, Urheber unbekannt, aus der Pfahlbausiedlung Arbon-Bleiche (CH). © AATG
Menschlicher Kot aus der Pfahlbausiedlung Arbon-Bleiche (CH). Strich = 1 cm. © AATG

Der Bandwurm isst mit

Ein Einblick in den Pfahlbauer*innen-Alltag: Überall schwirren Fliegen umher. Erst landen sie auf dem Mist vor dem Haus, dann auf dem Fleisch fürs Abendessen, das die Köch*innen anschliessend nicht vollständig durchbraten. Dies bleibt nicht ohne Folgen für die Gesundheit von Mensch und Tier. Wiederum erhalten wir dank den Grabungen Parkhaus Opéra einen (unfreiwillig) tiefen Blick ins Gedärm der Pfahlbauer*innen: Peitschenwurm, Spulwurm, Fischbandwurm, Echter Bandwurm, Hundebandwurm und Leberegel wohnten dort. Sie führten zu Bauchschmerzen, Durchfall, Übelkeit, Allergien, Leberschmerzen oder Fieber bei ihren Wirten, die sie mit jeder Nahrungsaufnahme mitfütterten.

Parasitenei aus der Pfahlbaufundstelle Sipplingen (D). © LAD
Parasitenei aus der Pfahlbaufundstelle Sipplingen (D). © LAD

Die gefundenen Parasiten lassen sich in drei Klassen aufteilen: Nematoden (Fadenwürmer), Trematoden (Saugwürmer, Egel) und Zestoden (Bandwürmer). Fadenwürmer sind die am häufigsten nachgewiesene Gattung. Sie befallen Menschen und Tiere über Eier auf Pflanzennahrung, die mit Mist gedüngt oder durch Kot verunreinigt ist. Die Auswirkungen der im Darm lebenden, bis zu 40 cm langen, regenwurmartigen Würmer reichen von Müdigkeit bis zu Blutarmut. Ebenfalls häufig ist der Fischbandwurm (Diphyllobothrium). Wie wir wissen, haben die Pfahlbauer*innen oft Fisch gegessen, diesen offenbar nicht immer durchgegart und sich so unbemerkt diesen Zestoden eingefangen. Er nimmt sich besonders Hechte, Salmoniden und Flussbarsch als Zwischenwirt, fühlt sich aber auch im Haushund und dem Menschen wohl. Trotz der beachtlichen Länge von 8 bis 12 Metern und einem täglichen Zuwachs von 9-15 cm kann der Parasit unbemerkt bis zu 25 Jahre im Darm leben. Dort absorbiert er Vitamin B12, wodurch es in schweren Fällen zu Anämie kommen kann.

Fischbandwurm (Diphyllobothrium latum). © Autor unbekannt

Schwer nachweisbare Plage

Schweinefleisch gilt als ungesund, gemäss Bibel und Koran gar als unrein. Dahinter steckt möglicherweise ein kleiner Parasit. Trichinen (Trichinella) sind winzige Fadenwürmer. Sie nutzen bevorzugt das Schwein als Wirt, wo die Larven im Darm zu Würmern heranreifen. Von dort bohren sie sich durch den Dünndarm, lassen sich von der Lymphe oder dem Blutstrom durch den Körper treiben und setzen sich im Muskelfleisch fest. Schweine infizieren sich durch die Aufnahme von Kot oder rohem Fleisch von Artgenossen. Trichinen können aber auch auf den Menschen übergehen durch nicht richtig durchgebratenes Fleisch. Die Folgen sind Durchfall, Bauchkrämpfe, Muskelschmerzen und Fieber. Kochen, Pökeln oder Einfrieren tötet den Parasiten ab, nicht jedoch das Räuchern von befallenem Fleisch.

Trichinen kommen sowohl in Wild- als auch in Hausschweinen vor. Der Nachweis ist jedoch schwierig, da die Würmer lebendgebährend (vivipar) sind. Die weichen Köperhüllen erhalten sich im Gegensatz zu den Eiern anderer Parasiten nicht. Der Fadenwurm ist daher nur immunologisch oder durch molekulare Marker, d. h. über die DNA nachweisbar. Genetische Untersuchungen von Fäkalien aus archäologischem Zusammenhang sind eine noch relativ junge Disziplin.  

Schon Ötzi kannte das Zauberkraut

Die Pfahlbauer*innen waren den Parasiten nicht ganz wehrlos ausgeliefert. Etliche Pflanzen wirken gegen Wurmbefall und lindern die Beschwerden: Beifuss, Johanniskraut und Echter Thymian können helfen. Diese Pflanzen sind in Pfahlbaufundstellen über Makroreste oder Pollen nachgewiesen. Sie eignen sich nicht für den Verzehr. Eine Verwendung als Heilpflanzen ist daher naheliegend. Der Wurmfarn (Dryopteris filix-mas) verweist mit seinem Namen bereits auf die Anwendung bis in historische Zeit. Die Wurzel wirkt effektiv gegen Wurmbefall. Die Dosierung und Anwendung sind jedoch schwierig, kann die Pflanze doch auch zu schweren Vergiftungen mit Erblindung oder sogar zum Tod führen. Ötzi, die Gletschermumie aus der Jungsteinzeit, hatte nachweislich Peitschenwürmer. In seinem Magen fand man – neben der letzten Mahlzeit – auch Reste von Adlerfarn. Dieser ist eigentlich giftig. Dennoch halten es die Forscher*innen für möglich, dass Ötzi bewusst kleine Mengen Farn gegessen hat, um seine Magenbeschwerden durch den Wurmbefall zu lindern.

Wurmfarn. © Krzysztof Ziarnek

Wer jetzt denkt, die Pfahlbauer*innen seien besonders unhygienisch gewesen, muss sich vergegenwärtigen, dass die meisten der nachgewiesenen Wirbellosen bis heute natürlicherweise auf jedem Bauernhof vorkommen und dass es in den meisten ländlichen Gegenden Mitteleuropas bis ins 19. Jahrhundert, z. T. sogar bis ins 20. Jahrhundert, gängig war, zwischen Misthaufen und Toilette keinen Unterschied zu machen. Letztlich verdanken wir es neben den deutlich verbesserten Hygienestandards vor allem der kontinuierlichen Arbeit der Gesundheitsämter, dass wir heute nur noch ganz selten an Parasiten leiden.

Im Juli thematisieren wir die ekligen, unschönen Seiten des Pfahlbauer*innenlebens. Dies soll euch aber nicht davon abhalten, leckere Gerichte aus den Juli-Challenge-Zutaten zu kreieren oder unsere Rezeptvorschläge nachzukochen. Nur eines nicht vergessen: Fisch und Fleisch immer gut durchgaren und den Müll brav entsorgen.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

Archäofacts

Ötzis letzte Mahlzeit mit Adlerfarn im Nationalgeographic.

Heiri, O./Toth, M./van Hardenbroek, M./Zweifel N. (2017) Chironomiden- und Cladocerenfossilien. In: N. Bleicher/Ch. Harb (Hrsg). Zürich-Parkhaus Opéra. Eine neolithische Feuchtbodenfundstelle. Band 3: Naturwissenschaftliche Analysen und Synthese (Zürich und Egg) 30-50.

Schäfer, M. (2017) Invertebratenreste. In: N. Bleicher/Ch. Harb (Hrsg). Zürich-Parkhaus Opéra. Eine neolithische Feuchtbodenfundstelle. Band 3: Naturwissenschaftliche Analysen und Synthese (Zürich und Egg) 144-164.

Pfahlbauromantik am verdreckten See

Das Dorf auf einer Plattform, hoch über klarem Wasser, im Hintergrund die Berge. Dieses romantische Bild zeichneten die frühen Pfahlbauforscher. Heute wissen wir, dass die Lebenswirklichkeit der Pfahlbauer*innen in vielerlei Hinsicht anders aussah. Dieses Wissen verdanken wir unter anderem dem, was sich in sogenannten Kulturschichten über die Jahrtausende erhalten hat. «Kulturschicht» ist die schöntönende Bezeichnung der Archäolog*innen für dunkelbraune Sedimente mit organischen Resten, Speiseabfällen, entsorgtem Hausrat, Fäkalien und den Resten der Häuser. Die Pfahlbauten standen nicht nur am und im Wasser, sondern vor allem im Müll ihrer Bewohner*innen. Dies blieb nicht ohne Folgen für das Ökosystem See. Gewässerverschmutzung durch den Menschen fand schon vor Jahrtausenden statt!

Torf- und Kulturschichten der Moorsiedlung Thayngen-Weier (CH). © KASH

Bring mal den Müll raus!

Für die Entsorgung des Hausmülls ging man oft den kürzest möglichen Weg: Essensreste, kaputtes Geschirr, abgenagte Knochen, Asche vom Herdfeuer und vieles mehr wurde direkt in die Gassen zwischen den Häusern oder einfach unter die auf Pfählen stehenden Gebäude geworfen. Zum Glück für die Archäolog*innen! Denn in den Müll- und Mistschichten steckt eine Fülle an Informationen. Dank der guten Erhaltungsbedingungen ist es heute unter anderem möglich, Details zu den damaligen Ernährungsgewohnheiten zu rekonstruieren; nicht nur der Menschen, sondern auch der Tiere. Schweine, Hunde und Mäuse bedienten sich am Hausmüll, wie Frass- und Nagespuren an entsorgten Knochen zeigen. Ihr Mist wiederum landete direkt daneben am Boden und zog Fliegen und Käfer an. Trockene Kuhfladen wurden vielleicht als Brennmaterial oder zum Stopfen von Spalten in Hauswänden, also als Baumaterial verwendet.

Dünnschliff von Rinderdung aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG
Ziegenkot aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). © KASH

Der Geruch von Fäkalien und sich zersetzenden Essensresten im fauligen Wasser schwebte über der ganzen Siedlung, gerade an warmen Sommertagen wie jetzt. Bei ausreichend hohem Wasserstand wurde das ganze ab und zu in den See gespült, und das Spiel konnte von Neuem beginnen. In Seen ohne grosse Pegelschwankungen oder Mooren sind manchmal bis zu einem Meter dicke «Kulturschichten» vorhanden, die den zusammengepressten Müll von einem Jahrhundert Siedlungstätigkeit umfassen (z. B. Ehrenstein (D), Pfäffikon-Burg (CH), Zug-Riedmatt (CH) oder Thayngen-Weier (CH)). Mit unserer Vorstellung von Pfahlbauromantik hat das wenig zu tun.

Fliegenlarven zwischen Holzästchen aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). Strich = 1 cm. © KASH
Stallfliege aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). Strich = 1 cm. © KASH

Eutrophiertes Wasser ernährt die Fische

Eutrophierung wird im Zusammenhang mit Wasser heute meist als etwas Negatives angesehen. Der aus dem Griechischen stammende Begriff „eutroph“ (eu trophos) bedeutet aber eigentlich nichts anderes als „gut ernährt”. Ausgelöst wird die Eutrophierung von Wasser durch Aktivitäten, die zu einer Anreicherung von Nährstoffen in ursprünglich nährstoffärmeren Gewässern führen. Diese wird meistens direkt oder indirekt von Menschen und (Haus-)Tieren verursacht, durch Müll und Mist oder in jüngerer Zeit auch durch das Einleiten von Abwässern oder durch Einspülen von Düngemitteln aus der Landwirtschaft. Ein höherer Nährstoffgehalt im Wasser befördert unter anderem das Wachstum von Algen und anderen Wasserpflanzen. Im Extremfall können diese so übermässig wachsen, dass sie anderen Pflanzenarten, Kleinlebewesen und Tieren die Lebensgrundlage entziehen. Das Gewässer kann sogar hypertroph und gerade in der Tiefe sauerstofffrei (anaerob) werden. Einem solchen Überangebot an Nährstoffen wird heute gezielt entgegengewirkt: Kläranlagen reinigen das Abwasser, bevor es in Seen oder Bäche eingeleitet wird.

Algenblüte in einem Kleinsee. © Agnieszka Kwiecień

Fische auf Diät

An den Voralpenseen führte man in den 1970er Jahren Massnahmen zur Wasserreinhaltung ein. Die Gewässer werden seither kontinuierlich sauberer, der Nährstoffgehalt sinkt. Gleichzeitig haben aber Fische weniger Nahrung, wachsen langsamer, die Bestände gehen insgesamt zurück. So am Starnberger See, wo die Anliegergemeinden eine fast 50 km lange Ringkanalisation errichteten. Die Renken, die den Felchen in Bodensee entsprechen und der „Brotfisch“ der Berufsfischer sind, bleiben seither kleiner. 1975 brachte eine im Starnberger See gefangene drei- bis vierjährige Renke durchschnittlich 500 Gramm auf die Waage. Heute sind es nur noch knapp 200 Gramm. Entsprechend schwinden die Erträge der Berufsfischer kontinuierlich. Ähnliches ist am Bodensee zu beobachten, wo der Bestand der Felchen drastisch sinkt. Gegenüber 700 Tonnen im Jahr 2011 zogen Fischer*innen vorletztes Jahr nur noch 295 Tonnen aus dem Wasser. Als Konsequenz müssen sogar die Lizenzen für Berufsfischer reduziert werden.

Der menschliche Einfluss auf die Umwelt: ein uraltes Thema

Die Effekte des Nährstoffeintrages durch die Pfahlbauer*innen können wir beispielsweise an den am häufigsten gegessenen Fischarten sehen. Felchen und Seeforellen bevorzugen tiefgründiges, nicht zu nährstoffreiches Wasser von guter Qualität. Hechte und Rotaugen dagegen halten sich überwiegend im Röhrichtgürtel im Uferbereich auf. In der Siedlung Pfäffikon-Burg (CH) lebten Pfahlbauer*innen während etwa einem Jahrhundert in drei aufeinanderfolgenden Siedlungen. Schon von der ältesten zur zweitältesten Siedlung ist der Einfluss der Menschen auf den See sichtbar: der Anteil von Karpfenartigen und Hechten nimmt zu, die verzehrten Fische werden grösser. Das spricht dafür, dass das Wasser zunehmend mehr Pflanzen enthielt, was die Karpfenartigen gerne haben. Die Hechte wiederum gedeihen gut, wenn es viele junge Karpfenartige zu fressen gibt.

Schilfgürtel an Seen entstanden erst durch den Einfluss der Menschen.

Ein gutes Beispiel ist der Zürichsee im Bereich der heutigen Stadt Zürich: In den Schichten aus dem 37. Jahrhundert v. Chr. ist der Flussbarsch am besten vertretene Fischart, während in den jüngeren Schichten im 31. Jhd. v. Chr. der Hecht am häufigsten vorkommt. Vermutlich haben die hier über Jahrhunderte lebenden Pfahlbauer*innen mit ihrem Vieh und ihren Abfällen dazu beigetragen, dass der Zürichsee immer mehr Nährstoffe enthielt, sich am Ufer das Röhricht ausbreitete und der Hecht darin optimale Lebensbedingungen vorfand.

Umzug, wenn der See kippt

Menschliche Aktivitäten beeinflussen also die Ökosysteme der Gewässer schon viel länger, als wir das gemeinhin annehmen. Je länger ein Dorf bestand und je mehr Einwohner*innen es hatte, desto grösser waren die Auswirkungen. Naturwissenschaftliche Untersuchungen von Insektenresten und Ufer- und Wasserpflanzen zeigen eine Zunahme von Arten, die gut mit nährstoffreichen Bedingungen zurechtkommen. Bei Kleinseen konnte das ganze Gewässer davon betroffen sein, bei grösseren waren es wohl nur die Buchten, an denen die Dörfer standen. Die Wasserverschmutzung und die Abfallberge um die Siedlungen mögen mit ein Grund sein, dass die Pfahlbauer*innen jeweils nach einigen Jahrzehnten den Standort wechselten und an einem sauberen Ufer neue Häuser errichteten.

Modell der Moorsiedlung Thayngen-Weier (CH). Zwischen den Häusern halten sich die Tiere auf und es wird gearbeitet. (Modell Hans Bendel, ausgestellt im Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen). © KASH

Mit dem schwimmenden Dreck in und um die Pfahlbausiedlungen geben wir Euch bereits einen Vorgeschmack aufs Juli-Thema. Seid gespannt!

Portrait Simone Benguerel
Portrait Katharina Schäppi
Portrait Markus Gschwind

Trapa natans: Nüsse aus dem Wasser

Hast du schon mal von der „Wassernuss“ gehört? Diese sehr spezielle Wasserpflanze ist heute in den Voralpenseen fast ausgestorben und kaum bekannt. Zur Zeit der Pfahlbauer*innen war sie aber in aller Munde. Sie schmeckt wie Edelkastanien, wächst im Wasser und hatte eine so grosse Bedeutung für die Ernährung, dass das Pfahlbaumuseum am Federsee 1996 sogar eine Ausstellung über die Wassernuss gezeigt („Aus Pfahlbauers Pflanzenwelt: Trapa natans – die Wassernuß“) und Wassernuss vor Ort anzusiedeln versucht hat. 2011 war die Wassernuss in Österreich, Deutschland und der Schweiz zudem die Wasserpflanze des Jahres. Grund genug, dass wir der Wassernuss einen eigenen Blogbeitrag widmen.

Wassernuss im botanischen Garten Bern (CH). © Muriel Bendel

Die Wassernuss mag es warm

Die Wassernuss (Trapa natans) ist eine einjährige Wasserpflanze, die gerne in nährstoffreichen, flachen und warmen Gewässern gedeiht. Sie ist etwas zimperlich, was die „Badetemperatur“ anbelangt. Der Samen keimt erst, wenn das Wasser 12–15 Grad warm ist, und für Wachstum und Blüte braucht die Pflanze 20 Grad Wassertemperatur. Nach der Blüte im Juli und August entwickeln sich die Früchte, die man im September sehr einfach vom Boot aus ernten kann, was für die Pfahlbauer*innen bestimmt praktisch war. Im Spätherbst sinken die Samen auf den Seeboden ab, wo sie im nächsten Frühjahr wieder auskeimen. Die Wassernuss kommt häufig mit der gelben Teichrose (Nuphar lutea) und dem Rauhen Hornblatt (Ceratophyllum demersum) zusammen vor.

Blühende Wassernuss im botanischen Garten in Poznań. © Krzysztof Ziarnek

Harte Schale, weisser Kern

Unter der harten, gezackten Schale versteckt sich ein weisser Kern. Er enthält Proteine und bis zu 50 % Stärke. Das wertvolle Nahrungsmittel kann man kochen oder rösten, roh hingegen ist es nicht bekömmlich. Geröstet soll die Nuss wie Esskastanie schmecken. Man kann sie so auch mehrere Wochen lagern. Aus den Früchten kann man einen weissen Mehl-Ersatz herstellen. Der römische Autor Plinius der Ältere beschreibt in seiner Naturalis historia, dass die Thraker Brot aus dem Mehl der Wassernuss hergestellt haben. Noch im 19. Jahrhundert gab es Wassernüsse auf dem Markt im Elsass. In Osteuropa verfütterte man die proteinhaltigen Blätter an das Vieh. Heute finden sich grössere Wassernuss-Vorkommen noch im Osten Österreichs und in Ungarn, während die Pflanze in Deutschland und der Schweiz stark gefährdet ist und nur noch in wenigen Naturschutzgebieten vorkommt.

Frucht der Wassernuss am Lac de Soustons (F). © Étienne Dupuis

Die prähistorische Nutzung der Wassernuss ist in verschiedenen europäischen Ländern zwischen Finnland und Italien belegt, zum Teil schon ab der Mittelsteinzeit, also vor dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht. In Zentraleuropa war die Wassernuss damals genauso wichtig für die Ernährung wie die Haselnuss.

Unverkennbare Schale

Aus den Pfahlbauten sind Wassernüsse zwischen dem 4. und 1. Jahrtausend v. Chr. anhand von Makroresten und Pollen nachgewiesen. Die unverkennbare Form der Nussschale führt dazu, dass Archäobotaniker*innen die Reste auch anhand von kleinen Fragmenten gut erkennen und bestimmen können. Ob es sich bei jedem Fund um eine gesammelte Nuss handelt, ist fraglich. In vielen Voralpenseen kam das Weiderichgewächs nämlich natürlich vor. Finden Archäolog*innen in Ufersedimenten Wassernuss-Reste, dann kann es sich auch um angespülte und natürlich abgelagerte Nüsse handeln. Eine Nutzung durch den Menschen ist nur belegbar, wenn die Wassernuss-Reste eindeutig aus einer Kulturschicht stammen und am besten noch angekohlt sind. Dies gilt natürlich auch für andere Feucht- und Wasserpflanzen wie Schilf, Binsen, Nixenkraut oder Algen, die man ebenfalls häufig nachweisen konnte.

Archäologischer Fund einer Wassernuss. © LAD, M. Erne
Fragment der Schale einer Wassernuss. Strich = 1 cm. © LAD, Ch. Herbig

Wächst auch in verschmutztem Wasser

Es kann sein, dass die Wassernussbestände in kleinen Seen von der Nachbarschaft zu Pfahlbausiedlungen direkt oder indirekt profitierten. Durch die Siedlungen am Ufer und die Rodungen im Hinterland kam es zu einer – manchmal erheblichen – Verschmutzung des Wassers. Da die Wassernuss diesbezüglich sehr tolerant ist, wuchs sie trotzdem fröhlich weiter, während andere Wasserpflanzen-Arten mit dem verschmutzten Wasser Probleme hatten und zurückgingen. Man schätzt, dass dadurch grosse Flächen der Seen von den Pflanzenrosetten bedeckt waren. Ein Hektar Wassernuss ergab einen jährlichen Ernteertrag von 400–500 kg Mehl.

Wassernuss in einem Seitenarm der Oder (PL). © Krzysztof Ziarnek

Heute streng geschützt

Du willst wissen, wie Wassernuss schmeckt – oder sogar damit kochen? Das wird schwierig. Die Wassernuss steht heute in Deutschland und der Schweiz auf der Roten Liste der gefährdeten Arten und ist streng geschützt. Als Ersatz für geröstete Wassernuss kannst du getrocknete Edelkastanien verwenden. Einen ähnlich süsslichen Geschmack bietet die Chinesische Wasserkastanie, die du in Asialäden findest. Sie gehört allerdings zu einer ganz anderen Pflanzenfamilie, und man isst die verdickten Wurzelknollen. Im Gegensatz zur Wassernuss kannst du die Wasserkastanie roh essen, und sie wird selbst nach langem Kochen nicht mehlig. Findest du weitere Alternativen? Wir freuen uns auf deine Ideen.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

Schwanenbraten und Enteneier

Wo Wasser ist, sind bestimmte Vogelarten nicht weit. Auf dem Teller der Pfahlbauer*innen landeten somit auch Entenbrust oder Schwanenbraten. Das bezeugen die aufgefundenen Tierknochen mit Schnitt- und Brandspuren, selten sogar Biss- und Verdauungsspuren von Mensch oder Tier. Am häufigsten gegessen wurden Stock- und Reiherenten oder Zwergschwäne, selten haben die Pfahlbau-Köch*innen auch einen Kormoran zubereitet. Betrachtet man genau, von welchen Körperregionen die aufgefundenen Knochen stammen, so überwiegen solche von den Flügeln. Diese haben nur wenig nutzbares Fleisch und sind als Mahlzeit weniger geeignet. Eher ist davon auszugehen, dass die grossen Schwungfedern oder sogar ganze Flügel gezielt abgetrennt und als Schmuck oder als Wischer eingesetzt worden sind.

Männliche Reiherente. © Quirin Herzog

Bewusstlos vom Himmel geholt

Erlegt wurden die Vögel mit besonderen Pfeilen. Statt einer Spitze hatten sie ein breites, stumpfes Ende. Dadurch wurde der Balg der Tiere nicht verletzt, sie fielen bewusstlos vom Himmel und konnten als Ganzes genutzt werden. Aber auch historisch überlieferte Jagdmethoden mit Netzen sind denkbar.

Vogelpfeile aus Hirschgeweih von der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG, bearbeitet

Bevorzugte Jagdgebiete waren die geschützten Buchten mit ausgedehntem Flachwasserbereich. Viele der Wasservogelarten sind Zugvögel, die aus Nord- und Osteuropa stammen, vereinzelt sogar aus Sibirien. Bis heute treffen die Tiere im Herbst nach und nach an den Voralpenseen ein. Allein am Starnberger See überwintern jedes Jahr bis zu 25˙000 Wasservögel. Ideale Jagdsaison ist also spät im Herbst und im Winter, wenn sich die Zugvögel in grossen Schwärmen in den Buchten aufhalten. Am Starnberger See ist bei den Vögeln die Roseninselbucht besonders beliebt. Hier halten sich – in unmittelbarer Nähe zu den Pfahlbauten – im Winter häufig mehrere tausend Tiere gleichzeitig auf. Einige der Arten wie Stockenten oder Schwäne sind bei uns heimisch. Die Pfahlbauer*innen konnten sie also nicht nur im Winter jagen, sondern das ganze Jahr über auftischen.

Vogelknochen sind eher kleiner und fragiler als solche von anderen Tierarten. Auf den ersten Blick verwundert es daher nicht, dass sie in den Fundschichten eher selten vertreten sind. Allerdings sind sie auch in den Siebresten von geschlämmten Erdproben nur wenig anzutreffen (Arbon-Bleiche 3, Zürich-Opéra). Die Vogeljagd hatte also eher eine untergeordnete Bedeutung. Unter den Knochen überwiegen meist solche von Enten, regelmässig sind auch Schwäne oder Seetaucher vorhanden.

Blässhuhn – zweifelhafter Genuss

Für die einen ein Freizeitvergnügen, für die anderen ein Frevel: Die Jagd auf Wasservögel ist heute ein umstrittenes Thema. Im Mittelalter und bis in die Neuzeit waren Blässhühner, Enten, Schwäne & Co. aber eine willkommene Nahrungsergänzung, besonders in den kalten Wintermonaten. Noch im letzten Jahrhundert wurden gerade Blässhühner am Bodensee in grosser Zahl erbeutet und waren für Fischer, Bauern und Handwerker ein Zusatzverdienst. Erlegen konnte sie jeder, die Wasservögel waren der Niederen Jagd zugeordnet. Und man durfte sie auch in der Fastenzeit geniessen, weil gewisse Vogelarten nicht als Fleisch galten.

Tafelente. © A. Gehrold, LBV

Ebenso umstritten wie das Jagen ist die Frage, ob das Fleisch von Schwan und Blässhuhn überhaupt schmeckt. Wie viele Wasservögel gründeln sie, d. h. sie wühlen mit dem Schnabel unter Wasser den Schlick auf und sieben dann die Nahrung aus dem Schlamm. Daher wird dem Fleisch ein schlammiger, fischiger und traniger Geschmack nachgesagt. Zudem enthalten ihre Knochen Bitterstoffe. Alte Kochbücher empfehlen daher, Blässhühner – im Süddeutschen und Schweizer Raum auch Belchen genannt – vor dem Kochen zwei bis vier Tage in Milch oder Essig einzulegen. Auch wenn er heute kaum noch auf den Tisch kommt: Belchenpfeffer – in Ermatingen auch Hattlepfeffer genannt – gehört zu den traditionellen Gerichten aus der Bodenseeregion. Schwanenbraten war sogar auf königlichen Tafeln anzutreffen und wurde effektvoll als Höhepunkt eines Banketts serviert: Der Balg des Vogels wurde sorgfältig abgezogen, das Fleisch zubereitet und der Braten dann im Federkleid serviert. Der Genuss von Hattlepfeffer und Schwanenbraten war also früher besonderen Gästen vorbehalten.

Blässhuhn. © Philippe Amelant

Vogelfigur mit Hörnern

Babyrassel und Nuckelflasche in niedlicher Vogelform? Nein, kultische Objekte, sagen Archäolog*innen. Ab der Mittelbronzezeit (ca. 1500 v. Chr.) tauchen Wasservögel – oft sind es eindeutig Enten – als Figuren und Verzierungen auf nicht alltäglichen Gegenständen auf. Vogelköpfe zieren Tongefässe, schmücken Rasiermesser oder aufwändig gearbeitete Miniaturwagen, auf denen Scheiben als Sonnensymbole thronen. Aus spätbronzezeitlichen Pfahlbauten sind vollplastische vogelförmige Gefässe bekannt, die auf dem Rücken eine Einfüllöffnung für Flüssigkeiten haben und reich verziert sind. In der Pfahlbaufundstelle Zürich-Alpenquai (CH) fanden Archäologietaucher*innen eine in zwei Teile zerbrochene Vogelfigur mit Hörnern auf dem Kopf. Es ist ein Zwitterwesen oder eine Phantasiefigur, die keine Vogelart naturgetreu abbildet. Vermutlich waren im hohlen Bauch einst Steinchen eingeschlossen, womit die Tonfigur als Rassel gedient haben könnte. Aus der gleichen Fundstelle stammt ein Schlüssel aus Bronze, auf dessen Griff eine Ente sitzt.

Spätbronzezeitlicher Schlüssel aus Bronze von der Pfahlbaufundstelle Zürich-Alpenquai (CH). © Schweizerisches Nationalmuseum, Inv. Nr. A-25748

Vögel vermitteln zwischen den Welten

All diese Funde mit Vogelmotiven, die über weite Teile Europas streuen, sind kein Produkt zufälliger Eingebungen von Handwerker*innen. Hinter ihnen muss eine Symbolkraft und eine gemeinsame Vorstellung stecken. Wie die ausgesehen hat, darüber zerbrachen sich schon viele Forscher*innen den Kopf. Die im Norden vorkommende Kombination mit Wagen und Scheibe läuft unter dem Begriff Vogel-Sonnen-Barke. Dahinter steckt die Vorstellung, dass Vögel eine Barke, ein Boot oder einen Wagen mit der Sonnenscheibe über den Himmel ziehen. Wasservögel könnten auch Mittler zwischen verschiedenen Welten sein: dem Wasser, der Erde und dem Himmel, wohinter möglicherweise Vorstellungen über ein Diesseits und Jenseits stehen. Sollten Enten Regen bringen, was die Kombination mit Gefässen erklären würde, oder geleiteten sie die Verstorbenen ins Jenseits, worauf Vogelgefässe in Gräbern des Donauraumes hindeuten? Waren die Vogelgefässe Teil von Opferhandlungen oder Trankzeremonien und dienten die Rasseln deren musikalischer Untermalung? Schriftliche Überlieferungen aus dieser Zeit fehlen. Die Vogelfiguren gewähren uns aber einen Blick in die damalige Vorstellungswelt, in der offenbar die gefiederten Wasserbewohner eine wichtige Rolle spielten.

Vogel aus Ton von der Pfahlbaufundstelle Zürich-Alpenquai (CH). © Schweizerisches Nationalmuseum, Inv. Nr. A-27032

Verehrt und gegessen

Kehren wir vom Mystischen und den Mutmassungen zurück zum Profanen. Hatte die offensichtlich hohe Bedeutung der Wasservögel eine Auswirkung auf deren Verzehr? Die Datengrundlage ist leider dürftig. Aus spätbronzezeitlichen Pfahlbauten liegen, im Gegensatz zu den jungsteinzeitlichen Fundstellen, nur wenige ausgewertete Knochenkomplexe vor. Dies liegt vor allem daran, dass die jüngeren Kulturschichten höher liegen als die älteren, jungsteinzeitlichen. Sie sind deshalb mit weniger Sediment überdeckt und somit stärker der Erosion ausgesetzt. Das wirkt sich auf die Erhaltung der Knochen aus. Einzig zur Pfahlbaufundstelle von Hauterive-Champréveyres (CH) haben wir die Angabe gefunden, dass 40 % der Vogelknochen von Stockenten stammen, also möglicherweise von «heiligen Tieren».

Portrait Simone Benguerel
Portrait Katharina Schäppi
Portrait Markus Gschwind
Archäofacts

Huber, A. (2005) Seeufersiedlungen. Zürich-Alpenquai IX: Keramische Kleinfunde und Sonderformen. Zürcher Archäologie, Heft 17 (Zürich und Egg) 67-68.

Links

Vogelschutzinfos zum Starnberger See:

Rast- und Überwinterungsgebiet Starnberger See

Landesbund für Vogelschutz in Bayern

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