Das Dorf auf einer Plattform, hoch über klarem Wasser, im Hintergrund die Berge. Dieses romantische Bild zeichneten die frühen Pfahlbauforscher. Heute wissen wir, dass die Lebenswirklichkeit der Pfahlbauer*innen in vielerlei Hinsicht anders aussah. Dieses Wissen verdanken wir unter anderem dem, was sich in sogenannten Kulturschichten über die Jahrtausende erhalten hat. «Kulturschicht» ist die schöntönende Bezeichnung der Archäolog*innen für dunkelbraune Sedimente mit organischen Resten, Speiseabfällen, entsorgtem Hausrat, Fäkalien und den Resten der Häuser. Die Pfahlbauten standen nicht nur am und im Wasser, sondern vor allem im Müll ihrer Bewohner*innen. Dies blieb nicht ohne Folgen für das Ökosystem See. Gewässerverschmutzung durch den Menschen fand schon vor Jahrtausenden statt!

Torf- und Kulturschichten der Moorsiedlung Thayngen-Weier (CH). © KASH

Bring mal den Müll raus!

Für die Entsorgung des Hausmülls ging man oft den kürzest möglichen Weg: Essensreste, kaputtes Geschirr, abgenagte Knochen, Asche vom Herdfeuer und vieles mehr wurde direkt in die Gassen zwischen den Häusern oder einfach unter die auf Pfählen stehenden Gebäude geworfen. Zum Glück für die Archäolog*innen! Denn in den Müll- und Mistschichten steckt eine Fülle an Informationen. Dank der guten Erhaltungsbedingungen ist es heute unter anderem möglich, Details zu den damaligen Ernährungsgewohnheiten zu rekonstruieren; nicht nur der Menschen, sondern auch der Tiere. Schweine, Hunde und Mäuse bedienten sich am Hausmüll, wie Frass- und Nagespuren an entsorgten Knochen zeigen. Ihr Mist wiederum landete direkt daneben am Boden und zog Fliegen und Käfer an. Trockene Kuhfladen wurden vielleicht als Brennmaterial oder zum Stopfen von Spalten in Hauswänden, also als Baumaterial verwendet.

Dünnschliff von Rinderdung aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG
Ziegenkot aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). © KASH

Der Geruch von Fäkalien und sich zersetzenden Essensresten im fauligen Wasser schwebte über der ganzen Siedlung, gerade an warmen Sommertagen wie jetzt. Bei ausreichend hohem Wasserstand wurde das ganze ab und zu in den See gespült, und das Spiel konnte von Neuem beginnen. In Seen ohne grosse Pegelschwankungen oder Mooren sind manchmal bis zu einem Meter dicke «Kulturschichten» vorhanden, die den zusammengepressten Müll von einem Jahrhundert Siedlungstätigkeit umfassen (z. B. Ehrenstein (D), Pfäffikon-Burg (CH), Zug-Riedmatt (CH) oder Thayngen-Weier (CH)). Mit unserer Vorstellung von Pfahlbauromantik hat das wenig zu tun.

Fliegenlarven zwischen Holzästchen aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). Strich = 1 cm. © KASH
Stallfliege aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). Strich = 1 cm. © KASH

Eutrophiertes Wasser ernährt die Fische

Eutrophierung wird im Zusammenhang mit Wasser heute meist als etwas Negatives angesehen. Der aus dem Griechischen stammende Begriff “eutroph” (eu trophos) bedeutet aber eigentlich nichts anderes als „gut ernährt”. Ausgelöst wird die Eutrophierung von Wasser durch Aktivitäten, die zu einer Anreicherung von Nährstoffen in ursprünglich nährstoffärmeren Gewässern führen. Diese wird meistens direkt oder indirekt von Menschen und (Haus-)Tieren verursacht, durch Müll und Mist oder in jüngerer Zeit auch durch das Einleiten von Abwässern oder durch Einspülen von Düngemitteln aus der Landwirtschaft. Ein höherer Nährstoffgehalt im Wasser befördert unter anderem das Wachstum von Algen und anderen Wasserpflanzen. Im Extremfall können diese so übermässig wachsen, dass sie anderen Pflanzenarten, Kleinlebewesen und Tieren die Lebensgrundlage entziehen. Das Gewässer kann sogar hypertroph und gerade in der Tiefe sauerstofffrei (anaerob) werden. Einem solchen Überangebot an Nährstoffen wird heute gezielt entgegengewirkt: Kläranlagen reinigen das Abwasser, bevor es in Seen oder Bäche eingeleitet wird.

Algenblüte in einem Kleinsee. © Agnieszka Kwiecień

Fische auf Diät

An den Voralpenseen führte man in den 1970er Jahren Massnahmen zur Wasserreinhaltung ein. Die Gewässer werden seither kontinuierlich sauberer, der Nährstoffgehalt sinkt. Gleichzeitig haben aber Fische weniger Nahrung, wachsen langsamer, die Bestände gehen insgesamt zurück. So am Starnberger See, wo die Anliegergemeinden eine fast 50 km lange Ringkanalisation errichteten. Die Renken, die den Felchen in Bodensee entsprechen und der „Brotfisch“ der Berufsfischer sind, bleiben seither kleiner. 1975 brachte eine im Starnberger See gefangene drei- bis vierjährige Renke durchschnittlich 500 Gramm auf die Waage. Heute sind es nur noch knapp 200 Gramm. Entsprechend schwinden die Erträge der Berufsfischer kontinuierlich. Ähnliches ist am Bodensee zu beobachten, wo der Bestand der Felchen drastisch sinkt. Gegenüber 700 Tonnen im Jahr 2011 zogen Fischer*innen vorletztes Jahr nur noch 295 Tonnen aus dem Wasser. Als Konsequenz müssen sogar die Lizenzen für Berufsfischer reduziert werden.

Der menschliche Einfluss auf die Umwelt: ein uraltes Thema

Die Effekte des Nährstoffeintrages durch die Pfahlbauer*innen können wir beispielsweise an den am häufigsten gegessenen Fischarten sehen. Felchen und Seeforellen bevorzugen tiefgründiges, nicht zu nährstoffreiches Wasser von guter Qualität. Hechte und Rotaugen dagegen halten sich überwiegend im Röhrichtgürtel im Uferbereich auf. In der Siedlung Pfäffikon-Burg (CH) lebten Pfahlbauer*innen während etwa einem Jahrhundert in drei aufeinanderfolgenden Siedlungen. Schon von der ältesten zur zweitältesten Siedlung ist der Einfluss der Menschen auf den See sichtbar: der Anteil von Karpfenartigen und Hechten nimmt zu, die verzehrten Fische werden grösser. Das spricht dafür, dass das Wasser zunehmend mehr Pflanzen enthielt, was die Karpfenartigen gerne haben. Die Hechte wiederum gedeihen gut, wenn es viele junge Karpfenartige zu fressen gibt.

Schilfgürtel an Seen entstanden erst durch den Einfluss der Menschen.

Ein gutes Beispiel ist der Zürichsee im Bereich der heutigen Stadt Zürich: In den Schichten aus dem 37. Jahrhundert v. Chr. ist der Flussbarsch am besten vertretene Fischart, während in den jüngeren Schichten im 31. Jhd. v. Chr. der Hecht am häufigsten vorkommt. Vermutlich haben die hier über Jahrhunderte lebenden Pfahlbauer*innen mit ihrem Vieh und ihren Abfällen dazu beigetragen, dass der Zürichsee immer mehr Nährstoffe enthielt, sich am Ufer das Röhricht ausbreitete und der Hecht darin optimale Lebensbedingungen vorfand.

Umzug, wenn der See kippt

Menschliche Aktivitäten beeinflussen also die Ökosysteme der Gewässer schon viel länger, als wir das gemeinhin annehmen. Je länger ein Dorf bestand und je mehr Einwohner*innen es hatte, desto grösser waren die Auswirkungen. Naturwissenschaftliche Untersuchungen von Insektenresten und Ufer- und Wasserpflanzen zeigen eine Zunahme von Arten, die gut mit nährstoffreichen Bedingungen zurechtkommen. Bei Kleinseen konnte das ganze Gewässer davon betroffen sein, bei grösseren waren es wohl nur die Buchten, an denen die Dörfer standen. Die Wasserverschmutzung und die Abfallberge um die Siedlungen mögen mit ein Grund sein, dass die Pfahlbauer*innen jeweils nach einigen Jahrzehnten den Standort wechselten und an einem sauberen Ufer neue Häuser errichteten.

Modell der Moorsiedlung Thayngen-Weier (CH). Zwischen den Häusern halten sich die Tiere auf und es wird gearbeitet. (Modell Hans Bendel, ausgestellt im Museum zu Allerheiligen, Schaffhausen). © KASH

Mit dem schwimmenden Dreck in und um die Pfahlbausiedlungen geben wir Euch bereits einen Vorgeschmack aufs Juli-Thema. Seid gespannt!

Portrait Simone Benguerel
Portrait Katharina Schäppi
Portrait Markus Gschwind