Regional, saisonal, Bio, ungesättigte Fettsäuren, Vollkorn, unverarbeitete Lebensmittel, wenig Salz und Zucker. Wie aus dem Lehrbuch für gesunde Ernährung klingt der Speiseplan der Pfahlbauer*innen – auf den ersten Blick.

Als vor mehr als 10´000 Jahren Menschengruppen im Vorderen Orient damit begannen, ihre wichtigsten Sammelpflanzen nicht nur zu pflücken, sondern sie wieder auszusäen und einzulagern, leiteten sie eine der bedeutendsten Veränderungen in der Menschheitsgeschichte ein – den Übergang vom nomadischen Leben als Jäger*in, Fischer*in und Sammler*in zum Leben als sesshafte Bauern. Ohne Ackerbau und Viehzucht wäre die ganze weitere Entwicklung unserer Spezies nicht möglich gewesen. Keine Städte, keine Hochkulturen, keine Schrift, keine Industrialisierung. Für diese Errungenschaften bezahlten und bezahlen die Menschen mit ihrer Gesundheit.

Kleine Pfahlbauer*innen

Unser Skelett verrät viel über unsere Lebensweise. Nicht nur, wie gross, wie alt und welchen Geschlechts wir sind, sondern auch, wie hart wir körperlich arbeiten oder wie wir uns ernähren.  Anthropolog*innen (Spezialist*innen für menschliche Knochen) können diese Aussagen auch für archäologische Knochen treffen und so neben individuellen Lebensgeschichten unter anderem den gesundheitlichen Zustand einer früheren Gesellschaft, die Lebenserwartung oder die durchschnittliche Körpergrösse ermitteln. Aus der Zeit der Pfahlbauer*innen sind nur wenige Skelette erhalten. Vereinzelt finden Archäolog*innen in Pfahlbaufundstellen Knochen ertrunkener Menschen. Ötzi, die 1991 in den Südtiroler Alpen gefundene Gletschermumie ist ein Glücksfall für die Forschung, da die Leiche mitsamt Haut, Haaren und Organen erhalten blieb. Eigentliche Gräber, wie wir sie aus anderen Epochen zuhauf kennen, sind selten. In Oberbipp (CH) entdeckte man 2011 ein Dolmengrab (ein aus Steinblöcken errichtetes Grab) mit Knochen von insgesamt 42 Toten aus der Zeit um 3200 v. Chr. Im Kanton Schaffhausen (CH) und dem angrenzenden Süddeutschland bestatteten die Hinterbliebenen ihre Toten im 4. Jahrtausend v. Chr. in Höhlen und unter Felsvorsprüngen. Als Forscher im 19. Jahrhundert die Skelette entdeckten, fiel ihnen die geringe Körperhöhe von rund 155 bei den Erwachsenen auf. Sie bezeichneten diese Individuen als „Pygmäen“ und hielten sie für einen speziellen Menschenschlag.

Bestattungsszene beim Schweizersbild-Felsen, Kanton Schaffhausen (CH). © KASH

Auf Augenhöhe mit der Altsteinzeit

Die jungsteinzeitlichen Schaffhauser*innen waren demnach auffallend klein. Ebenso Ötzi mit seinen knapp 160 cm. Und auch die Oberbipper*innen brachten es gerade mal auf 154 bis 157 cm Körpergrösse. Dass die Menschen früher kleiner waren, haben wir in der Schule gelernt. Weshalb das so ist, war wohl weniger Thema und auch nicht die Tatsache, dass wir mit den Menschen der Altsteinzeit fast auf gleicher Augenhöhe sind. Erst nach dem Übergang zur sesshaften Lebensweise und damit dem Beginn der Jungsteinzeit schrumpften die Neubauern und -bäuerinnen regelrecht. Woran liegt das? Die Körpergrösse ist zum einen genetisch vorbestimmt, zum anderen durch die Lebensumstände in der Kindheit beeinflusst. Die ererbte Körperhöhe wird nur erreicht, wenn ein Mensch während des Wachstums ausreichend ernährt ist, nicht zu viel körperlich arbeiten muss und keine schweren Krankheiten erleidet. Dies war den Jungsteinzeitler*innen offenbar nicht vergönnt.

Demgegenüber sind heutzutage sowohl Menschen wie Tiere in den westlichen Gesellschaften alle sehr gut – manchmal zu gut – „ausgefüttert“. In Kombination mit weniger harter körperlicher Arbeit und moderner Medizin sind deshalb sowohl die Körpergröße wie auch die Lebenserwartung in den letzten 100 Jahren stark gestiegen.

Entwicklung der Körpergrösse im östlichen Mittelmeerraum von der Altsteinzeit bis heute. © Our world in data

Knochen lügen nicht

Das neolithische Lebensmittelpaket, welches die erste Ackerbäuer*innen und Viehzüchter*innen vor rund 7000 Jahren nach Mitteleuropa mitbrachten, enthielt nur wenige Kulturpflanzen und Nutztiere: Drei bis vier Sorten Getreide, Erbse, Lein, Mohn, Schwein, Schaf, Ziege und Rind. Wenn die frühen Bauern sich vor allem davon ernährt haben, war das eine deutliche Verschlechterung der Ernährungssituation im Vergleich zum Leben als Wildbeuter, mit direkten Auswirkungen auf die Gesundheit. Das Essen war einseitiger und es beruhte vor allem auf Getreideprodukten. Es enthielt weniger Vitamine und Fette, im schlimmsten Fall fehlte sogar Eiweiss. Die Mangelernährung bzw. das Fehlen einzelner wichtiger Nahrungsgruppen manifestiert sich an den Skeletten, vor allem, wenn sie im Kindesalter auftritt. Schmelzhypoplasien (Defekte am Zahnschmelz) oder Harris-Linien (unterschiedliche Knochendichte durch kurzzeitige Veränderungen im Knochenwachstum) in den Bein- und Armknochen zeigen Phasen an, in denen ein Kind so schlecht ernährt war, dass Zähne und Knochen nicht ordentlich wachsen konnten. Viele urgeschichtliche Schädel weisen im Dach der Augenhöhlen eine poröse Knochenstruktur auf. Diese sogenannte „cribra orbitalia“ ist auf Blutarmut durch Eisenmangel während der Kindheit zurückzuführen. Die Ursachen sind Mangelernährung und zu wenig energie- und proteinreiche Kost in der Wachstumsphase.

Kohlenhydrate befeuern das Bevölkerungswachstum

Wenn die Energie liefernden Kohlenhydrate vor allem von selbst angebauten Pflanzen stammen, kann man sehr viel mehr Menschen pro Fläche ernähren als bei einer sammelnden und jagenden Lebensweise, bei der weniger Kohlenhydrate, dafür aber viel mehr tierische Produkte verzehrt werden. Dementsprechend stieg die Bevölkerungszahl mit dem Beginn der Sesshaftigkeit markant an. Die Kulturpflanzen dienten damals weniger dem Frischverzehr, sondern der Bevorratung. Das kargere Nahrungsangebot im Winter konnte so überbrückt werden. Bei Missernten oder Schädlingsbefall der Vorräte drohte deshalb rasch ein Engpass in der Versorgung. Entsprechend schwankte die Bevölkerung stark und nahm insgesamt während des Neolithikums kaum mehr zu.

Getreide liefert Kohlenhydrate. Ein reifendes Dinkelfeld.

Kinder am Laufmeter

Mehr Menschen heisst, mehr Geburten. In der Jungsteinzeit brachten junge Frauen mit 12 bis 15 Jahren ihr erstes Kind zur Welt. Ab dann ging es weiter mit dem Nachwuchs, im Jahres- oder Zweijahrestakt, sofern die Mütter nicht bei einer Geburt starben. Das Kindbettfieber – Infektionen, die nach der Entbindung oder durch eine Fehlgeburt auftreten – raffte noch bis in die nahe Vergangenheit so manche Mutter dahin. Die Lebenserwartung der Frauen war deshalb deutlich geringer als jene der Männer und auch niedriger als die der nomadisierenden Vorfahrinnen, die nur rund alle vier Jahre ein Kind gebaren. Die Milchmädchenrechnung ergibt eine doppelt so hohe Gefahr, bei der Geburt zu sterben und eine doppelt so hohe Belastung für den Körper der Frauen. Dies wirkte sich z. B. auf die Zähne aus, die bei Frauen häufiger von Karies befallen waren als bei Männern. Jedes Kind kostet einen Zahn, besagt eine alte Volksweisheit, da werdende Mütter besonders anfällig für Karies und Zahnfleischerkrankungen sind.

Auf dem Zahnfleisch gehen

Bleiben wir beim Thema Zahngesundheit. Zucker ist schlecht für die Zähne, das lernt heute jedes Kind. Die Karies hielt jedoch schon lange vor der Einführung des weissen Zuckers Einzug in unserem Gebiss. Selbst in der Altsteinzeit waren die Menschen nicht davor gefeit. Aber seitdem das tägliche Brötchen auf den Tisch kam, beziehungsweise seit mit dem Getreide sehr kohlenhydratreiche Nahrung Einzug in unseren Speiseplan hielt, führten die Kariesbakterien ein besseres Leben. Aus dem Zucker des Getreidebreies bilden die Bakterien Säure, welche den Zahnschmelz angreift. Gleichzeitig hatten die Pfahlbauer*innen dem Brot zu verdanken, dass die Zahnfäule nicht allzu arg grassierte: Die feinen Steinpartikel, die beim Mahlen des Getreides auf Steinplatten in den Teig gelangten, schmirgelten die Zähne und die krank machenden Zahnbeläge laufend wieder ab. Das wiederum führte dazu, dass mit zunehmendem Alter die Zähne regelrecht abgekaut waren und so manche Pfahlbauer*in beim Lächeln nur noch kleine Stummel präsentierte.

Die Brötchen der Pfahlbauer*innen enthielten abrasive Steinpartikel vom Mahlen.

Genmutation durch Ackerbau und Viehzucht

Selbst abgekauten Zähnen vermögen Forscher*innen noch viele Informationen zu entlocken. Wenn wir uns heute auf dem Stuhl der Dentalhygieniker*in den Zahnstein bis in den hintersten Winkel unseres Gebisses entfernen lassen, vernichten wir damit einen Datenspeicher unserer individuellen Ernährung. Im Zahnstein kann unter anderem ein Milchsäure-Protein enthalten sein, anhand dessen wir als Milchtrinker*in im Erwachsenenalter identifiziert werden können. Forscher*innen untersuchten den Zahnstein archäologischer Skelette und fanden dieses Protein bis zurück in die Zeit um 3000 v. Chr.  Damals begann sich eine Genmutation durchzusetzen, die auch Erwachsenen die Verdauung von Milchzucker ermöglichte. Die lactosetoleranten Milchtrinker*innen hatten offensichtlich einen evolutionären Vorteil. Die Milch von Kühen, Schafen und Ziegen liefert Fette, Proteine, Vitamine und Mineralstoffe. Sie ist eine Art „sauberes Wasser“, was angesichts der bereits damals existierenden Wasserverschmutzung durch die Menschen der Gesundheit zugutekam. Weitere Genmutationen, die Auswirkungen auf den Fettstoffwechsel hatten, boten den Vorteil einer verbesserten Vitamin D-Aufnahme. Die ebenfalls genetisch bedingte Zöliakie (Glutenunverträglichkeit) ist vereinzelt archäologisch nachweisbar, kommt aber offenbar erst in jüngerer Zeit vermehrt vor.

Wer Milch auch als Erwachsener vertrug, hatte Vorteile.

Wir sind, was wir essen. Das gilt damals wie heute. Die fundamentale Ernährungsumstellung durch den Übergang zu einer sesshaften Lebensweise blieb nicht ohne Konsequenzen. Selbst wenn die Pfahlbauer*innen aus heutiger Sicht viele Regeln einer gesunden Ernährung befolgten, war ihr Speiseplan dennoch einseitig, was sich auf Knochen, Zähne und sogar das Erbgut niederschlug. Paläodiät oder PalaFitFood? Wir haben heute die Qual der Wahl. Dank fortwährender genetischer Anpassung und dem modernen Wissen um eine ausgewogene Ernährung, wären wir heute in der Lage, so manche Zivilisationskrankheit, die sich durch die Sesshaftigkeit einstellte, zu vermeiden.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

Archaeofacts

Doyle, C. (2017) Der Wandel, der vom Acker kam. MaxPlanckForschung Heft 2/2017, 27-33.
https://www.mpg.de/11383643/F002_Fokus_026-033.pdf

Larsen, C. S. (2006) The agricultural revolution as environmental catastrophe: Implications for health and lifestyle in the Holocene. Quarternary International 150, 2006, 12-20.
DOI: doi.org/10.1016/j.quaint.2006.01.004

Lösch, S./Siebke, I./Furtwängler, A. et al. (2020) Bioarchäologische Untersuchungen der Knochen aus dem Dolmen von Oberbipp, Steingasse. Archäologie Bern – Jahrbuch des Archäologischen Dienstes des Kantons Bern (Bern) 202-230.
DOI: 10.7892/boris.145206

Rosenstock, E./Ebert, J./Martin, R. et al. (2019) Human stature in the Near East and Europe ca. 10,000–1000 BC: its spatiotemporal development in a Bayesian errors-in-variables model. Archaeol Anthropol Sci 11, 5657–5690.
DOI: doi.org/10.1007/s12520-019-00850-3