Kaputtes Geschirr ist der Archäolog*innen täglich Brot. Jede Scherbe, die der Seegrund oder der morastige Boden der Pfahlbausiedlungen freigibt, wird sorgfältig geborgen, gewaschen und eifrig studiert. Unverständlich für viele, dass die Fachleute auch ein einzelner, unansehnlicher Scherben entzücken kann. Und doch ist es so, denn die Gefässbruchstücke geben viele Informationen preis, sofern man diese dekodieren kann. Material, Machart, Form und Verzierungen sind die Schlüssel zur zeitlichen und kulturellen Einordnung. Und dazu reicht oft bereits ein kleines Stück. Denn so wie man auf dem Flohmarkt mit einen Blick unterscheiden kann, ob es sich um Ikea-Geschirr oder das edle Teeservice der Grosseltern handelt, so unterlag auch das Geschirr der Pfahlbauer modischen Veränderungen. Und wenn man weiss, was vor 5000 Jahren am Bodensee in Mode war, dann reicht eben eine kleine Scherbe, um zu wissen, wie alt sie ist, ob sie zu einer Schüssel, einem Kochtopf oder einem Krug gehört und ob es sich um ein vor Ort hergestelltes oder von fern eingetauschtes Gefäss handelt.

Vollständig erhaltene und ergänzte Keramikgefässe aus der ältesten Siedlung der Fundstelle Hornstaad-Hörnle, DE, 3918-3902 v. Chr. © LAD

Plötzlich waren Töpfe potthässlich

Sind dann also die grobschlächtigen, unförmigen Töpfe älter als die elegant geformte, verzierte Schale? Bei weitem nicht! Um nochmals auf die Grosseltern zurückzukommen: In deren Augen würde der Inhalt manchen Geschirrschrankes in einer WG als primitiv eingeschätzt. Und so verläuft auch in der Pfahlbauarchäologie die Entwicklung der Geschirrproduktion nicht linear. Um 3500 v.Chr. stellten die Töpfer*innen in der Bodenseeregion dünnwandige Gefässe mit geglätteten Oberflächen in einer grossen Formenvielfalt her. Archäolog*innen nennen diese Zeit «Pfyner Kultur». Nur 200 Jahre später bringen sie aber scheinbar nur noch schiefe, dickwandige Pötte – also topfartige Gefässe – zustande. Potthässlich, die sogenannten «Horgener» Töpfe. Ein kultureller Rückschritt, könnte man meinen. Wenn wir jedoch das ganze Geschirrspektrum der «Horgener Kultur» betrachten, entdecken wir neben den windschiefen Töpfen auch sorgfältig geschnitzte Schüsseln, Schöpfer und Löffel aus Holz. Weil sich organische Materialien in den Pfahlbaufundstellen besonders gut erhalten haben, wissen wir also, dass auch die «Horgener» Leute durchaus Sinn für Ästhetik hatten.

Geschirrensemble aus Gachnang, TG, Pfyner-Kultur. © AATG
Geschirrensemble Arbon-Bleiche III, TG aus der Übergangszeit von der Pfyner- zur Horgener Kultur. ©AATG
Holztasse der Horgener Kultur aus Bad-Buchau, DE. © René Riis, LAD

Ein Tag auf dem Feuer

Bei unseren Kochversuchen haben wir unter anderem nachgemachte «Horgener»-Töpfe verwendet. In der Praxis zeigten sich plötzlich die Vorteile dieser groben Kochgefässe: Es braucht zwar ordentlich Hitze, bis der Inhalt eines solchen Topfes endlich kocht. Aber dann brodelt und dampft er vor sich hin, auch wenn das Feuer langsam herunterbrennt. Ist dies womöglich ein Hinweis auf die Essgewohnheiten der «Horgener» Pfahlbauer*innen? Stellten sie einen Topf aufs Feuer, gefüllt mit allerlei Eintopfzutaten, gingen danach ihrer täglichen Arbeit nach und konnten bei der Heimkehr eine fertig gekochte, warme Mahlzeit geniessen? Uns jedenfalls haben die «Horgener» Töpfe zu Eintopfgerichten inspiriert.

Nachgetöpferte Horgener Töpfe.

Verkohlte Essensreste für uns

Aus einem weiteren Grund sind die Gefässbruchstücke für uns interessant. Nicht selten kleben an den Scherben angebrannte Essensreste. Der Unachtsamkeit der Pfahlbauköche ist es zu verdanken, dass wir noch heute in ihre Töpfe blicken und sehen können, was sie darin zubereiteten. In der Fundstelle Arbon-Bleiche im Kanton Thurgau zum Beispiel brodelten Äpfel, Getreide, Leinsamen, Physalis aber auch Fisch und Gemüse in den Töpfen.

Untersuchungen und Experimente zeigen, dass bereits durch einen einzigen Kochvorgang dicke Verkrustungen entstehen können. Die Topfkrusten widerspiegeln somit zumeist die Zusammensetzung eines einzigen Gerichtes. Aber wie hat man damals bloss die Töpfe wieder sauber gekriegt? Spülmittel und Geschirrspülmaschine waren ja Fehlanzeige. Immerhin war da gleich der See vor der Haustüre, und so sind langes Einweichen und Abkratzen der Kruste wohl die gängige Hausfrauen/Hausmänner-Methode. Fest steht – aus eigener Erfahrung – dass die nächste Mahlzeit aus einem Topf mit Resten des vorangehenden, angekohlten Essens penetrant verbrannt schmeckt. So gesehen, sind die «einmaligen» Krusten auch ein Beleg für die durchaus anspruchsvollen Geschmacksknospen der Pfahlbauer*innen.

Archaeofacts

Makro- und mikroskopische Untersuchungen von Speisekrusten aus Keramikgefässen der jungsteinzeitlichen Seeufersiedlung Arbon-Bleiche, CH.