Im Juni dreht sich bei PalaFitFood alles ums Wasser. Schliesslich ist es in den Pfahlbauten allgegenwärtig. Den See vor der Haustüre, das Glucksen der Wellen um die Pfähle, die gleissende Lichtbahn der untergehenden Sonne, stille Morgennebel, schrilles Geschrei der Möwen, Frösche und ihr ewiges Quakkonzert, huschende Schatten von Barschen in den Flachwasserzonen, abertausende sirrende Mücken. Die Pfahlbauer*innen lebten am Wasser und von dem, was sich darin tummelte. Wer jetzt nur an Fische denkt, irrt. Ein Voralpensee hat kulinarisch mehr zu bieten.

Abendstimmung beim Pfahlbauhaus Wangen am Bodensee (D). © R. Ebersbach

Mit der Wasserbrause feinste Knochen aufspüren

Frösche essen? Da scheiden sich die Geister. Manchenorts gelten Froschschenkel noch heute als Delikatesse, aber viele von euch verziehen jetzt wohl angeekelt das Gesicht. Wie hielten es die Pfahlbauer*innen mit dem Frösche-Essen? In der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH) haben geduldige Forscher*innen rund 1800 Knöchelchen von Grasfröschen (Rana temporaria) aus Schlämmproben herausgelesen. Die feinen Knochen sind bei einer normalen Ausgrabung fast nicht zu erkennen. Deshalb packt man bei Feuchtbodengrabungen oft einen Teil des Erdmaterials in Probekübel ab, um sie später im Labor mit einer Wasserbrause durch Siebe mit zunehmend kleinerer Maschenweite zu spülen. Zurück bleiben kleinste Funde, darunter auch Vogel-, Fisch-, Reptilien- und Amphibienknochen. Archäozoolog*innen haben die Froschknochen von Arbon-Bleiche untersucht, ausgezählt, den verschiedenen Körperpartien zugeordnet und sie unter dem Mikroskop genau studiert. Heraus kam Erstaunliches.

Grasfrosch (Rana temporaria). CC Richard Bartz, bearbeitet

Mit Haut und Knochen

Die Knöchelchen stammen allesamt von erwachsenen Tieren. Reste von Vorder- und v. a. Hinterbeinen sind im Vergleich zu Knochen der Rumpfpartie deutlich überrepräsentiert. Dies ist ein erster Hinweis auf den Verzehr von Froschschenkeln. Auf drei Knochen entdeckten die Forscher*innen zudem Schnittspuren. Silexmesser (Feuerstein), mit denen man die Frösche offensichtlich zerlegt hat, hinterliessen feine Rillen im Knochen. Doch es kommt noch besser: Bei einigen der Knochen wirkte die Oberfläche bei genauerer Betrachtung wie lackiert. Kanten und Ecken der zerbrochenen Knochen waren abgerundet und die Oberflächen wiesen kleine Vertiefungen auf. So sieht ein Knochen typischerweise aus, nachdem er den Verdauungstrakt passiert hat. Die Pfahlbauer*innen haben sich also nicht damit begnügt, das zarte Fleisch von den Knöchelchen zu knabbern. Nein, sie haben die Froschschenkel mitsamt Knochen verspeist.

Angedaute Knochen vom Grasfrosch aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). Strich = 1 cm. © AATG, D. Steiner
Zuordnung der Froschknochen aus Arbon-Bleiche (CH) zu Körperteilen im Vergleich zu einem vollständigen Froschskelett. © nach Hüster Plogmann 2004, Abb. 306.

Und so kommen wir zum letzten Indiz, das euch wohl endgültig den Appetit auf Froschschenkel verdirbt: In menschlichen Fäkalien fand man Bandwürmer, die Frösche als Zwischenwirte nutzen und die beim Verzehr von rohem oder ungenügend durchgegartem Fleisch auf den Menschen übergehen. Selbst über den Zeitpunkt des Froschschenkel-Festessens wissen wir Bescheid: Grasfrösche halten sich ausserhalb der Laichzeit in Wäldern oder feuchten Wiesen auf. Im Februar bis März zieht es sie zu den Gewässern, in denen sie geboren worden sind. Und dort warteten auch schon die hungrigen Pfahlbauer*innen auf sie.

Schildkrötensuppe?

Schildkrötenfleisch soll schwer verdaulich sein und nach Rind schmecken; die Leber ist angeblich mit Kalbsleber vergleichbar. Auch die Eier kann man essen. Wir können das nicht beurteilen, sind doch die Schildkröten in unseren Gewässern streng geschützt und Einfuhr und Verkauf ihres Fleisches verboten. Die Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) als einzige einheimische Art in der Schweiz, kommt nur noch in kleinen Populationen vor und ist vom Aussterben bedroht. Grund dafür ist, dass so manche Schildkröte bis Anfangs des 20. Jahrhunderts im Suppentopf landete.

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis). CC Wolfgang Simlinger, bearbeitet

War das schon im Neolithikum und der Bronzezeit so? Sumpfschildkröten leben in ruhigen, klaren Seen, also dort, wo auch die Pfahlbauer*innen ihre Häuser errichteten. So erstaunt es nicht, dass Archäolog*innen ab und zu Knochenreste der Sumpfschildkröte finden. Meist sind es die Panzer, oder Teile davon. Wiederum sind es Schnittspuren, die belegen, dass die Tiere nicht aus eigenem Antrieb in die Siedlungen gekrochen sind. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass sie im Kochtopf landeten. Um an das Fleisch zu gelangen, genügt es eigentlich, den Panzer nach mehrstündigem Kochen an der Nahtstelle vom Rücken- zum Bauchpanzer aufzubrechen. Die Schnittspuren sind somit eher darauf zurückzuführen, dass man das Schildpatt entfernt hat. Schildpatt war vor Erfindung des Plastiks ein beliebtes Material, um daraus Kämme oder Schmuck herzustellen. Leider vergeht Schildpatt selbst in den dauerfeuchten Schichten der Pfahlbauten spurlos. Vielleicht liesse sich über eine genauere Analyse der Panzer herausfinden, ob diese gekocht wurden oder nicht. Nach dem derzeitigen Forschungsstand können wir daher nicht mit Sicherheit sagen, ob die Pfahlbauer*innen Schildkröten gegessen haben oder nicht.

Rücken- und Bauchpanzer einer Sumpfschildkröte aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (TG). © KASH, K. Schäppi

Einmal Biber bitte

Die Gelüste der Menschen haben auch dem Biber den Garaus gemacht. Er war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in grossen Teilen Europas ausgestorben. Die spätere Wiederansiedlung war erfolgreich, so dass Biberbauten und angenagte Bäume im Schweizer Mittelland, Baden-Württemberg und Bayern entlang von Flüssen und Bächen heute wieder ein vertrautes Bild sind. Im Mittelalter und in der Neuzeit war der Biber nicht nur wegen seines weichen, dichten Felles begehrt – auch das nach Wild schmeckende Fleisch galt als Delikatesse. Der schuppige Schwanz des Bibers erinnert an Fischschuppen, weswegen der Biber im 15. Jahrhundert kurzerhand zum Fisch erklärt wurde und in der Folge als begehrte Fastenspeise eine Karriere machte.

Biber (Castoridae). © Gerhard Schwab, bearbeitet

Über allfällige Fastengebote bei den Pfahlbauer*innen wissen wir nichts. Aber dass sie damals Biber assen, steht fest. Die Schnitte an den Knochen stammen diesmal eindeutig vom Zerlegen der Tiere. Gegessen wurden erwachsene Tiere ab drei Jahren, meist aber über achtjährige Exemplare. Im Knochenmaterial proportional übervertreten sind Unterkiefer. Glänzende Stellen am Knochen und Abnutzungsspuren an den Zähnen, die nicht vom Bäume nagen herrühren, zeigen, dass man die Unterkiefer als Werkzeuge verwendete. Mit den ultraharten Zähnen konnte man z. B. Holz oder Knochen bearbeiten. Der Unterkieferknochen diente dabei als Werkzeuggriff.

Der Biberunterkiefer kann als Werkzeug genutzt werden.

Mini-Muscheln zum Abendbrot?

Uns interessiert, ob die Pfahlbauer*innen auch Muscheln und Krebse gegessen haben. Dazu haben wir in den Fachbüchern aber keine Angaben entdeckt. In Pfahlbaufundstellen sind Erbsenmuscheln (Pisidium) nachgewiesen, allerdings meist in sehr geringer Zahl. Ob es sich lohnt, die maximal 1 cm grossen Muscheln zu essen und ob sie überhaupt geniessbar sind, haben wir nicht herausgefunden.

Auch über Krebse schweigen sich die Bücher aus. Gab es Krebse im Neolithikum und der Bronzezeit? Dohlenkrebs, Steinkrebs und Edelkrebs gelten als einheimisch. In den Pfahlbauten finden sich aber keine Spuren davon. Erhalten sich diese Krustentiere im Boden nicht? Dem widerspricht, dass sich z. B. in den Pfahlbauten von Zürich-Opéra (CH) Mundwerkzeuge von Kleinkrebsen im Boden bewahrt haben.

Erbsenmuschel (Pisidium sp.). Strich = 0.5 cm. CC Boris Lobastov, bearbeitet

Für einmal wollen wir euch nicht dazu ermuntern, Rezepte mit den Lebensmitteln zu kreieren, die wir in diesem Blogbeitrag thematisieren. Nicht, dass dann plötzlich Biberbauten verwaisen und die letzten Sumpfschildkröten-Populationen im Suppentopf landen! Daher braucht es diesmal eine Extraportion Kreativität. Macht Kalbsleber zu Schildkrötenleber oder bereitet einen falschen Biberbraten aus Wildfleisch zu. Wir freuen uns auf eure Rezeptideen!

Portrait Katharina Schäppi

Archäofacts

Hüster Plogmann, H. (2004) Fischfang und Kleintierbeute. Ergebnisse der Untersuchung von Tierresten aus den Schlämmproben. In: S. Jacomet/U. Leuzinger/J. Schibler. Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon Bleiche 3. Umwelt und Wirtschaft (Frauenfeld) 253-276. Link

Becker, C./ Johansson, F. (1981) Die neolithischen Ufersiedlungen von Twann. Bd. 11: Tierknochenfunde. Zweiter Bericht. Mittleres und oberes Schichtpaket (MS und OS) der Cortaillod-Kultur, Bd. 11 (Bern). Link

Butler, V. L. / Schroeder, R. A. (1998) Do digestive processes leave diagnostic traces on fish bones. Journal of Archaeological Science 25, 1998, 957-971. Link

Links

Zum Schildkrötenschutz in der Schweiz

Allgemein zur Sumpfschildkröte und ihrem Schutz in der Schweiz und der EU

Zum Bibermanagement in Bayern