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Kaugummi mit Teergeschmack

Wer dachte, Kaugummis seien eine moderne Erfindung, der irrt. Bereits die Neandertaler*innen kauten Kaugummi: eine schwarze gummiartige Masse mit würzigem Teergeschmack, hergestellt aus Birkenrinde. Es war der erste, von Menschen chemisch hergestellte Kunststoff. Allerdings war dieser weit mehr als nur Genussmittel, sondern diente vor allem als Superkleber der Urzeit. Aus Kaugummifunden lässt sich heute übrigens sogar ableiten, welche Augenfarbe die Kauenden hatten oder was sie zuletzt gegessen haben.  

Birkenrinde, der Rohstoff für Birkenpech.

Aus dem steinzeitlichen Chemielabor

Wie bei so vielen frühen Erfindungen liegt auch jene des Birkenpechs im Dunkeln. Wie kam der Mensch darauf, dass sich aus Birkenrinde eine schwarze, klebrige Masse herstellen lässt? Der älteste Nachweis von Birkenpech ist 50’000 Jahre alt. Ein*e Neandertaler*in hat damit eine Feuersteinklinge an einem Holzgriff befestigt  – und das rund 10’000 Jahre bevor die ersten Homo sapiens sapiens in Europa auftauchten. Dabei hat die Person unbeabsichtigt auch einen Hautabdruck der Hand hinterlassen. Wie genau das Herstellungsverfahren damals ablief, wissen wir jedoch nicht. Grundsätzlich entsteht Birkenpech durch die sogenannt trockene Destillation (Pyrolyse). Dazu erhitzt man die äussere, weisse Rinde der Birke unter Luftabschluss auf rund 400 °C. Sie wandelt sich um in Teer, vermischt mit Asche und Kohle. Je sauberer das Verfahren abläuft, desto reiner ist das Produkt. Vor der Erfindung der Keramik muss es Verfahren gegeben haben, Birkenrinde in vergänglichen Behältnissen unter Sauerstoffabschluss zu erhitzen. Später konnte der chemische Prozess in abgedichteten Tongefässen erfolgen. Das Produkt, das Birkenpech (oder in flüssiger Reinform der Birkenteer), bewahrte man in Töpfen oder zu Kugeln geformt auf und konnte es jederzeit durch Erhitzen wieder verflüssigen und verwenden. Aus der Pfahlbaufundstelle Bodman (D) stammt eine Keramikscherbe mit anhaftendem Birkenteer. Kratzspuren zeigen, dass man die erwärmte Masse mit einem Holzspatel aus dem Gefäss gekratzt hat.


Zu einer Kugel geformter Birkenpech aus der Pfahlbaufundstelle Sipplingen (D). © LAD, bearbeitet
Keramikscherbe aus der Pfahlbaufundstelle Bodman (D), mit anhaftendem Birkenpech, das mit einem Holzstäbchen ausgekratzt wurde. © LAD, bearbeitet

Superkleber der Steinzeit

Mit dem Birkenpech lässt sich (fast) alles kleben: Kaputte Töpfe, Steinklingen in Werkzeuggriffe, die Federn an einem Pfeilschaft. Selbst Holzgefässe und Einbäume kann man damit abdichten. Insbesondere in Pfahlbaufundstellen findet man deshalb immer wieder Feuersteinklingen (Silex) oder Pfeilspitzen mit anhaftenden Resten von Birkenteer, und wenn man Glück hat, noch Messer, Dolche oder Sicheln, die auch nach Jahrtausenden noch fest mit ihrem Holzgriff verbunden sind.

Replik eines Erntemessers nach einem Original von der Pfahlbaufundstelle Burgäschisee (CH). © Jonas Nyffeler, @jonescrafting, bearbeitet

Und weil unsere Vorfahr*innen nicht nur praktisch dachten, sondern schon immer Wert auf Ästhetik legten, nutzten sie den schwarzen Kleber ausserdem, um Verzierungen an Gefässen oder auf Holz anzubringen. Der Holzstiel einer Steinaxt aus Cham-Eslen (CH) ist mit perforierter Birkenrinde umwickelt, festgeklebt mit dem kontrastierenden schwarzen Klebemittel.

Doppelaxt aus Stein von der Pfahlbaufundstelle Cham-Eslen (CH). Um den Holzschaft ist perforierte Birkenrinde gewickelt, festgeklebt mit Birkenpech. © ADA Zug, Direktion des Innern (Archiv Archäologie)

War Kaugummikauen purer Genuss?

Was aber hat es mit den Zahnabdrücken in den Birkenpechstücken auf sich? Archäolog*innen finden vor allem in Feuchtbodenfundstellen wie den Pfahlbauten immer wieder kleine Birkenpechbrocken, auf denen die Menschen eindeutig herumgekaut und sie dann ausgespuckt haben. Birkenpech schmeckt (angeblich) süsslich würzig-aromatisch. Zudem enthält die verschwelte Birkenrinde Betulin, einen entzündungshemmenden Stoff, der vielleicht Zahnschmerzen gelindert hat. Experimente haben aber auch gezeigt, dass man frisch hergestelltes Birkenpech, das noch Holzkohlestückchen und Asche enthält, am besten durch Kauen reinigt. Die zunächst klumpige Masse knetet man im Mund, feste Bestandteile werden geschluckt oder ausgespuckt und zurück bleibt der reine Klebstoff. Wie beim Kaugummi gilt dann, nicht herunterschlucken, sondern ausspucken. Wir wissen aber nicht, was im Falle der Steinzeitkaugummis im Vordergrund stand: der Genuss, reiner Zeitvertrieb, die Schmerzlinderung oder die Verwendung als Klebstoff.

Birkenteerkaugummi mit Zahnabdrücken aus der Pfahlbaufundstelle Hornstaad-Hörnle (D). Strich = 1 cm © LAD, bearbeitet

Birkenpech konserviert DNA

Seit rund zwei Jahrzehnten ist es möglich, aus Knochen oder Zähnen alte menschliche DNA zu extrahieren. Das stark fragmentierte Erbgut wird in komplizierten Verfahren aufbereitet und vervielfältigt. Aus den Schnipseln lässt sich nicht nur das biologische Geschlecht ablesen, sondern seit einigen Jahren ist es auch möglich, die Haut-, Haar- und Augenfarbe zu eruieren. Was Detektive für die Suche nach Tätern verwenden, nutzten Archäolog*innen, um möglichst viele Informationen über frühere Menschen herauszukitzeln. Woher kamen sie, wie sahen sie aus, an welchen Krankheiten litten sie? Mittlerweile braucht es für solche Aussagen nicht mal mehr menschliche Überreste. Vor einigen Jahren entdeckte man, dass sich DNA in Birkenpechklumpen ausserordentlich gut erhält; nicht nur diejenige der Person, die ihn gekaut hat, sondern auch das Erbgut ihrer Mundflora und der Mahlzeit, die sie zuletzt gegessen hat. In einem Sumpf in Dänemark fanden Forscher*innen ein Stück Birkenpech mit Zahnabdrücken eines jugendlichen Individuums. Die Untersuchungen zeigten, dass eine junge Frau vor rund 5’700 Jahren (und damit gleich alt wie die Tonscherbe aus Bodmann) diesen Kaugummi ausgespuckt hat. Sie hatte blaue Augen, dunkelbraune Haare, eine dunkle Hautfarbe und war laktoseintolerant. Das Mädchen gehörte zu einer Gruppe von nomadisierenden Jäger*innen und Sammler*innen. Ihre direkten Vorfahren hatten sich noch nicht vermischt mit den gleichzeitig lebenden sesshaften Bauern oder den Pfahlbäuerinnen weiter südlich in Europa. Die mikrobielle DNA (Erbsubstanz von Viren und Bakterien) zeigte, dass die Kaugummikauerin vermutlich an Zahnfleischentzündungen litt. Sie trug ausserdem das Epstein-Barr-Virus in sich, welches das Pfeiffersche Drüsenfieber auslösen kann. Die Forscher*innen haben auch das Bakterium Streptococcus Pneomoniae nachgewiesen, eine der Hauptursachen für Lungenentzündungen. Neben all dem fand sich zudem Erbgut von Haselnuss und Stockente, womit feststeht, was das Mädchen zuletzt gegessen hat. Zu gern würde man wissen, wie diese Mahlzeit zubereitet worden ist, aber darüber können selbst die modernsten Analysemethoden keine Auskunft geben.

Die Silexklingen der beiden Erntemesser aus der Pfahlbaufundstelle Gachnang (CH) sind mit Birkenpech festgeklebt. Welche DNA-Informationen stecken wohl darin? © AATG

Wenn das Kauen von Birkenpech tatsächlich eine übliche Methode war, um den Klebstoff zu reinigen, dann steckt in jedem schwarzen Klümpchen davon nicht nur Information über das Aussehen der Kauer*innen, sondern auch über deren genetische Herkunft, Verwandtschaften, den Gesundheitszustand der Gesellschaft oder die Ernährungsgewohnheiten. Überlegt euch daher gut, wo ihr euren Kaugummi das nächste Mal entsorgt. Je nachdem extrahieren Archäolog*innen in einigen hundert oder tausend Jahren daraus eure komplette DNA und wer weiss, was es dann für Untersuchungsmethoden gibt. Vorerst empfehlen wir der Kaugummiindustrie zu ihren Wurzeln zurückzukehren und neue Sorten mit Birkenpechgeschmack zu lancieren.

Portrait Katharina Schäppi

Archäofacts

Fuchs, C., Wahl, J. (2013) Kaugummi oder Werkstoff? Birkenpechstücke aus der Pfahlbausiedlung Hornstaad-Hörnle. Denkmalpflege Baden-Württemberg 4, 2013, 240-245. Link zum Artikel

Junkmanns, J. (2001) Vom «Urnenharz» zum Birkenteer. Tugium 17, 83-90.

Jensen, T.Z.T., Niemann, J., Iversen, K.H. et al. (2019) A 5700 year-old human genome and oral microbiome from chewed birch pitch. Nat Commun 10, 5520, 2019. DOI: s41467-019-13549-9

Populärwissenschaftlicher Artikel zur Forschungsarbeit von Jensen et al.

Kozowyk, P.R.B., Soressi, M., Pomstra, D. et al. (2017) Experimental methods for the Palaeolithic dry distillation of birch bark: implications for the origin and development of Neandertal adhesive technology. Sci Rep 7, 8033, 2017. DOI: 0.1038/s41598-017-08106-7

Wie Neanderthaler Birkenteer hergestellt haben könnten

Grünkern – Ernte gerettet

Der „Grünkernbratling“ war eines der ersten Gerichte, das in Restaurants als vegetarische Alternative zur Bulette angeboten wurde – oft ein trockenes, sowohl optisch wie geschmacklich fragwürdiges Vergnügen. Grünkern ist unreif (grün) geernteter Dinkel. Das „Ur-Getreide“ Dinkel erlebte in den letzten Jahren ein Revival, nachdem es lange Zeit kaum noch auf unseren Feldern wuchs. Und das hat es auch verdient, denn das Korn ist ein echtes Superfood: vielseitig, lecker und gesund.

Ist UrDinkel Urdinkel?

In der Schweiz sieht man in manchen Getreidefeldern „UrDinkel“-Schilder. Der Markenbegriff wird für alte Sorten verwendet, die nicht mit modernen Weizensorten gekreuzt sind. Aber ist Dinkel (auch Spelz oder Kernen genannt) wirklich urzeitlich?

Der bisher älteste Nachweis von Dinkel (Triticum spelta) stammt aus der Schweiz vom Ende der Steinzeit (um 2300 v. Chr.). In einer Landsiedlung oberhalb des Neuenburgersees (Gemeinde Cortaillod) haben Archäolog*innen Vorratsgruben aus dieser Zeit mit grossen Mengen von Dinkelkörnern und Eicheln gefunden. Woher die damals offenbar neu eingeführte Getreideart ursprünglich herkommt und wie sie sich ausgebreitet hat, diskutieren die Forscher*innen noch heiss. Erst in der Bronzezeit zählt Dinkel zum regelmässig angebauten Getreidesortiment. Ganz Ur ist der Dinkel also nicht. Vor ihm waren Emmer, Einkorn, Gerste und Weizen – sozusagen die Urahnen des UrDinkels.

Dinkelkorn. © Stefani Jacomet

Besser unreif als gar nichts

Ein früher Kälteeinbruch? Ein verregneter Sommer mit Gefahr der Ausbreitung von Schimmel oder Mutterkorn? Alle Getreidevorräte vom letzten Jahr sind aufgebraucht? Dann lohnt es sich, das Getreide zu ernten, auch wenn es noch nicht ganz reif ist. Neben anderen Getreidearten eignet sich vor allem Dinkel für eine bis zu einem Monat vorgezogene Ernte. Dass man vor allem Dinkel als Grünkern bis in historische Zeit unreif erntete, dürfte an seiner genügsamen Art liegen: Er wächst auch noch auf nährstoffarmen Böden und das Korn ist in den Spelzen gut gegen Regen und Frost geschützt. Dinkel ist daher bestens für Standorte geeignet, auf denen anspruchsvollere Getreide nicht mehr gedeihen, wo aber handkehrum die Witterung unberechenbarer und Noternten öfters vorkommen.

Daher ist grün geernteter Dinkel seit Jahrhunderten in einigen Regionen Nordostbadens, der Schwäbischen Alb und Frankens eine Spezialität. Seit 2015 ist die Bezeichnung „fränkischer Grünkern“ sogar eine geschützte europäische Ursprungsbezeichnung. Ein ähnliches Nahrungsmittel ist Freekeh/Farik aus dem arabischen Raum (unreifer Nacktweizen), der heute als Superfood Schlagzeilen macht.

Darrpfanne zum Trocknen von Grünkern in Sindolsheim (D). CC by Friedrichsen

Darren und Rösten

Die unreif geernteten Dinkel-Körner enthalten noch viel Feuchtigkeit, deshalb sollte man sie sofort trocknen oder darren. Das grünlich-glasige Ergebnis sieht erstmal nicht sehr appetitlich aus. Aber die weichen Körner haben ein fantastisch nussiges, intensives Aroma. Wenn man sie weiter röstet, bis sie schön braun sind, kann man sie vielfältig verwenden: als Snack, Topping auf Salat oder Suppen oder – grob gemörsert – als Müesli. Der Vorteil ist, dass das Endprodukt lange lagerfähig ist. Die gerösteten Körner kann man ausserdem direkt ohne weiteres Kochen oder Backen verzehren.

Grünkern, ganze Körner und gemahlen (rechts geröstet).

Ob die Pfahlbauer*innen den Dinkel reif oder unreif geerntet haben, hat man bis jetzt nicht untersucht. Aber aus der späten Eisenzeit gibt es Nachweise von Grünkern bzw. von Dinkel in verschiedenen Reifestadien von Hochdorf, Baden-Württemberg (D).

Kaffee und Kuchen: Grünkern für alle

Für uns waren geröstete Dinkelkerne jedenfalls eine echte Entdeckung, und es gibt eine ganze Menge Rezepte, in denen wir sie verwendet haben. Sogar heimischen Kaffee kannst du damit zubereiten: Das Rezept für den feinen Getreidekaffee findest du hier. Mit Grünkernmehl kannst du zudem Kuchen, Brote und Pfannkuchen backen.

In der erwähnten 4300 Jahre alten Fundstelle am Neuenburgersee hat man neben Dinkel übrigens auch noch grössere Mengen von Haselnüssen, Eicheln, Äpfeln und sogar Wacholderbeeren gefunden – welche Rezepte unsere Vorfahr*innen damit wohl gekocht oder gebacken haben?

Portrait Renate Ebersbach
Archäofacts

Akeret, Ö. (2005) Plant remains from a Bell Beaker site in Switzerland, and the beginnings of Triticum spelta (spelt) cultivation in Europe. Vegetation History and Archaeobotany 14, 279-286. doi:10.1007/s00334-005-0071-1

Berihuete-Azorín, M., Stika, H.-P., Hallama, M. and S.M. Valamoti 2020. Distinguishing ripe spelt from processed green spelt (Grünkern) grains: Methodological aspects and the case of early La Tène Hochdorf (Vaihingen a.d. Enz, Germany). Journal of Archaeological Science 118: 105-143.

Ötzi: Mit vollem Magen ermordet

Im Herbst 1991 fanden Bergsteiger an der österreich-italienischen Grenze auf dem Tisenjoch (3210 m. ü. M., Ötztaler Alpen) eine Leiche im Eis. Sie war von allerlei merkwürdigen Gegenständen umgeben und nach genauerer Begutachtung der Gras- und Fellkleidung, des Köchers und des Kupferbeils wurde klar: Dies ist keine Gletscherleiche aus den letzten Jahrhunderten, sondern jemand, der bereits um 3200 v. Chr. zu Tode kam. Mehr noch: Er war von hinten mit einem Pfeil angeschossen und tödlich verletzt worden. Das Opfer des spannenden Kriminalfalls aus der Zeit der Pfahlbauer*innen hat einen Namen, den wir heute alle kennen: Ötzi.

So soll Ötzi ausgesehen haben. Rekonstruktion im Südtiroler Archäologiemuseum. © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it

Tattoos und eine Raucherlunge

Der Mann war etwa 45 Jahre alt, 1,60 m gross und hatte Schuhgrösse 35. Die sehr gute Erhaltung des Toten aus dem Eis führte dazu, dass man sogar 5200 Jahre später noch alles untersuchen konnte, was da war; vermutlich ist Ötzi die am besten untersuchte Mumie Europas. Wir wissen deshalb, dass die Gletschermumie tätowiert war, Gallensteine und eine Raucherlunge hatte, wie vermutlich die meisten prähistorischen Menschen, die ihr Leben lang am offenen Feuer sassen. Wir wissen auch, dass Ötzi laktoseintolerant war, was ebenfalls üblich war zu dieser Zeit in Europa. Ebenfalls aufschlussreich wie die Leiche selbst war Ötzis Ausrüstung, darunter ein schon ziemlich abgenutzter Dolch aus oberitalienischem Silex. Das Herkunftsgebiet (Monti Lessini am Gardasee) ist von der Fundstelle gut 200 km entfernt. Feuersteingeräte aus diesem Rohmaterial kommen in den Pfahlbauten nördlich der Alpen regelmässig vor. Bemerkenswerter war das Kupferbeil, dessen Rohmaterial aus der Toskana stammt, was zu dieser Zeit sehr selten war.

Ötzis Dolch aus Monte Lessini-Silex. CC by Wierer et al. 2018, bearbeitet

In einer Gürteltasche hatte Ötzi ausserdem verschiedenes Werkzeug, darunter sein „Feuerzeug“ und Stücke eines Birkenporlings (Fomitopsis betulina). Dabei könnte es sich um ein Heilmittel gehandelt haben, denn ein Aufguss aus Birkenporling hilft gegen Würmer und Magenbeschwerden. Und letztere hatte er wahrscheinlich, denn in seinem Magen wies man Bakterien der Art Helicobacter pylori nach, die zu Magenschleimhautentzündungen führen können. Auch Darmparasiten (Peitschenwurm, Trichuris trichchiura) konnten die Forscher*innen identifizieren. Der Mageninhalt zeigt ausserdem, was Ötzi vor seinem gewaltsamen Tod zuletzt gegessen hatte. Und das war in verschiedener Hinsicht durchaus überraschend. Isotopenanalysen an Ötzis Haaren klassifizierten ihn zunächst als Vegetarier, Fleischfasern im Magen entlarvten ihn aber als Omnivoren.

Zwei auf einen Fellstreifen aufgefädelte Birkenporlinge dienten wahrscheinlich zu medizinischen Zwecken. © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it

Satt in den Tod

Die letzte Mahlzeit hat Ötzi erst kurz – maximal eine Stunde – vor seinem Tod eingekommen, der Magen war nämlich reichlich gefüllt. Es ist unklar, ob Ötzi diese Rast am Joch einlegte und dort dann auch getötet wurde, oder ob er kurz nach seiner letzten Mahlzeit angeschossen wurden und sich dann noch zum Joch hochschleppte. Jede/r erfahrene Bergsteiger*in weiss, dass umfangreiche Mahlzeiten bei steilen Aufstiegen schwer im Magen liegen und würde deshalb wohl erst auf dem Pass essen. Das jedoch dürfte für Ötzi in seiner letzten Stunde die geringste Sorge gewesen sein.

Ausgewogene Bergsteigernahrung

Die Hälfte von Ötzis Mageninhalt bestand aus tierischem Fett und/oder Milchprodukten. Dazu konnte man Pflanzenöle nachweisen, allerdings nicht deren genaue Herkunft. Wer weiss, vielleicht hat Ötzi Lein, Mohn oder ähnliches gegessen. Enthalten waren ausserdem Fleischfasern von Alpensteinbock (Capra ibex) und Rothirsch (Cervus elaphus), die nicht gekocht waren. Ötzi hat sie also entweder roh, getrocknet oder geräuchert gegessen. Im Magen waren auch Flitter von Kohlenstoff enthalten. Es ist aber nicht nachzuweisen, ob diese z. B. am Trockenfleisch waren oder beim Essen am offenen Feuer an den Fingern oder den Nahrungsmitteln anhafteten und dann mit geschluckt wurden. Ausserdem enthielt Ötzis letzte Mahlzeit Einkorn, und zwar in Form ganzer Körner.

A: Ötzis Magen-Darm-Trakt. In der Röntgenaufnahme ist der volle Magen zu sehen. Drei Proben wurden entnommen (Pfeile) und rehydriert. Darin fanden sich B: Tierische Muskelfasern. C: Pflanzliches Gewebe. CC by Maixner et al. 2018, bearbeitet

Eintopf und Trockenfleisch als Wandersnack

Einkorn und Rothirsch sind in Pfahlbauten reichlich belegt. Seltener, aber trotzdem nachgewiesen sind die alpinen Jagdtiere Steinbock und Gemse. Wie genau das letzte Mahl aussah, das Ötzi zu sich genommen hat, ist schwierig zu rekonstruieren. Denkbar sind ein dicker Eintopf aus Einkorn mit Trockenfleisch, salzige Müesliriegel aus gekochtem Getreide, Fett und Trockenfleisch oder einzeln verzehrte Nahrungsmittel: Trockenfleisch, Käse oder Fett und vorgekochtes Getreide. Jedenfalls hatte Ötzi reichlich Proviant dabei, den er bei seiner letzten Rast allerdings vollständig verzehrt hat; in seinen übrigen Behältnissen, die er bei sich trug, waren keine Essensreste enthalten. Ötzi hat zwar jede Menge Fleisch und tierische Produkte gegessen, aber wir können nicht wissen, ob das die damals übliche Ernährung in der Pfahlbauzeit war, oder ob es ein spezielles Bergsteigergericht war oder ganz einfach das, was er gerade bei sich hatte.

Daraus kochen wir Ötzis letztes Mahl.

Klopapier im Magen

Im Magen konnte man auch Adlerfarn (Pteridium aquilinum) nachweisen, der eigentlich giftig ist. Möglicherweise hat Ötzi den Adlerfarn nicht gegessen, sondern ihn z. B. als Verpackung eines Bergsteiger-Kraftriegels oder Käses verwendet. Adlerfarn ist aus Pfahlbauten relativ häufig nachgewiesen, kann aber für alles Mögliche verwendet worden sein. Historisch belegt ist die Nutzung von Adlerfarn als Einstreu. In Ötzis Magen fand man ebenfalls Pollen von Europäischer Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia). Diese Pflanze ist in Pfahlbauten nördlich der Alpen nicht belegt. Heute sind Hopfenbuchen unter anderem in Südtirol, in Südbünden und im Tessin vorhanden. Der Nachweis von Hopfenbuche in Ötzis Magen belegt, dass er vor seinem Tod von der Südtiroler Seite her auf das Joch aufstieg, dort kann er diese Pollen z. B. beim Wassertrinken aufgenommen haben. Hopfenbuchen kommen heute bis auf 1300 m. ü. M. vor. In Pfahlbauten durchaus belegt ist dagegen das krausblättrige Neckermoos (Neckera complanata), das sich ebenfalls in Ötzis Magen fand – das Moos haben die Pfahlbauer*innen vermutlich auch für ihre Körperhygiene verwendet. Wieso Ötzi Moos in seinem Magen hatte, bleibt sein Geheimnis.

Portrait Renate Ebersbach
Archaeofacts

Maixner, F. et al. (2018) The Iceman’s Last Meal Consisted of Fat, Wild Meat, and Cereals. Current Biology, Vol. 28, Issue 14, 2348-2355. DOI: doi.org/10.1016/j.cub.2018.05.067

Wierer U et al. (2018) The Iceman’s lithic toolkit: Raw material, technology, typology and use. PLOS ONE 13(6): e0198292. DOI: doi.org/10.1371/journal.pone.0198292

Hochaufgelöste Fotos der Mumie und ihrer Tätowierungen: icemanphotoscan.eu/

Tipps

Wer mal in der Region ist, sollte Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen einen Besuch abstatten: www.iceman.it/de

Für Wanderfreunde bietet sich auch ein Besuch der Fundstelle an. Beim Aufstieg von Süden kann man dann gleich noch den Archeoparc Schnalstal besichtigen (www.archeoparc.it/)

Gab´s schon Salz in der Steinzeitsuppe?

Wusstest du, dass man Salz durch Asche ersetzen kann? Mehr dazu erfährst du weiter unten. Salz schmeckt uns Menschen – es verstärkt das Aroma vieler Lebensmittel und gibt den Gerichten mehr Tiefe. Für unseren Körper ist Salz sogar lebensnotwendig, aber sowohl zu viel wie zu wenig ist schädlich. Heute findet man es in vielen Nahrungsmitteln und sogar in Produkten, wo man es nicht erwarten würde, z. B. in Nutella oder Joghurt. Die WHO empfiehlt, pro Person und Tag weniger als 5 g Salz zu essen. Durchschnittlich konsumieren Deutsche allerdings 10 g (Männer) bzw. 8,4 g (Frauen) täglich.

Wie war es bei den Pfahlbauer*innen? Haben Sie ihre Suppe schon gesalzen oder nicht? Archäologisch gibt es nur wenige Möglichkeiten, den Salzkonsum nachzuweisen. In Wasser löst sich Salz auf, nach der Verdauung bleiben keine Rückstände, botanisch oder chemisch ist nichts sichtbar. Was also wissen wir über den jungsteinzeitlichen Salz-Konsum?

Mit Salz wurde man reich

Eine Möglichkeit, um nachzuweisen, dass Salz schon früh ein Thema war, ist der bergmännische Abbau von Steinsalz. In Hallstatt (Österreich) gab es erwiesenermassen einen professionellen, arbeitsteilig organisierten Salzabbau seit der mittleren Bronzezeit (um 1500 v. Chr.).

Rekonstruktion des bronzezeitlichen Bergbaus in Hallstatt. © H. Reschreiter, D. Gröbner, NHM Wien

Einzelne Funde aus dem Hallstätter Salzbergwerk datieren sogar schon in die Jungsteinzeit. Der Aufwand für den Salzabbau im Berg wurde sicher nicht nur für den Eigenbedarf oder den des nächsten Dorfes betrieben. Vielmehr wurde das „weisse Gold“ verhandelt, was im Tal von Hallstatt zu grossem Reichtum geführt hat. Die Gräber der bestatteten Bergleute im abgelegenen Tal strotzen nur so von aussergewöhnlichen Beigaben. Dieser Fundreichtum hat die Archäolog*innen des 19. Jahrhunderts dazu veranlasst, eine ganze Epoche nach dieser Fundstelle zu benennen: Die Hallstattzeit (ältere Eisenzeit). Neben Hallstatt gibt es noch weitere grosse Salzvorkommen in Europa, von denen teilweise auch prähistorischer Abbau bekannt ist, z. B. in Hallein im österreichischen Salzburgerland.

Zeichnungen reich ausgestatter Gräber aus Hallstatt. CC J. G. Ramsauer, bearbeitet

Das unsichtbare Salz

Auch aus salzhaltigen Quellen kann man Salz gewinnen. Dazu verdampft man das Wasser in Keramikgefässen, den sogenannten «Briquetages». Jungsteinzeitliche Nachweise gibt es z. B. aus Lons-le-Saunier im französischen Jura und aus der Gegend um Halle (Sachsen-Anhalt). Wir wissen von umfassenden Tauschnetzwerken im Alpenraum, in denen die Menschen Silex, Schmuck, Steinbeile und Vieles andere weitergegeben haben – sehr gut möglich, dass dazu auch das archäologisch unsichtbare Salz gehörte?

Urgeschichtlich Briquetage-Gefässe aus Halle (AU). © Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, bearbeitet

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Pfahlbauer*innen schon in der Jungsteinzeit Salz für ihre Suppe hatten, ist also hoch. Vermutlich war es aber nicht so einfach und in so grossen Mengen verfügbar wie heute. Sicher war es kostbares Gut, denn es dient nicht nur zum Würzen von Speisen, sondern macht Lebensmittel auch länger haltbar. Vor Tausenden von Jahren war das besonders wichtig für die Wintermonate. Gemüse, das man im Spätsommer erntete, konnte man mit Salz zum Beispiel einlegen, fermentieren und somit haltbar machen. Auch zur Herstellung von Hartkäse oder Pökelfleisch braucht man viel Salz. Ob die Pfahlbauer*innen diese Techniken bereits kannten, wissen wir nicht.

Gesalzene Funde aus dem Berg

Das Salz im Hallstätter Bergwerk hat übrigens nicht nur das Essen der Bergleute konserviert, sondern auch deren Abfälle und Werkzeuge, ja sogar ihre Kothaufen. Selbst Wolle und Leder, die sich in Pfahlbaufundstellen nicht erhalten, haben Archäolog*innen im Berg gefunden. Im 19. Jahrhundert entdeckte man beim neuzeitlichen Salzabbau die Mumien verunglückter Bergleute. Sie waren perfekt erhalten dank dem Salz.

Bronzezeitlicher Bergbau in Hallstatt (AU). CC D. Groebner, H. Reschreiter

Bronzezeitlicher Tragsack aus ungegerbter Rinderhaut aus dem Hallstätter Salzbergwerk. CC Andreas. W. Rausch; Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien, bearbeitet
Menschliche Exkremente aus dem Hallstätter Salzbergwerk. CC Andreas W. Rausch; Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien
Brettchengewobenes Band aus Wolle aus dem Hallstätter Salzbergwerk. CC Andreas W. Rausch; Prähistorische Abteilung des Naturhistorischen Museums Wien

Asche ersetzt Salz

Ob die Pfahlbauer*innen schon mit Salz gekocht haben, können wir also nur vermuten. Alternativ kann man einen salzigen Geschmack übrigens auch durch die Verwendung von Asche oder von Salzpflanzen (botanisch: Halophyten) wie z. B. Sellerie (Apium graveolens) erzeugen. Sellerie ist eine nicht einheimische Pflanze, die schon in der Jungsteinzeit im Alpenvorland auftaucht, zusammen mit Dill (Anethum graveolens).

Blühende Selleriepflanze.

Beim Ausprobieren neuer Pfahlbauten-Rezepte waren wir überrascht, wie sehr wir uns an den Geschmack von (zu viel) Salz gewöhnt haben und wie anders unsere Lieblingsgerichte schmecken, wenn wir mal versuchen, das Salz durch Kräuter oder andere Gewürze zu ersetzen. Probiere es doch auch einmal aus. Trockne verschiedene Kräuter und würze damit deine Speisen. Wir freuen uns, wenn du deine Würz-Erlebnisse mit uns teilst.

Portrait Renate Ebersbach
Archäofacts

Barth, F. E./Reschreiter, H. (2019) Prähistorische Bergbauspuren im Kernverwässerungswerk des Salzbergwerkes Hallstatt. ArchOn (Archäologie Online Hallstatt) Bd. 1 (Wien).

Mehr Info zum Salzbergwerk in Hallstatt gibt es hier: https://www.salzwelten.at/de/hallstatt/archaeologie/

YouTube Film zum prähistorischen Bergbau in Hallstatt:  https://www.hallstatt.net/ueber-hallstatt/geschichte/eine-stiege-schreibt-geschichte/

Und hier geht’s zum Stiegen-Blog: http://hallstatt-forschung.blogspot.com

Eiche sei Dank!

«Auf den Eichen wachsen die besten Schinken», besagt eine Redewendung. Früher liess man Schweine in Eichenwäldern weiden, wo sie die Eicheln frassen und würzigen Speck ansetzen. Die Pfahlbauer*innen setzten auf Direktverwertung und sammelten die stärke-, eiweiss- und fetthaltigen Früchte für sich als Wintervorrat.

Blick in die Baumkronen von Eichen. Hier oben hängen die Früchte.

Gewusst wie

Während Schweine und Waldtiere rohe Eicheln gut vertragen, sind die Früchte aufgrund ihres hohen Anteils an Gerbsäure für Menschen giftig. Sie verursachen Magengrummeln, Verstopfungen und neurologische Probleme. Die bitteren Gerbstoffe kann man jedoch entfernen: Durch mehrtägiges Wässern oder Kochen mit Zusatz von Asche. Offenbar war dies den Menschen damals schon bekannt. In Pfahlbausiedlungen der Stein- und Bronzezeit sind Eicheln oft nachgewiesen. Ein grosses Tongefäss der Fundstelle Zug-Sumpf war bei der Entdeckung zur Hälfte gefüllt mit geschälten Eicheln. Im Topfinnern klebten angebrannte Eichelhälften in einer breiartigen Masse mit kleinen Luftbläschen. Hier köchelte offensichtlich vor 2950 Jahren ein Eichelgericht. Andernorts hat man Eicheln zusammen mit Äpfeln, Haselnüssen oder Getreide gefunden, womit wir bereits Inspirationen für süsse und salzige Rezepte haben. Danke Pfahlbauer*innen!

Tongefässe aus der Pfahlbaufundstelle Zug-Sumpf. © Museum für Urgeschichte(n) Zug, Res Eichenberger

Muckefuck: Eicheln in der Kaffeetasse

Aus jüngeren Zeiten sind Eicheln vor allem als Notnahrung bekannt, in Form von Eichelbrot, Suppe, Eichelkakao oder Kaffeeersatz. Der Ruf der wertvollen Baumfrucht ist daher – völlig zu Unrecht – nicht der Beste. «Muckefuck» heisst der Kaffeeersatz aus Eicheln, Getreide oder Zichorien. Sie sind eine gute Alternative für alle, die den Genuss von Kaffe ohne aufputschendes Koffein suchen. Warum also nicht mal im Stil der Pfahlbauzeit eine Tasse «Eichel-Cappuccino» mit Haselnussmilch zum Frühstück geniessen?

Eicheln sind ein guter Kaffeersatz, dienen aber auch als Mehlersatz.

«From Wurzel to Krone»

Die Eiche war den Pfahlbauern ein wichtiger Baum, der quasi «from Wurzel to Krone» verwertet wurde. Eichenholz war als Bauholz beliebt, vor allem um daraus die Pfähle für die Häuser herzustellen, die in den feuchten Untergrund eingerammten waren. Die Gerbsäure hält Schädlinge fern und macht das Holz widerstandsfähig gegen Fäulnis. Eichenrinde kann zum Gerben von Leder oder Färben von Stoffen benutzt werden. Eichenlaub oder belaubte Eichenäste dienten als Einstreu für die Tiere und wahrscheinlich auch als weiche Unterlage für die Schlafstätten der Pfahlbauer*innen.

Eichenrinde gerbt Leder.

Mastjahr: Wenn die Schweine den Wald erobern

Die Eicheln sind ab September reif. Besonders nach den ersten Herbststürmen liegen sie zuhauf unter den Bäumen. An einem Waldrand mit mehreren Eichen können Bäume mit unterschiedlichen Früchten vorkommen: langschmal, rundlich, spitz oder stumpf zulaufend, zudem zu verschiedenen Zeiten ausreifend. Während die einen Eicheln erst spät vom Baum fallen, haben die Früchte des benachbarten Baumes bereits gekeimt. Sicher sind sie auch geschmacklich unterschiedlich. Hier gilt es, eine Vielfalt zu entdecken.

Die Novemberszene im Stundenbuch Très Riches Heures des Duc de Berry von 1485/86 zeigt, wie die Schweine in den Eichenwald getrieben werden. CC R.M.N. / R.-G. Ojéda

Die Pfahlbauer werden wohl ihre Lieblingsbäume gehabt haben, die nicht gefällt und Generationen mit Nahrung versorgt haben. Alle paar Jahre ist ein «Mastjahr», bei dem die Waldbäume voll sind mit Eicheln, aber auch Bucheckern, Fichten, Ahorn oder Linde tragen dann Früchte. Der Name kommt noch von früheren Zeiten, als Bauern ihre Schweine in diesen Jahren in die Wälder trieben, damit sich die Tiere vollfressen konnten. 2020 war so ein Mastjahr. In zwei bis zwölf Jahren, je nach Wetterverlauf, ist wieder damit zu rechnen. Glücklich jene, die sich letztes Jahr einen grossen Vorrat angelegt haben.

Portrait Katharina Schäppi

Archäofacts

Ausführungen zur Verwendung von Eicheln durch die Zeiten.

Karg, S./ Haas, J.-N. (1996) Indizien für den Gebrauch von mitteleuropäischen Eicheln als prähistorische Nahrungsressource. Tübinger Monographien der Urgeschichte 11, (Festschrift H. Müller-Beck) 1996, 429-435.

Lüders, E.(1946) 10 [Pfund] Eicheln sind 7 [Pfund] Eichelmehl. Ein Eichelkochbuch. Wiederaufbau der deutschen Ernährung, Band 4.

Jagd auf Fleisch und Trophäen

Wildfleisch verbinden wir heute mit der Jagdsaison im Herbst, Jäger*innen auf dem Hochsitz und Rehpfeffer mit Spätzli. Es bringt auf unsere Teller einen Hauch Wildheit und Abwechslung zum Fleisch unserer Nutztiere. Bei den Pfahlbauer*innen war Wild weniger die Ausnahme, sondern oft die Regel. Die versierten Jäger*innen brachten von ihrer Pirsch allerlei Wildtiere nach Hause. Das ganze Jahr hindurch erlegten sie Hirsche, Rehe und Wildschweine, sowie auch viele Pelztiere wie Fuchs, Iltis, Marder, Dachs, Wildkatze, Biber oder Fischotter. Die Pfahlbauer*innen erlegten aber auch sehr grosse und gefährliche Tiere, z. B. Ur (auch Auerochse genannt), Wisent, Bär und Wolf, sowie sehr kleine Tiere, bei denen man sich fragt, ob man die wirklich noch essen kann oder will, z. B. Igel, Eichhörnchen oder Singvögel. Knochen von Tierarten wie Steinbock und Gemse aus Pfahlbauten zeigen uns, dass die Jäger*innen damals Ausflüge bis in die Berge unternommen haben. Ob man dabei auch einen Hut mit „Gamsbart“ trug, werden wir leider nie in Erfahrung bringen, denn in den Pfahlbaufundstellen sind keine Haare erhalten.

Ein Rothirsch beim Äsen.

Stossdämpfer aus Hirschgeweih

Hirsche waren die wichtigsten Jagdtiere und lieferten einen beträchtlichen Teil des Fleisches, das die Pfahlbauer*innen assen. In manchen Zeiten und Regionen war Hirschfleisch häufiger im Topf als das Fleisch von Haustieren. Auch das Geweih war ein wichtiges Rohmaterial für Geräte, Griffe oder die genialen „Zwischenfutter“ in den Beilen. Diese Geweihstücke wurden zwischen einem Steinbeil und dem Holzgriff als „Stossdämpfer“ eingesetzt, der verhindern sollte, dass das Steinbeil bei Gebrauch des Beiles den Holm zerstörte. Ein Zwischenfutter herzustellen ist wesentlich weniger Arbeit als einen Holm zu schnitzen oder gar ein neues Steinbeil zu schleifen.

Steinbeil mit „Zwischenfutter“ aus Hirschgeweih. CC by Roland Fischer, bearbeitet
Wie ein fertiges Beil aussieht, findet ihr hier.

Ötzi trug Lederleggins

Neben dem Fleisch hatten die Jagdtiere aber auch noch andere Bedeutungen. Die Verarbeitung und Nutzung von wärmenden Pelzen ist ebenso belegt wie die Verwendung von Tierknochen und -zähnen als Schmuck. Ötzis Kleidung bestand ausschliesslich aus Fell und Leder: Seine Leggins waren aus Ziegenleder, der Mantel aus Ziegen- und Schaffell , die Mütze aus wärmendem Bärenfell und die Schnürsenkel aus Rinderleder. Wer weiss, ob bei ihm zu Hause auch ein Bärenfell vor der Feuerstelle lag, so wie in Chalain 3 (CH), wo Archäolog*innen neben einer Feuerstelle die Knochen von zwei Vorderpfoten und einer Hinterpfote eines Bären gefunden haben.

An der Wand oder über dem Eingang hingen vielleicht ein Geweih oder die mächtigen Hörner eines Auerochsen. Solche sogenannten Bukranien – also Teile des Stirn-Schädels mit den Hörnern oder dem Geweih – sind heute noch beliebte Andenken und Beweise einer erfolgreichen Jagd.

Bukranium eines Auerochsen aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG, bearbeitet

Nicht nur das Haus, sondern auch sich selbst schmückten die Pfahlbauer*innen mit Jagdtrophäen. Durchbohrte Eckzähne von Wolf und Bär waren sehr beliebt, und von den Eckzähnen der männlichen Hirsche, den sogenannten „Grandeln“, hat man sogar Fälschungen aus Elfenbein oder Hirschgeweih hergestellt – offensichtlich waren das sehr wichtige und beliebte Symbole! Auch Kleintiere wie Igel oder Eichhörnchen hatten offensichtlich eine besondere Bedeutung, denn häufig werden Unterkiefer mit „Politurglanz“ gefunden, der entsteht, wenn die Stücke auf Kleidung oder Haut scheuern, weil sie z. B. an einer Halskette getragen werden. Vielleicht trug man auch Federn oder schmückte damit die Kleidung… Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt!

Bärenzahnanhänger aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche 3 (CH). © AATG, bearbeitet

Im Hirschknochen stecken Pfeile

Die Pfahlbauer*innen haben verschiedene Geräte zur Jagd verwendet, so viel ist uns bekannt. Natürlich fallen uns als erstes Pfeil und Bogen ein, und tatsächlich gibt es mehrere Hirschknochen mit noch darin steckenden Resten von Pfeilspitzen aus Feuerstein.

Pfeil, Bogen und Pfeilspitzen von der Pfahbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). © KASH, bearbeitet

Aber auch andere Jagdmethoden sind durchaus denkbar: Netze kann man auch für die Vogeljagd einsetzen, Fallen und Schlingen könnten auch verwendet worden sein, was aber kaum bewiesen werden kann. Vielleicht haben die Jäger*innen damals auch auf die Treibjagd gesetzt, ist doch der Hund schon seit dem Ende der letzten Eiszeit ein treuer Begleiter des Menschen.

Hirschknochen mit darin steckender Pfeilspitze aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche 3 (CH). STrich = 1 cm. © AATG, bearbeitet

Wildfleisch für alle!

Die Verteilung der Wildtierknochen über einzelne Häuser einer Siedlung zeigt, dass nicht überall gleich viel Wildfleisch auf den Tisch kam. In Arbon gab es zwei Häuser, in denen es besonders viele Wildtierknochen hatte, darunter auch von seltenen Arten wie Ur oder Bär. Ob in diesen Häusern besonders versierte Jäger gelebt haben? Oder ob die Pfahlbauerfamilien hier einfach nur besonders gerne Wild gegessen haben? Die Skelettteile zeigen, dass die Pfahlbauer*innen hier vor allem ihre Jagdbeute zerlegt haben. Zurück blieben Rumpf, Kopf und Pfoten, während sie die fleischreichen Körperteile weiterverteilt haben. Vielleicht haben sie aber auch Leder weiterverarbeitet und gegerbt.

Vielseitig verwendbar; ein Braunbär. CC by Robert F. Tobler

Wie die Jagdbeute (und das Fleisch generell) in der Siedlung verteilt wurde und welche Hausbewohner*innen sich einen Hirsch teilten, wissen wir meistens nicht, da wir den einzelnen Knochen nicht ansehen, ob sie vom gleichen Tier stammen – und im Laufe der Jahre haben sich natürlich die Reste von sehr vielen Hirschen in der Siedlung angesammelt. Aber in speziellen Fällen kann man dennoch rekonstruieren, wie man die Jagdbeute aufteilte:  In Arbon Bleiche 3 fanden die Ausgräber*innen in nur wenigen Häusern Knochen von insgesamt vier Bärenindividuen. Die fleischreichen Teile konzentrierten sich auf noch weniger Haushalte. Auffallend waren die starken Brandspuren an den Pfotenknochen. Hat man die Bärentatzen auf dem Grill zubereitet, oder eher so, wie es ein Schweizer Kochbuch von 1909 empfiehlt?

„Die vordern Tatzen sind besser als die hintern; sie werden gehörig gewaschen und enthäutet. Setzt sie mit reichlich Wasser aufs Feuer und lässt sie 15-20 Minuten abblanchieren. Unterdessen wird ein Sud wie zu Wildschweinbrust fertig gemacht, kocht die Tatzen so lange darin, bis die Knochen sich leicht herauslösen lassen, je nach dem Alter der Tiere 5-7 Stunden, hebe sie auf ein Brett heraus, beine sie gut aus, ohne zu stark zu zerreissen, legt sie in eine mehr flache als tiefe Schüssel, gibt wieder Sud darüber und lässt sie erkalten. Zum Fertigmachen werden die Tatzen abgewischt, in mässig grosse Stücke geschnitten, in geschmolzene Butter getaucht, im Paniermehl gewälzt und in einer flachen Pfanne in heisser Butter gebraten.“

Ein interessantes Rezept! Es könnte direkt aus der Jungsteinzeit oder Bronzezeit stammen. Interessant auch deshalb, weil 1904 in der Schweiz der letzte Bär geschossen wurde – vor der Wiedereinwanderung dieser Raubtiere in den letzten Jahren. Die Jagd auf Bären ist heute ein heiss diskutiertes Thema. Wir haben uns weniger umstrittene, alternative Wildrezepte mit Reh und Wildschwein für dich ausgedacht. Wie bereitest du Wildfleisch am liebsten zu und wie schmecken die Rezepte, wenn du „neumodische“ Zutaten durch pfahlbaukonforme ersetzt?

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

Archäofacts

Arbogast, R. M. ( 1997) La grande faune de Chalain 3. In: Petrequin, P.
(Hrsg) Les sites littoraux Neolithiques de Clairvaux-Les-Lacs et de Chalain (Jura) III: Chalain station 3, 3200-2900 av. J.-C., Vol . 2. (Paris) 641 -692.

Deschler-Erb, S./Marti-Grädel E./Schibler, J. ( 2002) Die Knochen-, Zahn- und Geweihartefakte. In: de Capitani, A. et al. (Hrsg) Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon Bleiche 3. Funde. Archäologie im Thurgau II (Frauenfeld) 277-366.

Im Rausch der Pilze

Fliegenpilz, Steinpilz, Hefepilz, Schimmelpilz, Mutterkornpilz, Fusspilz – ihr seht, wir begegnen Pilzen auf Schritt und Tritt. Die Bilderbuchpilze, denen wir im Wald begegnen, sind allerdings nur die Spitze des Eisberges; denn Steinpilz wie Fliegenpilz sind – biologisch betrachtet – Fruchtkörper des ungleich grösseren Pilzgeflechts (Myzels), das sich im Boden über mehrere Quadratmeter erstreckt und in Einzelfällen sogar mehrere Quadratkilometer gross werden kann. Die Hefepilze, denen wir die grosse Vielfalt alkoholischer Getränke verdanken, sind dagegen Einzeller. Die Schimmelflecken, die wir auf Brot oder Marmelade entdecken, entsprechen hingegen wieder der Spitze eines Eisberges: Wenn sie auftauchen, hat das mit blossem Auge unsichtbare Myzel meist schon grosse Teile des Lebensmittels durchdrungen.

Pilze zersetzen abgestorbene Pflanzen. Eine von Schimmelpilzen befallene Zwetschge.

Pilze: archäologisch fast unsichtbar

Die Sporen, die der sichtbare Schimmel verteilt, sind winzig, aber bei entsprechender Sorgfalt archäologisch nachweisbar. So haben Forscher*innen in Pfahlbausiedlungen Sporen von Pilzarten gefunden, die auf Dung von Tieren wachsen. Das Myzel und die Fruchtkörper der Pilze vergehen hingegen auch im Feuchtbodenmilieu der Pfahlbauten restlos. Daher kann man die Frage, welche Pilze in prähistorischer Zeit genutzt wurden, nicht sicher klären. Wir können allerdings davon ausgehen, dass die Menschen bereits damals sehr wohl wussten, welche Pilze essbar, welche giftig sind und welche medizinische Wirkungen entfalten können. Erworben haben sie dieses Wissen im Trial-and-Error-Verfahren; unter anderem mit Geschmacksproben. Bei Täublingen ist solch eine Geschmacksprobe bis heute üblich: Die mild schmeckenden Täublingsarten isst man, die anderen lässt man stehen.

Sieht giftig aus, ist aber essbar; ein Täubling.

Dass diese Methode auch ihre Tücken hat, zeigt der Kahle Krempling (Paxillus involutus). Bis vor kurzem hat man die weit verbreitete Pilzart in einigen Gegenden gegessen. Man wusste, dass die enthaltenen Giftstoffe beim Kochen zerstört werden, ahnte jedoch nicht, dass die Allergene des Kahlen Kremplings das Kochen überstehen und bei wiederholtem Genuss nach Jahren zu einer Antikörperbildung im Blut führen können, die tödlich verläuft und in der Regel nicht mit dem Verzehr der Pilze in Verbindung gebracht wird.

Zahnstein verrät die Pilzart

Bei den meisten Röhrenpilzen besteht diese Gefahr nicht, aber auch hier gibt es ungeniessbare und giftige Arten. Wenn man kein Pilzprofi ist, kann es schnell passieren, dass sich ein vermeintlicher Steinpilz als Gallenröhrling entpuppt. Wenn man das nicht rechtzeitig bemerkt, ärgert man sich ordentlich, denn oft reicht ein einziger bitterer Gallenröhrling aus, um ein ganzes Pilzgericht zu versauen. Röhrenpilze wurden in Spanien wohl schon in der Altsteinzeit gegessen; denn als Forscher*innen den Zahnstein menschlicher Skelettreste aus der Höhle von El Mirón auf winzige Essensreste untersuchten, fanden sie unter anderem Sporen, die wahrscheinlich von Röhrenpilzen stammen.

Der Rotfussröhrling (Xerocomellus chrysenteron) gehört zu den Speisepilzen

Sicher war auch schon in der Steinzeit bekannt, dass man bestimmte Pilzarten immer unter bestimmten Baumarten findet. Das ist darauf zurückzuführen, dass Pilze teils parasitär, teils symbiotisch leben. Unter Lärchen findet man beispielsweise in ganz Mitteleuropa Goldröhrlinge (Suillus grevillei, Syn.: Suillus flavus), die deshalb auch Goldgelbe Lärchen-Röhrlinge genannt werden; diese Pilzart lebt in einer Mykorrhizapartnerschaft mit der Europäischen Lärche (Larix decidua). Und da sich im Boden unter den Pilzen häufig ein ausgedehntes Myzel verbirgt, lohnt es sich immer, in der Nähe eines Pilzes nach weiteren zu suchen.

Mit Pilzen Feuer machen

Doch Pilze sind nicht nur zum Essen gut. Der Zunderpilz (Fomes fomentarius) war über Jahrtausende ein guter, ja unentbehrlicher Freund des Menschen. Er brachte Licht, Wärme und gekochtes Essen. Vor der Erfindung von Zündhölzern und Feuerzeug benötigte man zum Entfachen eines Feuers Feuerstein (Silex) und Pyrit (ein Mineral, das auch unter dem Namen Katzengold bekannt ist). Durch geschicktes Aneinanderschlagen der Steine erzeugte man damit Funken, die auf ein bereitgelegtes Stück Zunderpilz fielen und diesen zum Glimmen brachten. Eine rasche und leichte Methode also, um ein Feuer zu entfachen. Daher stammt auch die Redewendung «Es brennt wie Zunder».

Zunderschwamm (Fomes fomentarius) an einer Buche. CC by Naturpuur, bearbeitet

So wie heute Schlüssel, Handy und eine Hygienemaske in jede Tasche gehören, dürften alle Pfahlbauer*innen beim Verlassen des Hauses ein komplettes Feuerschlagset bei sich getragen haben. Auch Ötzi, die Gletschermumie, führte in seiner Bauchtasche ein Knäuel Zunderschwamm mit, an dem noch Pyritstücke anhafteten. Es verwundert deshalb nicht, dass bei Grabungen in Pfahlbauten immer wieder Zunderpilze zum Vorschein kommen, die einst als Vorrat an Anzündmaterial in den Häusern eingelagert waren. Der Zunderschwamm ist somit einer der wenigen Pilze, die sich im Boden dank ihrer harten Aussenschicht erhalten und dadurch archäologisch nachweisbar sind. Den Zunder beschafften sich die Pfahlbauer*innen im Wald. Der hufförmige Pilz wächst an geschwächten und toten Laubbäumen. Dort brauchte man ihn nur abzuhacken, die harte Schicht an der Oberseite zu entfernen und das weiche Innere, die lederartige Trama in Stücke zu schneiden und auseinanderzuziehen. In Überlebensforen findet man Rezepte, wie man die Glimmfreudigkeit des Zunders erhöhen kann, z. B. durch Kochen in Urin oder Einlegen in Aschewasser. Wie behandelten wohl die Pfahlbauer*innen ihren Zunder?

Zunderschwamm aus der Pfahlbausiedlung Thayngen-Weier (CH). © KASH

Neben seiner Funktion als Anzündhilfe setzte man den Zunderschwamm bis ins 19. Jahrhundert ausserdem als blutstillende und desinfizierende Wundauflage ein. In Rumänien stellt man noch heute aus dem weichgeklopften Fruchtfleisch des Zunderschwamms Hüte und Taschen her. Ein Aufenthalt in Reichweite eines funkensprühenden Feuers empfiehlt sich damit aber nicht.

Hut aus weichgeklopftem Trama des Zunderschwammes, angefertigt in Rumänien. CC by Brudersohn, bearbeitet

In Ötzis Handgepäck: Birkenporlinge

Die Gletschermumie vom Hauslabjoch hatte neben der schwarzen Masse, die als Zunderschwamm bestimmt werden konnte, zwei rätselhafte Objekte im Gepäck, die an Lederstreifen befestigt waren. Obwohl die Forscher*innen keine nennenswerten Eingriffe in die Substanz der einzigartigen Funde vornehmen durften, fanden sie durch eine Kombination zahlreicher verschiedener Untersuchungsmethoden heraus, dass es sich um Fruchtkörperstücke eines Birkenporlings (Piptoporus betulinus) handelt. Die Lederstreifen, an denen sie hingen, rochen auch nach 5000 Jahren noch streng nach frisch erlegtem Wild und wurden wahrscheinlich aus Ziegenfell hergestellt.

Ötzi hatte Stücke von Birkenporling (Piptoporus betulinus) in seiner Ausrüstung. CC by Dominicus Johannes Bergsma, bearbeitet

Aber warum hatte Ötzi gerade Stücke von einem Baumpilz dabei, der ausschliesslich an Birken wächst? Birkenporlinge sind nicht schmackhaft aber essbar, zumindest wenn sie jung sind. Ein Reisender des 18. Jahrhunderts berichtet von der ostsibirischen Halbinsel Kamtschatka, dass man die Pilze dort vom Baum gebrochen, zerkleinert und gefroren gegessen hat. Doch die Birkenporlingstücke aus Ötzis Gepäck waren rund oder kiefernzapfenförmig zugerichtet und sorgfältig am Ende von Lederstreifen befestigt. Das schliesst aus, dass er sie als Snack dabeihatte. Ethnographische Vergleiche lassen eher eine medizinisch-spirituelle Verwendung von Ötzis Birkenporlingstücken vermuten; denn der Baumpilz besitzt Inhaltsstoffe, die entzündungshemmend sind, und hat zudem antimikrobiologische Eigenschaften. Wollte Ötzi damit im Notfall vielleicht Wunden versorgen können? Ebenso wenig auszuschliessen ist, dass die Birkenporlingstücke als Amulette dienen sollten.

Pfahlbauer*innen im Magic-Mushroom-Rausch?

Weil wir aus der Zeit der Pfahlbauer*innen keinerlei schriftliche Überlieferung haben, sind wir ganz und gar auf die Archäologie angewiesen, wenn es um die religiösen Vorstellungen und Rituale der Jungsteinzeit und Bronzezeit geht. Unglaublich gerne würden wir wissen, inwieweit bei den Ritualen Alkohol aus der Gärung mit natürlichen Hefen oder auch psychoaktive Pilze eine Rolle spielten. Dafür in Frage kommen einheimische Arten wie der Fliegenpilz (Amanita muscaria), von dem wir wissen, dass er von sibirischen Völkern als Rauschmittel verwendet wurde, oder auch der Spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata). Gleiches gilt für vom Mutterkornpilz befallenes Getreide. Es ist also durchaus möglich, dass sich die Pfahlbauer*innen berauschten, denn ethnographisch können wir die Verwendung von Pilzen als Rauschmittel und als Medizin beobachten.

Inbegriff des Giftpilzes: Der Fliegenpilz.

Rezepte mit Magic Mushrooms liefern wir nicht, dafür viele leckere Pilzgerichte mit einheimischen Speisepilzen. Sie bereichern frisch oder getrocknet den Speiseplan. Pilze sind deshalb auch die Zutat unserer September-Challenge. Kennst du dich mit Pilzen aus? Dann ist das deine Chance zum Sammeln, Mitmachen und die geschmackliche Vielfalt der Pilze zu feiern. Vertraust du lieber dem Angebot auf dem Markt oder im Lebensmittelladen? Dann lasse Shiitake, Enoki und Teebaumpilze links liegen und wähle die europäischen Arten wie Steinpilze, Pfifferlinge, Champignon oder Morcheln. Wir freuen uns auf deine Spätsommergerichte!

Gelbstielige Trompetenpfifferlinge mit Pastinaken-Erbsen-Kroketten.
Portrait Markus Gschwind
Portrait Katharina Schäppi
Archäofacts

Power, R. C./Salazar-García, D. C./Straus, L. G./Gonzalez Morales, M. R./Henry, A. G. (2015) Microremains from El Miron Cave human dental calculus suggest a mixed plant-animal subsistence economy during the Magdalenian in Northern Iberia. Journal of Archaeological Science 60, August 2015, 39-46.
Originalpublikation; Deutsche Zusammenfassung

Peintner, U./Pöder, R./ Pümpel, T. (1998) The iceman’s fungi. Mycological Research 102 (10), 1998, 1153-1162.
Artikel

Kluger Rat: Nussvorrat

Für viele von uns ist Vorratshaltung in den letzten Monaten wieder zum Thema geworden. Wenn die Welt verrückt spielt, fühlt man sich wohler, wenn man ein paar Grundnahrungsmittel im eigenen Keller hat. Ein Teller Spaghetti mit Tomatensauce, ein Glas Rotwein und alles lässt sich besser ertragen. Bei den Pfahlbauer*innen gab es noch keine Spaghetti und keinen Rotwein: Bei ihnen waren Vorräte jedoch überlebensnotwendig, wollte man in den kargen Wintermonaten nicht verhungern. Beim Anlegen von Vorräten kam der Sammelwirtschaft eine grosse Bedeutung zu. Hochrechnungen gehen davon aus, dass die Familien in der Jungsteinzeit einen Viertel bis sogar die Hälfte ihres Kalorienbedarfs über gesammelte Wildpflanzen gedeckt haben. Das ist besonders den fett- und damit kalorienreichen Nüssen zu verdanken, allen voran den Haselnüssen, aber auch Bucheckern oder Eicheln. Man kann diese nicht nur lange lagern, sondern auch zu Öl pressen. Daher erstaunt es nicht, dass Archäolog*innen in Pfahlbaufundstellen immer wieder grosse Mengen von Haselnüssen finden.

Geschlämmte Erdprobe mit vielen Haselnüssen aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche 3 (CH). © AATG

Machen Haselnüsse fett?

Betrachtet man die Inhaltstoffe einer Haselnuss, steht mit 63 % der Fettgehalt an erster Stelle. Bei einem so hohen Energiewert setzen sich 100 g Haselnüsse mit 650 kcal an der Hüfte fest – zu Recht haben sie also den Ruf, ein Dickmacher zu sein und gelten wie Schokolade als Nervennahrung. Bei rund der Hälfte des Fetts handelt es sich aber um ungesättigte Fettsäuren. Darüber hinaus ist die Haselnuss reich an Vitamin B, Kalzium, Kalium, Magnesium und Spurenelementen wie Zink und Kupfer. Aber nicht nur das: Die Haselnuss scheint – wie viele andere Nussarten auch – positive Effekte auf den Cholesterolspiegel zu haben. Allergiker müssen aber aufpassen, so können Nüsse Reaktionen von einem pelzigen Gefühl im Mund bis zu schwerer Atemnot auslösen.

Haselnüsse aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH) in einer Gefässreplik, kombiniert mit frisch gepflückten Haselnüssen und -zweigen.

In der Türkei fühlt sich die Hasel wohl

Ursprünglich wohl in der Gegend der heutigen Türkei heimisch, breitete sich die gemeine Hasel (Corylus avellana) nach dem Rückzug der Gletscher am Ende der Altsteinzeit schnell über Mitteleuropa aus. Der Strauch wächst wild quasi in jeder Ecke Europas, er gedeiht aber am besten an sonnigen, humusreichen und eher feuchteren Standorten, in mässig warmem Klima. Die Ernte in Mitteleuropa ist heute vergleichsweise gering, die verkauften Haselnüsse stammen meistens von Baumhaseln (Corylus maxima) aus der Türkei.

Bald sind die Haselnüsse in unseren Wäldern reif.

Haselnussholz verwendeten die Pfahlbauer*innen für Flechtwerk, die Blätter haben sie als Tee gekocht. Am bedeutendsten waren aber die Kerne – also die Nüsse –, die man vom Herbst bis zum Winteranfang in grossen Mengen findet. Sammeln kann man die Nüsse erst, wenn sie reif sind – ein Ernten in grünem Zustand, um den Eichhörnchen zuvorzukommen, lohnt sich nicht, denn sie reifen nicht nach, schmecken unreif schlechter und lassen sich kaum lagern. Am besten sammelt man vom Strauch gefallene Nüsse auf, wobei man auf Risse, Bruchstellen und Frasslöcher achten sollte. Frische Nüsse enthalten viel Feuchtigkeit und können bei der Lagerung Schimmel ansetzen. Sie müssen daher über mehrere Wochen getrocknet werden, dann sind sie bis zu einem Jahr haltbar. Oder man röstet die von der Schale befreiten Kerne. Damit werden sie nicht nur lagerbar, sondern schmecken auch besser. Im Gegensatz zu anderen Lebensmitteln verändern sich zudem die Inhaltsstoffe der Haselnüsse, speziell die Fettsäuren, durch das Erhitzen nur minimal. Allerdings gilt das auch für die Allergene, die erst in stark verarbeitetem Zustand reduziert sind.

Finger weg von zu vielen Bucheckern

Im Gegensatz zu den Haselnüssen sind Bucheckern – in der Schweiz auch als Buchennüssli bezeichnet – heute fast vollständig aus unserem Speiseplan verschwunden. Mit rund 40 % Fettanteil sind auch sie ein wichtiger Energielieferant und spielten in Notzeiten noch bis ins letzte Jahrhundert in der Ernährung eine Rolle. Tatsächlich ist aber bei ihrem Verzehr Vorsicht geboten. Wenn man rohe Bucheckern in grosser Menge isst, kann das zu Übelkeit bis sogar zu Vergiftungserscheinungen führen. Ihre leichte Giftigkeit rührt daher, dass die rohen Nüsse Oxalsäure, Alkaloide und Trimethylamin, auch Fagin (von Fagus für Buche) genannt, enthalten. Mehr als eine Handvoll der Nüsschen sollte man also nicht roh essen. Wenn man die Buchennüssli röstet oder aufbrüht, können sich die giftigen Substanzen jedoch abbauen.

Von den Bucheckern sollten nicht mehr als eine Handvoll auf Mal gegessen werden.

Bucheckern sind die Früchte der Rotbuche (Fagus sylvatica) – die wir umgangssprachlich einfach als Buche bezeichnen – einem in weiten Teilen Europas heimischen Laubbaum. In den heutigen Wäldern ist die Buche sogar der häufigste Laubbaum. Früchte produziert eine Buche erst, wenn sie ein Alter von 40 Jahren erreicht hat, und sie stellt die Fruchtbildung mit etwa 80 Jahren wieder ein. Bedenkt man, dass Buchen bis zu 300 Jahre alt werden, hat sie nur eine kurze Fruchtspanne. Auch dann hat sie nur etwa alle 5 bis 8 Jahre einen reichen Fruchtbehang. Gerade nach einem trockenen und heissen Jahr kann man aber eine richtiggehende Überproduktion an Nüssen beobachten. Das ist Teil der Überlebensstrategie der Bäume: Weil die nahrhaften Bucheckern so viele hungrige Interessent*innen haben, ist nur bei einer grossen Masse an Früchten gewährleistet, dass auch einzelne Wurzeln schlagen können. Von einem solchen Mastjahr muss der Baum sich dann einige Jahre erholen.

Über dem Feuer platzen sie auf

Generell macht es uns die Buche nicht leicht, an ihre Früchte zu gelangen. Die Bucheckern stecken in einem stacheligen Fruchtbecher; die dreikantigen, kleinen Nüsschen sind zudem von einer festen, braunglänzenden Schale umgeben.  Sie von der Schale zu befreien, ist eine mühsame und zeitraubende Angelegenheit. Am besten übergiesst man die Eckern mit kochendem Wasser, dann wird die Schale weich und man kann sie besser abziehen. Hält man sie über das offene Feuer, platzen sie ausserdem auf.

Buchecker-Schale aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG
Im Frühling keimen aus den Bucheckern junge Buchen.

Zusätzlich zu den Nüssen sind auch die Buchenblätter essbar. Sie gelten sogar als entzündungshemmend und wurden bei Zahnfleischproblemen zerkaut oder bei Geschwüren als Wundauflagen genutzt. Noch in historischer Zeit haben die Menschen gebündelte Buchenzweige als Winterfutter für das Vieh getrocknet, was angeblich auch die Milchleistung steigerte. Da Buchenlaub nur langsam zerfällt, hat man es auch als Einstreu bei der Stallhaltung verwendet.

Der Blick ins Blätterdach eines Buchenwaldes zeigt dir, wo mit einer guten Bucheckernernte zu rechnen ist.

Wir springen wieder ins Heute: Halte jetzt Ausschau nach Buchen im richtigen Alter und Haselsträuchern, die Nüsse tragen. Nach dem letztjährigen Mastjahr gar nicht so einfach, aber umso wichtiger ist es, dass du – willst du satt und rund durch den Winter kommen – schneller bist als die Eichhörnchen, Siebenschläfer, Haselmäuse und Co.

Portrait Simone Benguerel

Der menschengemachte Wald

Waldbaden zur Erholung? Heute gilt der Wald für viele Zivilisten als romantisches Naherholungsgebiet. Man spaziert auf sanftem Moos durch lichte Wälder und fängt die milden Sonnenstrahlen auf. Früher sah das noch ziemlich anders aus: Dunkle, schattige Laubmischwälder mit wenig Unterwuchs prägten weite Teile der mitteleuropäischen Landschaft zwischen dem Ende der letzten Eiszeit und dem Eintreffen der ersten Bauern und Bäuerinnen. Der Unterschied zu unseren heutigen aufgeräumten Kulturlandschaften mit der klaren Dreiteilung in Feld, Wiese und Wald könnte nicht grösser sein. Die Pfahlbauer*innen haben wesentlich zu diesem Wandel beigetragen, denn sie haben den Urwald langsam in einen Nutzwald umgewandelt.

Idyllischer Laubmischwald mit Moos und Wollgras. © K. Schäppi

Um Felder anlegen zu können, mussten die ersten Bauern zuerst Wald roden. Mit viel harter Arbeit, Steinbeilen und Feuer schufen sie über Tausende von Jahren offenere, vielgestaltigere Landschaften mit Gebüsch, Hecken, Brachen, Feldern oder Magerrasen. Trotzdem blieb der Wald eine sehr wichtige – wenn nicht sogar die wichtigste – Ressource für Nahrung, Weide und Rohstoffe. Der Wald lieferte Baumaterial, Brennholz, Rohmaterial für Holzgefässe und -geräte und Nahrung für Menschen und Tiere. Die Menschen nutzten den ganzen Baum: Stamm, Äste, Früchte, Bast, Blätter oder Nadeln. Das wichtigste Jagdwild lebte im Wald, die Haustiere weideten darin, Sammelpflanzen wie Wildäpfel, Haselnüsse, Holunder oder Physalis wuchsen im (lichten) Wald oder an dessen Rändern.

Ein Getreidefeld zwischen Wiesen und Bäumen. © K. Schäppi

Ein Blätterteppich in der Pfahlbauerstube

Die Pfahlbauten hatten einen enormen Holzbedarf. Die Häuser wurden zum grössten Teil aus Holz errichtet mit ihren gut zwei Dutzend oder mehr tragenden Pfählen, der Dachkonstruktion, den Lehmflechtwerk- oder Bretterwänden und den Dielenfussböden. Auch Bohlenwege, Palisaden oder Zäune benötigten grosse Mengen an Holz und mussten alle paar Jahre erneuert werden. Im Hausbau war nicht nur Stammholz gefragt, sondern auch Zweige für Bindungen, Bast für Schnüre und Matten und nicht zuletzt Laub. Aus Olzreute Enzisholz, einer Moorsiedlung in Oberschwaben, sind Buchenblätter auf einem Bretterboden gefunden worden – der steinzeitliche Vorläufer des Teppichs?

Nachbau eines Hauses aus Arbon Bleiche 3 (CH) im Freilichtmuseum Unteruhldingen. © R. Ebersbach

Forscher*innen haben Pfahlbauhäuser unterschiedlicher Grösse von der frühen Jungsteinzeit bis zur Spätbronzezeit experimentell nachgebaut und dafür zwischen 6 und 25 m3 Holz benötigt. Je nach verwendeten Holzarten und Durchmessern mussten sie dazu mehrere hundert Bäume fällen. Am häufigsten verbaut wurden allerdings Äste, Zweige und Stangenholz mit wenigen Zentimetern Durchmesser.

Ein Baum für jede Aufgabe

Das meiste Bauholz kam dabei aus Standorten in der Nähe, also aus ufernahen Auenwäldern. Hier wachsen z. B. Pappel, Weide und Erle, also Arten, die regelmässig im Wasser stehen können. Diese Weichhölzer nahm man vor allem für den Bau von Wegen oder Palisaden, es gibt aber auch Häuser, die aus Weide gebaut waren. Weiter hangaufwärts folgen die trockeneren Standorte mit Baumarten wie Eiche, Ulme, Esche und Ahorn. Wenn vorhanden, nutzte man am liebsten alte Eichen zum Hausbau, die man mit Keilen spaltete. Nur für Spezialanforderungen holte man das Holz aus den etwas weiter entfernten, meist von Buchen dominierten Laubmischwäldern auf trockenen Standorten, z. B. Weisstannen für die Schindeldächer.

Holz für Häuser, Wege und zum Kochen. Blick in das Pfahlbaudorf Thayngen-Weier (CH). Modell von Hans Bendel. © KASH

Zum Bauholz kam der Brennholzbedarf. Aufwändig fundamentierte Feuerstellen mit Lehmplatten zeigen, wie wichtig das wärmende, Licht spendende Feuer damals war. Analysen von Holzkohle haben für verschiedene Siedlungen gezeigt, dass das Bauholz und das Brennholz nicht gleich zusammengesetzt sind, d. h. die Pfahlbauer*innen haben nicht einfach herumliegendes Abfallholz verbrannt, sondern gezielt Brennholz im Wald gesammelt, das einen bestimmten Durchmesser hatte (vor allem Stangenholz), aber von verschiedenen Arten stammen konnte.

Reste einer 5700 Jahre alten Feuerstelle mit Lehm und Steinen in der Moorsiedlung Bodnegg im westlichen Allgäuer Hügelland (D). © R. Ebersbach

Waldwirtschaft

Die Pfahlbauer*innen haben den Wald aber nicht nur für die Felder gerodet und für Siedlungen und Brennholz Bäume abgeholzt. Sie haben den Wald vielmehr regelrecht bewirtschaftet und dadurch über mehrere Generationen zu einem Nutzwald umgebaut. Eichen waren ein beliebtes Bauholz und wurden ausserdem zur Laubheu-Gewinnung geschneitelt, d. h. die jungen, frische Blätter tragenden Äste wurden abgeschnitten und als Viehfutter gelagert. Ausserdem hat man Eicheln gesammelt. Anhand der Analyse der Eichen-Jahrringe am Zürichsee wissen wir, dass verschiedene Eichenbestände abwechselnd genutzt wurden. Auf diese Weise konnten sich die einzelnen Bestände nach der Schneitelung mehrere Jahre erholen, waren mehrfach nutzbar und produzierten weiterhin die besonders beliebten alten Stämme für das Bauholz. Die Pfahlbauer*innen verstanden so viel von Forstwirtschaft, dass sie den Wald entsprechend ihrer Bedürfnisse managen konnten. Das System war allerdings nicht endlos nachhaltig. In manchen Seebuchten waren die Eichenbestände offensichtlich trotzdem nach einigen Generationen erschöpft, denn die Häuser der jüngsten Besiedlungsphasen waren überwiegend aus Weichholz gebaut.

Geschneitelte Bäume (im Vordergrund). © K. Schäppi

Durch die Entnahme von Holz haben die Menschen die Laubmischwälder aufgelichtet. Dies förderte den Unterwuchs, was die aufgelichteten Wälder wiederum zu einer interessanten Viehweide machte. Die starke Zunahme von Stechpalme (Ilex aquifolium) in der Horgener Zeit (um 3000 v.  Chr.) zeigt die Überweidung dieser Wälder an.

Permakultur à la Pfahlbauer*in

Der Umbau der Wälder hatte auch einen weiteren positiven Effekt, der sich auf die Speisekarte der Pfahlbauerfamilien auswirkte: Das Wachstum wichtiger Sammelpflanzen und Fruchtbäume wurde gefördert. Dazu gehören dornige Hecken- und Waldrandpflanzen wie Schlehen, Hagebutten, Brom- und Himbeeren, aber auch und vor allem der Apfel. In naturnahen Wäldern gehört der Wild- oder Holzapfel (Malus sylvestris) zu den seltensten Baumarten überhaupt. Der Wildapfel war in Deutschland Baum des Jahres 2013. Apfelreste sind in Pfahlbauten in grossen Mengen nachgewiesen. Die Wildäpfel wurden halbiert, gedörrt und dann als Vorrat eingelagert. So grosse Mengen an Wildäpfeln können kaum natürlich in den umgebenden Waldbeständen vorgekommen sein. Vermutlich haben die Pfahlbauer*innen ihre Apfelbäume gehegt, gefördert und vielleicht sogar gezielt gepflanzt. Der durch die Römern nördlich der Alpen eingeführte Kulturapfel stammt nach heutigem Wissensstand allerdings nicht vom einheimischen Holzapfel ab, sondern hatte seinen Ursprung eher in Südwestasien.

Wildapfel (Malus sylvestris).

Gehegt und gepflegt hat man sicher auch Haselnuss-Haine und Schlehenbüsche. Solche Standorte voller beliebter Sammelpflanzen waren sicher noch keine Gärten oder Obstplantagen im heutigen Sinn. Fruchtbäume, Hecken und Gebüsche waren aber wichtige und landschaftsprägende Elemente, die sicher über Jahre oder sogar Jahrzehnte an der gleichen Stelle existierten. Immerhin brauchen Schlehenbüsche zehn Jahre, bis sie zum ersten Mal Früchte tragen. Ebenso menschengemacht waren „Schneitelplantagen“ mit Bäumen für Laubheu (Eiche, Esche u. a.) und Stockausschlags- bzw. Sekundärwaldflächen, auf denen das beliebte Stangenholz mit 5 bis 10 cm Durchmesser wuchs, das man für alles Mögliche brauchte. Zur Bewirtschaftung der Umgebung gehörte deshalb auch, dass man die Haustiere aus diesen Flächen heraushielt, um Verbiss zu vermeiden. Auch die Weide ihrer Haustiere haben demnach die Menschen damals organisiert und nicht dem Zufall überlassen.

Dornenhecke mit Schlehen, Weissdorn und Brombeere.

Der Spätsommer eignet sich perfekt für einen schönen Waldspaziergang. Beobachte einmal genau, wie der Wald in deiner Nähe aussieht. Welche Bäume wachsen? Wie fühlt sich der Boden an? Wo ist es dunkel, wo heller und welche Pflanzen wachsen an welchen Standorten? Vielleicht entdeckst du sogar einen Wildapfelbaum oder deine neue Lieblingshecke mit reifen Brombeeren auf dem Nachhauseweg. Wir wünschen dir ein schönes Waldbaden mit einem aus Pfahlbauer*innen-Sicht geschärften Blick!

Portrait Renate Ebersbach
Archäofacts

Baum, T. (2019) Modelle der Landnutzung in den neolithischen Feuchtbodensiedlungen des nordwestlichen Alpenvorlandes. Dissertation Universität Basel 2019, Kap. 8.2.
http://edoc.unibas.ch/diss/DissB_13486

Weitere Infos

Über den Wildapfel: https://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/baeume-und-waldpflanzen/laubbaeume/wildapfel-malus-sylvestrishttps://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/baeume-und-waldpflanzen/laubbaeume/wildapfel-malus-sylvestris

Pfahlbauers wilder Spätsommergarten

Fühlst du dich müde und erschöpft? Dann nimm jeden Morgen nach dem Eichelkaffe eine getrocknete Schlehe und eine halbe Hagebutte. So oder ähnlich könnte der Ratschlag heilkundiger Pfahlbauer*innen gelautet haben. Obst- oder Beerengärten gab es zwar damals noch nicht, aber der Wald bot fast das ganze Jahr über süsse, saure oder herbe Früchte. Wer die richtigen Stellen kannte und schneller als die Vögel war, konnte frisch ab dem Strauch naschen, eine Portion Beeren für einen Nachtisch sammeln oder körbeweise Früchte pflücken für den Wintervorrat.

Wilde Früchtchen.

Wild auf Süsses

Wenn Archäobotaniker*innen in Erdproben grosse Mengen der winzigen Kerne von Erd-, Brom- und Himbeeren finden, wissen sie zum einen, dass sie soeben einen Kothaufen untersuchen. Zum anderen können sie ziemlich genau bestimmen, zu welcher Jahreszeit dieser entstand. Denn die kaum lagerfähigen Beeren hat man sicher frisch verzehrt. Aber auch die einheimische Physalis (Physalis alkekengi), Hagebutten (Rosa), Holunder (Sambucus nigra) oder Kratzbeeren (Rubus caesius) sind über die Kerne häufig nachgewiesen in Pfahlbaufundstellen. Seltener finden Archäolog*innen Reste von Traubenkirsche (Prunus padus), Kornelkirsche (Cornus mas), Rotem Hartriegel (Cornus sanguinea), Wacholder (Juniperus communis) oder Felsenkirsche (Prunus mahaleb).

Brombeersamen aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH).
Unreife …
und reife Blasenkirsche (Physalis alkekengi).

In den sauren Apfel beissen

Die beliebteste Frucht in Deutschland und der Schweiz ist der Apfel. Ob das auch für die Pfahlbauzeit galt, wissen wir nicht. Sicher ist jedoch, dass Äpfel ein wichtiger Wintervorrat waren. Denn immer wieder kommen bei Ausgrabungen in Pfahlbauten Dutzende von halbierten, getrockneten Wildäpfeln zum Vorschein, die durch ein Schadensfeuer verkohlt und deswegen erhalten sind. Die schrumpelige Haut, das Kerngehäuse, selbst die glänzenden kleinen Kerne sind perfekt erhalten.

Verkohlter Apfel aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH) neben rezenten getrockneten Wildäpfeln.

Der Wildapfel (Malus sylvestris) ist auch als Holzapfel bekannt. Der Name verrät, dass er (zumindest frisch gegessen) kein wirklicher Genuss ist. Die Bäume tragen kleine, gelbgrüne Früchte, ähnlich den Zieräpfeln, die man heute in Gärten zur Zierde pflanzt – und die man übrigens auch essen kann. Rohe Wildäpfel schmecken bitter-herb und hinterlassen im Mund ein pelziges Gefühl durch die enthaltene Gerbsäure. Kochen und Dörren macht sie aber geniessbar. Ein Mus aus Wildäpfeln braucht keinen Gelierzucker, denn dank des hohen Pektingehaltes bekommt es beim Kochen automatisch eine festere Konsistenz und eignet sich somit hervorragend als Fruchtaufstrich. Den Genuss, in einen süssen, saftigen, rotbackigen Apfel zu beissen, kannten die Pfahlbauer*innen also nicht. Viel eher liessen sie im Winter, in ein warmes Fell gekuschelt, ein Stück getrockneten Apfels langsam im Mund weich werden und sehnten sich nach dem Frühling und der Zeit der Apfelblüte.

Stilleben mit getrocknete Wildäpfeln, einer nachgetöpferten spätbronzezeitlichen Schüssel und der Replik eines Bronzemessers.

Die Post-Frost-Ernte

Wenn man sich gut auskannte in der Umgebung – und die Pfahlbauer*innen kannten sich sehr gut aus – wusste man immer, wann wo welche essbaren Pflanzen reif waren, und konnte abhängig von der Jahreszeit ganzjährig seine Vitamine und Geschmacksverstärker einsammeln.

Die Beerensaison startet im Frühling mit den Walderdbeeren.

Die Holunderbeeren reifen im Spätsommer.

Das milde Klima um die grossen Voralpenseen ermöglichte es den Pfahlbauer*innen, sich fast das ganze Jahr hindurch mit Beeren und Obst zu versorgen. In warmen Jahren konnten sie schon im April Walderdbeeren ernten, und bis in den Herbst hinein kamen Himbeeren, Holunder, Heidelbeeren, Kornelkirsche usw. dazu. Noch im Oktober lassen sich reife Brombeeren oder Roter Hartriegel finden, und Schlehen sind sogar erst mit ein bisschen Frost geniessbar. Auch Hagebutten schmecken nach etwas Frost frisch vom Strauch besser als vorher, denn dann werden sie weich und süsslich und die Haare im Inneren kitzeln nicht mehr so stark. Es ist kein Problem, Schlehen, Physalis oder Hagebutten noch im Januar und Februar frisch vom Strauch zu ernten, denn sie vertragen auch einige Grad unter Null.  

Schlehen sind erst durch Frost geniessbar.
Die haarigen Hagebuttensamen kitzeln gefrostet weniger.

Lichte Wälder schaffen Platz für Obst

Einige der Obstarten profitierten von den Aktivitäten der Menschen und Haustiere, denn aufgelichtete Wälder, Waldränder und Hecken sind besonders gut geeignet für stachelige Sträucher wie Schlehen oder Hundsrosen. Auch Holunder oder Erdbeeren wachsen gerne in geöffneten Wäldern oder an Waldrändern. Und wenn die Rinder im Sommer in höheren Lagen weideten, förderten sie die Heidelbeeren, die zwar auch in dichterer Vegetation vorkommen, aber weniger Früchte ansetzen, wenn es zu schattig ist. Himbeeren und Brombeeren fühlen sich auf mehrjährigen Brachen oder sonstigem Ödland wohl. Die zunehmende Öffnung der Landschaft v. a. ab der Bronzezeit liess eine Vielzahl von Lebensräumen entstehen, die nicht nur Obstarten förderten, sondern auch andere beliebte Sammelpflanzen, allen voran die Haselnüsse.

Auf diese Art schufen sich die Pfahlbauer*innen ihren eigenen wilden Obstgarten direkt vor der Haustür, wo sie fast das ganze Jahr hindurch Frischobst ernten konnten – und wenn es doch mal kein Obst gab, konnte man immer noch auf Löwenzahn, Spitzwegerich oder andere fast ganzjährig grüne und essbare Wildpflanzen zurückgreifen.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

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