Fühlst du dich müde und erschöpft? Dann nimm jeden Morgen nach dem Eichelkaffe eine getrocknete Schlehe und eine halbe Hagebutte. So oder ähnlich könnte der Ratschlag heilkundiger Pfahlbauer*innen gelautet haben. Obst- oder Beerengärten gab es zwar damals noch nicht, aber der Wald bot fast das ganze Jahr über süsse, saure oder herbe Früchte. Wer die richtigen Stellen kannte und schneller als die Vögel war, konnte frisch ab dem Strauch naschen, eine Portion Beeren für einen Nachtisch sammeln oder körbeweise Früchte pflücken für den Wintervorrat.

Wilde Früchtchen.

Wild auf Süsses

Wenn Archäobotaniker*innen in Erdproben grosse Mengen der winzigen Kerne von Erd-, Brom- und Himbeeren finden, wissen sie zum einen, dass sie soeben einen Kothaufen untersuchen. Zum anderen können sie ziemlich genau bestimmen, zu welcher Jahreszeit dieser entstand. Denn die kaum lagerfähigen Beeren hat man sicher frisch verzehrt. Aber auch die einheimische Physalis (Physalis alkekengi), Hagebutten (Rosa), Holunder (Sambucus nigra) oder Kratzbeeren (Rubus caesius) sind über die Kerne häufig nachgewiesen in Pfahlbaufundstellen. Seltener finden Archäolog*innen Reste von Traubenkirsche (Prunus padus), Kornelkirsche (Cornus mas), Rotem Hartriegel (Cornus sanguinea), Wacholder (Juniperus communis) oder Felsenkirsche (Prunus mahaleb).

Brombeersamen aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH).
Unreife …
und reife Blasenkirsche (Physalis alkekengi).

In den sauren Apfel beissen

Die beliebteste Frucht in Deutschland und der Schweiz ist der Apfel. Ob das auch für die Pfahlbauzeit galt, wissen wir nicht. Sicher ist jedoch, dass Äpfel ein wichtiger Wintervorrat waren. Denn immer wieder kommen bei Ausgrabungen in Pfahlbauten Dutzende von halbierten, getrockneten Wildäpfeln zum Vorschein, die durch ein Schadensfeuer verkohlt und deswegen erhalten sind. Die schrumpelige Haut, das Kerngehäuse, selbst die glänzenden kleinen Kerne sind perfekt erhalten.

Verkohlter Apfel aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH) neben rezenten getrockneten Wildäpfeln.

Der Wildapfel (Malus sylvestris) ist auch als Holzapfel bekannt. Der Name verrät, dass er (zumindest frisch gegessen) kein wirklicher Genuss ist. Die Bäume tragen kleine, gelbgrüne Früchte, ähnlich den Zieräpfeln, die man heute in Gärten zur Zierde pflanzt – und die man übrigens auch essen kann. Rohe Wildäpfel schmecken bitter-herb und hinterlassen im Mund ein pelziges Gefühl durch die enthaltene Gerbsäure. Kochen und Dörren macht sie aber geniessbar. Ein Mus aus Wildäpfeln braucht keinen Gelierzucker, denn dank des hohen Pektingehaltes bekommt es beim Kochen automatisch eine festere Konsistenz und eignet sich somit hervorragend als Fruchtaufstrich. Den Genuss, in einen süssen, saftigen, rotbackigen Apfel zu beissen, kannten die Pfahlbauer*innen also nicht. Viel eher liessen sie im Winter, in ein warmes Fell gekuschelt, ein Stück getrockneten Apfels langsam im Mund weich werden und sehnten sich nach dem Frühling und der Zeit der Apfelblüte.

Stilleben mit getrocknete Wildäpfeln, einer nachgetöpferten spätbronzezeitlichen Schüssel und der Replik eines Bronzemessers.

Die Post-Frost-Ernte

Wenn man sich gut auskannte in der Umgebung – und die Pfahlbauer*innen kannten sich sehr gut aus – wusste man immer, wann wo welche essbaren Pflanzen reif waren, und konnte abhängig von der Jahreszeit ganzjährig seine Vitamine und Geschmacksverstärker einsammeln.

Die Beerensaison startet im Frühling mit den Walderdbeeren.

Die Holunderbeeren reifen im Spätsommer.

Das milde Klima um die grossen Voralpenseen ermöglichte es den Pfahlbauer*innen, sich fast das ganze Jahr hindurch mit Beeren und Obst zu versorgen. In warmen Jahren konnten sie schon im April Walderdbeeren ernten, und bis in den Herbst hinein kamen Himbeeren, Holunder, Heidelbeeren, Kornelkirsche usw. dazu. Noch im Oktober lassen sich reife Brombeeren oder Roter Hartriegel finden, und Schlehen sind sogar erst mit ein bisschen Frost geniessbar. Auch Hagebutten schmecken nach etwas Frost frisch vom Strauch besser als vorher, denn dann werden sie weich und süsslich und die Haare im Inneren kitzeln nicht mehr so stark. Es ist kein Problem, Schlehen, Physalis oder Hagebutten noch im Januar und Februar frisch vom Strauch zu ernten, denn sie vertragen auch einige Grad unter Null.  

Schlehen sind erst durch Frost geniessbar.
Die haarigen Hagebuttensamen kitzeln gefrostet weniger.

Lichte Wälder schaffen Platz für Obst

Einige der Obstarten profitierten von den Aktivitäten der Menschen und Haustiere, denn aufgelichtete Wälder, Waldränder und Hecken sind besonders gut geeignet für stachelige Sträucher wie Schlehen oder Hundsrosen. Auch Holunder oder Erdbeeren wachsen gerne in geöffneten Wäldern oder an Waldrändern. Und wenn die Rinder im Sommer in höheren Lagen weideten, förderten sie die Heidelbeeren, die zwar auch in dichterer Vegetation vorkommen, aber weniger Früchte ansetzen, wenn es zu schattig ist. Himbeeren und Brombeeren fühlen sich auf mehrjährigen Brachen oder sonstigem Ödland wohl. Die zunehmende Öffnung der Landschaft v. a. ab der Bronzezeit liess eine Vielzahl von Lebensräumen entstehen, die nicht nur Obstarten förderten, sondern auch andere beliebte Sammelpflanzen, allen voran die Haselnüsse.

Auf diese Art schufen sich die Pfahlbauer*innen ihren eigenen wilden Obstgarten direkt vor der Haustür, wo sie fast das ganze Jahr hindurch Frischobst ernten konnten – und wenn es doch mal kein Obst gab, konnte man immer noch auf Löwenzahn, Spitzwegerich oder andere fast ganzjährig grüne und essbare Wildpflanzen zurückgreifen.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach