Der „Grünkernbratling“ war eines der ersten Gerichte, das in Restaurants als vegetarische Alternative zur Bulette angeboten wurde – oft ein trockenes, sowohl optisch wie geschmacklich fragwürdiges Vergnügen. Grünkern ist unreif (grün) geernteter Dinkel. Das „Ur-Getreide“ Dinkel erlebte in den letzten Jahren ein Revival, nachdem es lange Zeit kaum noch auf unseren Feldern wuchs. Und das hat es auch verdient, denn das Korn ist ein echtes Superfood: vielseitig, lecker und gesund.

Ist UrDinkel Urdinkel?

In der Schweiz sieht man in manchen Getreidefeldern „UrDinkel“-Schilder. Der Markenbegriff wird für alte Sorten verwendet, die nicht mit modernen Weizensorten gekreuzt sind. Aber ist Dinkel (auch Spelz oder Kernen genannt) wirklich urzeitlich?

Der bisher älteste Nachweis von Dinkel (Triticum spelta) stammt aus der Schweiz vom Ende der Steinzeit (um 2300 v. Chr.). In einer Landsiedlung oberhalb des Neuenburgersees (Gemeinde Cortaillod) haben Archäolog*innen Vorratsgruben aus dieser Zeit mit grossen Mengen von Dinkelkörnern und Eicheln gefunden. Woher die damals offenbar neu eingeführte Getreideart ursprünglich herkommt und wie sie sich ausgebreitet hat, diskutieren die Forscher*innen noch heiss. Erst in der Bronzezeit zählt Dinkel zum regelmässig angebauten Getreidesortiment. Ganz Ur ist der Dinkel also nicht. Vor ihm waren Emmer, Einkorn, Gerste und Weizen – sozusagen die Urahnen des UrDinkels.

Dinkelkorn. © Stefani Jacomet

Besser unreif als gar nichts

Ein früher Kälteeinbruch? Ein verregneter Sommer mit Gefahr der Ausbreitung von Schimmel oder Mutterkorn? Alle Getreidevorräte vom letzten Jahr sind aufgebraucht? Dann lohnt es sich, das Getreide zu ernten, auch wenn es noch nicht ganz reif ist. Neben anderen Getreidearten eignet sich vor allem Dinkel für eine bis zu einem Monat vorgezogene Ernte. Dass man vor allem Dinkel als Grünkern bis in historische Zeit unreif erntete, dürfte an seiner genügsamen Art liegen: Er wächst auch noch auf nährstoffarmen Böden und das Korn ist in den Spelzen gut gegen Regen und Frost geschützt. Dinkel ist daher bestens für Standorte geeignet, auf denen anspruchsvollere Getreide nicht mehr gedeihen, wo aber handkehrum die Witterung unberechenbarer und Noternten öfters vorkommen.

Daher ist grün geernteter Dinkel seit Jahrhunderten in einigen Regionen Nordostbadens, der Schwäbischen Alb und Frankens eine Spezialität. Seit 2015 ist die Bezeichnung „fränkischer Grünkern“ sogar eine geschützte europäische Ursprungsbezeichnung. Ein ähnliches Nahrungsmittel ist Freekeh/Farik aus dem arabischen Raum (unreifer Nacktweizen), der heute als Superfood Schlagzeilen macht.

Darrpfanne zum Trocknen von Grünkern in Sindolsheim (D). CC by Friedrichsen

Darren und Rösten

Die unreif geernteten Dinkel-Körner enthalten noch viel Feuchtigkeit, deshalb sollte man sie sofort trocknen oder darren. Das grünlich-glasige Ergebnis sieht erstmal nicht sehr appetitlich aus. Aber die weichen Körner haben ein fantastisch nussiges, intensives Aroma. Wenn man sie weiter röstet, bis sie schön braun sind, kann man sie vielfältig verwenden: als Snack, Topping auf Salat oder Suppen oder – grob gemörsert – als Müesli. Der Vorteil ist, dass das Endprodukt lange lagerfähig ist. Die gerösteten Körner kann man ausserdem direkt ohne weiteres Kochen oder Backen verzehren.

Grünkern, ganze Körner und gemahlen (rechts geröstet).

Ob die Pfahlbauer*innen den Dinkel reif oder unreif geerntet haben, hat man bis jetzt nicht untersucht. Aber aus der späten Eisenzeit gibt es Nachweise von Grünkern bzw. von Dinkel in verschiedenen Reifestadien von Hochdorf, Baden-Württemberg (D).

Kaffee und Kuchen: Grünkern für alle

Für uns waren geröstete Dinkelkerne jedenfalls eine echte Entdeckung, und es gibt eine ganze Menge Rezepte, in denen wir sie verwendet haben. Sogar heimischen Kaffee kannst du damit zubereiten: Das Rezept für den feinen Getreidekaffee findest du hier. Mit Grünkernmehl kannst du zudem Kuchen, Brote und Pfannkuchen backen.

In der erwähnten 4300 Jahre alten Fundstelle am Neuenburgersee hat man neben Dinkel übrigens auch noch grössere Mengen von Haselnüssen, Eicheln, Äpfeln und sogar Wacholderbeeren gefunden – welche Rezepte unsere Vorfahr*innen damit wohl gekocht oder gebacken haben?

Portrait Renate Ebersbach
Archäofacts

Akeret, Ö. (2005) Plant remains from a Bell Beaker site in Switzerland, and the beginnings of Triticum spelta (spelt) cultivation in Europe. Vegetation History and Archaeobotany 14, 279-286. doi:10.1007/s00334-005-0071-1

Berihuete-Azorín, M., Stika, H.-P., Hallama, M. and S.M. Valamoti 2020. Distinguishing ripe spelt from processed green spelt (Grünkern) grains: Methodological aspects and the case of early La Tène Hochdorf (Vaihingen a.d. Enz, Germany). Journal of Archaeological Science 118: 105-143.