Im Herbst 1991 fanden Bergsteiger an der österreich-italienischen Grenze auf dem Tisenjoch (3210 m. ü. M., Ötztaler Alpen) eine Leiche im Eis. Sie war von allerlei merkwürdigen Gegenständen umgeben und nach genauerer Begutachtung der Gras- und Fellkleidung, des Köchers und des Kupferbeils wurde klar: Dies ist keine Gletscherleiche aus den letzten Jahrhunderten, sondern jemand, der bereits um 3200 v. Chr. zu Tode kam. Mehr noch: Er war von hinten mit einem Pfeil angeschossen und tödlich verletzt worden. Das Opfer des spannenden Kriminalfalls aus der Zeit der Pfahlbauer*innen hat einen Namen, den wir heute alle kennen: Ötzi.

So soll Ötzi ausgesehen haben. Rekonstruktion im Südtiroler Archäologiemuseum. © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it

Tattoos und eine Raucherlunge

Der Mann war etwa 45 Jahre alt, 1,60 m gross und hatte Schuhgrösse 35. Die sehr gute Erhaltung des Toten aus dem Eis führte dazu, dass man sogar 5200 Jahre später noch alles untersuchen konnte, was da war; vermutlich ist Ötzi die am besten untersuchte Mumie Europas. Wir wissen deshalb, dass die Gletschermumie tätowiert war, Gallensteine und eine Raucherlunge hatte, wie vermutlich die meisten prähistorischen Menschen, die ihr Leben lang am offenen Feuer sassen. Wir wissen auch, dass Ötzi laktoseintolerant war, was ebenfalls üblich war zu dieser Zeit in Europa. Ebenfalls aufschlussreich wie die Leiche selbst war Ötzis Ausrüstung, darunter ein schon ziemlich abgenutzter Dolch aus oberitalienischem Silex. Das Herkunftsgebiet (Monti Lessini am Gardasee) ist von der Fundstelle gut 200 km entfernt. Feuersteingeräte aus diesem Rohmaterial kommen in den Pfahlbauten nördlich der Alpen regelmässig vor. Bemerkenswerter war das Kupferbeil, dessen Rohmaterial aus der Toskana stammt, was zu dieser Zeit sehr selten war.

Ötzis Dolch aus Monte Lessini-Silex. CC by Wierer et al. 2018, bearbeitet

In einer Gürteltasche hatte Ötzi ausserdem verschiedenes Werkzeug, darunter sein „Feuerzeug“ und Stücke eines Birkenporlings (Fomitopsis betulina). Dabei könnte es sich um ein Heilmittel gehandelt haben, denn ein Aufguss aus Birkenporling hilft gegen Würmer und Magenbeschwerden. Und letztere hatte er wahrscheinlich, denn in seinem Magen wies man Bakterien der Art Helicobacter pylori nach, die zu Magenschleimhautentzündungen führen können. Auch Darmparasiten (Peitschenwurm, Trichuris trichchiura) konnten die Forscher*innen identifizieren. Der Mageninhalt zeigt ausserdem, was Ötzi vor seinem gewaltsamen Tod zuletzt gegessen hatte. Und das war in verschiedener Hinsicht durchaus überraschend. Isotopenanalysen an Ötzis Haaren klassifizierten ihn zunächst als Vegetarier, Fleischfasern im Magen entlarvten ihn aber als Omnivoren.

Zwei auf einen Fellstreifen aufgefädelte Birkenporlinge dienten wahrscheinlich zu medizinischen Zwecken. © Südtiroler Archäologiemuseum – www.iceman.it

Satt in den Tod

Die letzte Mahlzeit hat Ötzi erst kurz – maximal eine Stunde – vor seinem Tod eingekommen, der Magen war nämlich reichlich gefüllt. Es ist unklar, ob Ötzi diese Rast am Joch einlegte und dort dann auch getötet wurde, oder ob er kurz nach seiner letzten Mahlzeit angeschossen wurden und sich dann noch zum Joch hochschleppte. Jede/r erfahrene Bergsteiger*in weiss, dass umfangreiche Mahlzeiten bei steilen Aufstiegen schwer im Magen liegen und würde deshalb wohl erst auf dem Pass essen. Das jedoch dürfte für Ötzi in seiner letzten Stunde die geringste Sorge gewesen sein.

Ausgewogene Bergsteigernahrung

Die Hälfte von Ötzis Mageninhalt bestand aus tierischem Fett und/oder Milchprodukten. Dazu konnte man Pflanzenöle nachweisen, allerdings nicht deren genaue Herkunft. Wer weiss, vielleicht hat Ötzi Lein, Mohn oder ähnliches gegessen. Enthalten waren ausserdem Fleischfasern von Alpensteinbock (Capra ibex) und Rothirsch (Cervus elaphus), die nicht gekocht waren. Ötzi hat sie also entweder roh, getrocknet oder geräuchert gegessen. Im Magen waren auch Flitter von Kohlenstoff enthalten. Es ist aber nicht nachzuweisen, ob diese z. B. am Trockenfleisch waren oder beim Essen am offenen Feuer an den Fingern oder den Nahrungsmitteln anhafteten und dann mit geschluckt wurden. Ausserdem enthielt Ötzis letzte Mahlzeit Einkorn, und zwar in Form ganzer Körner.

A: Ötzis Magen-Darm-Trakt. In der Röntgenaufnahme ist der volle Magen zu sehen. Drei Proben wurden entnommen (Pfeile) und rehydriert. Darin fanden sich B: Tierische Muskelfasern. C: Pflanzliches Gewebe. CC by Maixner et al. 2018, bearbeitet

Eintopf und Trockenfleisch als Wandersnack

Einkorn und Rothirsch sind in Pfahlbauten reichlich belegt. Seltener, aber trotzdem nachgewiesen sind die alpinen Jagdtiere Steinbock und Gemse. Wie genau das letzte Mahl aussah, das Ötzi zu sich genommen hat, ist schwierig zu rekonstruieren. Denkbar sind ein dicker Eintopf aus Einkorn mit Trockenfleisch, salzige Müesliriegel aus gekochtem Getreide, Fett und Trockenfleisch oder einzeln verzehrte Nahrungsmittel: Trockenfleisch, Käse oder Fett und vorgekochtes Getreide. Jedenfalls hatte Ötzi reichlich Proviant dabei, den er bei seiner letzten Rast allerdings vollständig verzehrt hat; in seinen übrigen Behältnissen, die er bei sich trug, waren keine Essensreste enthalten. Ötzi hat zwar jede Menge Fleisch und tierische Produkte gegessen, aber wir können nicht wissen, ob das die damals übliche Ernährung in der Pfahlbauzeit war, oder ob es ein spezielles Bergsteigergericht war oder ganz einfach das, was er gerade bei sich hatte.

Daraus kochen wir Ötzis letztes Mahl.

Klopapier im Magen

Im Magen konnte man auch Adlerfarn (Pteridium aquilinum) nachweisen, der eigentlich giftig ist. Möglicherweise hat Ötzi den Adlerfarn nicht gegessen, sondern ihn z. B. als Verpackung eines Bergsteiger-Kraftriegels oder Käses verwendet. Adlerfarn ist aus Pfahlbauten relativ häufig nachgewiesen, kann aber für alles Mögliche verwendet worden sein. Historisch belegt ist die Nutzung von Adlerfarn als Einstreu. In Ötzis Magen fand man ebenfalls Pollen von Europäischer Hopfenbuche (Ostrya carpinifolia). Diese Pflanze ist in Pfahlbauten nördlich der Alpen nicht belegt. Heute sind Hopfenbuchen unter anderem in Südtirol, in Südbünden und im Tessin vorhanden. Der Nachweis von Hopfenbuche in Ötzis Magen belegt, dass er vor seinem Tod von der Südtiroler Seite her auf das Joch aufstieg, dort kann er diese Pollen z. B. beim Wassertrinken aufgenommen haben. Hopfenbuchen kommen heute bis auf 1300 m. ü. M. vor. In Pfahlbauten durchaus belegt ist dagegen das krausblättrige Neckermoos (Neckera complanata), das sich ebenfalls in Ötzis Magen fand – das Moos haben die Pfahlbauer*innen vermutlich auch für ihre Körperhygiene verwendet. Wieso Ötzi Moos in seinem Magen hatte, bleibt sein Geheimnis.

Portrait Renate Ebersbach
Archaeofacts

Maixner, F. et al. (2018) The Iceman’s Last Meal Consisted of Fat, Wild Meat, and Cereals. Current Biology, Vol. 28, Issue 14, 2348-2355. DOI: doi.org/10.1016/j.cub.2018.05.067

Wierer U et al. (2018) The Iceman’s lithic toolkit: Raw material, technology, typology and use. PLOS ONE 13(6): e0198292. DOI: doi.org/10.1371/journal.pone.0198292

Hochaufgelöste Fotos der Mumie und ihrer Tätowierungen: icemanphotoscan.eu/

Tipps

Wer mal in der Region ist, sollte Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum in Bozen einen Besuch abstatten: www.iceman.it/de

Für Wanderfreunde bietet sich auch ein Besuch der Fundstelle an. Beim Aufstieg von Süden kann man dann gleich noch den Archeoparc Schnalstal besichtigen (www.archeoparc.it/)