Fliegenpilz, Steinpilz, Hefepilz, Schimmelpilz, Mutterkornpilz, Fusspilz – ihr seht, wir begegnen Pilzen auf Schritt und Tritt. Die Bilderbuchpilze, denen wir im Wald begegnen, sind allerdings nur die Spitze des Eisberges; denn Steinpilz wie Fliegenpilz sind – biologisch betrachtet – Fruchtkörper des ungleich grösseren Pilzgeflechts (Myzels), das sich im Boden über mehrere Quadratmeter erstreckt und in Einzelfällen sogar mehrere Quadratkilometer gross werden kann. Die Hefepilze, denen wir die grosse Vielfalt alkoholischer Getränke verdanken, sind dagegen Einzeller. Die Schimmelflecken, die wir auf Brot oder Marmelade entdecken, entsprechen hingegen wieder der Spitze eines Eisberges: Wenn sie auftauchen, hat das mit blossem Auge unsichtbare Myzel meist schon grosse Teile des Lebensmittels durchdrungen.

Pilze zersetzen abgestorbene Pflanzen. Eine von Schimmelpilzen befallene Zwetschge.

Pilze: archäologisch fast unsichtbar

Die Sporen, die der sichtbare Schimmel verteilt, sind winzig, aber bei entsprechender Sorgfalt archäologisch nachweisbar. So haben Forscher*innen in Pfahlbausiedlungen Sporen von Pilzarten gefunden, die auf Dung von Tieren wachsen. Das Myzel und die Fruchtkörper der Pilze vergehen hingegen auch im Feuchtbodenmilieu der Pfahlbauten restlos. Daher kann man die Frage, welche Pilze in prähistorischer Zeit genutzt wurden, nicht sicher klären. Wir können allerdings davon ausgehen, dass die Menschen bereits damals sehr wohl wussten, welche Pilze essbar, welche giftig sind und welche medizinische Wirkungen entfalten können. Erworben haben sie dieses Wissen im Trial-and-Error-Verfahren; unter anderem mit Geschmacksproben. Bei Täublingen ist solch eine Geschmacksprobe bis heute üblich: Die mild schmeckenden Täublingsarten isst man, die anderen lässt man stehen.

Sieht giftig aus, ist aber essbar; ein Täubling.

Dass diese Methode auch ihre Tücken hat, zeigt der Kahle Krempling (Paxillus involutus). Bis vor kurzem hat man die weit verbreitete Pilzart in einigen Gegenden gegessen. Man wusste, dass die enthaltenen Giftstoffe beim Kochen zerstört werden, ahnte jedoch nicht, dass die Allergene des Kahlen Kremplings das Kochen überstehen und bei wiederholtem Genuss nach Jahren zu einer Antikörperbildung im Blut führen können, die tödlich verläuft und in der Regel nicht mit dem Verzehr der Pilze in Verbindung gebracht wird.

Zahnstein verrät die Pilzart

Bei den meisten Röhrenpilzen besteht diese Gefahr nicht, aber auch hier gibt es ungeniessbare und giftige Arten. Wenn man kein Pilzprofi ist, kann es schnell passieren, dass sich ein vermeintlicher Steinpilz als Gallenröhrling entpuppt. Wenn man das nicht rechtzeitig bemerkt, ärgert man sich ordentlich, denn oft reicht ein einziger bitterer Gallenröhrling aus, um ein ganzes Pilzgericht zu versauen. Röhrenpilze wurden in Spanien wohl schon in der Altsteinzeit gegessen; denn als Forscher*innen den Zahnstein menschlicher Skelettreste aus der Höhle von El Mirón auf winzige Essensreste untersuchten, fanden sie unter anderem Sporen, die wahrscheinlich von Röhrenpilzen stammen.

Der Rotfussröhrling (Xerocomellus chrysenteron) gehört zu den Speisepilzen

Sicher war auch schon in der Steinzeit bekannt, dass man bestimmte Pilzarten immer unter bestimmten Baumarten findet. Das ist darauf zurückzuführen, dass Pilze teils parasitär, teils symbiotisch leben. Unter Lärchen findet man beispielsweise in ganz Mitteleuropa Goldröhrlinge (Suillus grevillei, Syn.: Suillus flavus), die deshalb auch Goldgelbe Lärchen-Röhrlinge genannt werden; diese Pilzart lebt in einer Mykorrhizapartnerschaft mit der Europäischen Lärche (Larix decidua). Und da sich im Boden unter den Pilzen häufig ein ausgedehntes Myzel verbirgt, lohnt es sich immer, in der Nähe eines Pilzes nach weiteren zu suchen.

Mit Pilzen Feuer machen

Doch Pilze sind nicht nur zum Essen gut. Der Zunderpilz (Fomes fomentarius) war über Jahrtausende ein guter, ja unentbehrlicher Freund des Menschen. Er brachte Licht, Wärme und gekochtes Essen. Vor der Erfindung von Zündhölzern und Feuerzeug benötigte man zum Entfachen eines Feuers Feuerstein (Silex) und Pyrit (ein Mineral, das auch unter dem Namen Katzengold bekannt ist). Durch geschicktes Aneinanderschlagen der Steine erzeugte man damit Funken, die auf ein bereitgelegtes Stück Zunderpilz fielen und diesen zum Glimmen brachten. Eine rasche und leichte Methode also, um ein Feuer zu entfachen. Daher stammt auch die Redewendung «Es brennt wie Zunder».

Zunderschwamm (Fomes fomentarius) an einer Buche. CC by Naturpuur, bearbeitet

So wie heute Schlüssel, Handy und eine Hygienemaske in jede Tasche gehören, dürften alle Pfahlbauer*innen beim Verlassen des Hauses ein komplettes Feuerschlagset bei sich getragen haben. Auch Ötzi, die Gletschermumie, führte in seiner Bauchtasche ein Knäuel Zunderschwamm mit, an dem noch Pyritstücke anhafteten. Es verwundert deshalb nicht, dass bei Grabungen in Pfahlbauten immer wieder Zunderpilze zum Vorschein kommen, die einst als Vorrat an Anzündmaterial in den Häusern eingelagert waren. Der Zunderschwamm ist somit einer der wenigen Pilze, die sich im Boden dank ihrer harten Aussenschicht erhalten und dadurch archäologisch nachweisbar sind. Den Zunder beschafften sich die Pfahlbauer*innen im Wald. Der hufförmige Pilz wächst an geschwächten und toten Laubbäumen. Dort brauchte man ihn nur abzuhacken, die harte Schicht an der Oberseite zu entfernen und das weiche Innere, die lederartige Trama in Stücke zu schneiden und auseinanderzuziehen. In Überlebensforen findet man Rezepte, wie man die Glimmfreudigkeit des Zunders erhöhen kann, z. B. durch Kochen in Urin oder Einlegen in Aschewasser. Wie behandelten wohl die Pfahlbauer*innen ihren Zunder?

Zunderschwamm aus der Pfahlbausiedlung Thayngen-Weier (CH). © KASH

Neben seiner Funktion als Anzündhilfe setzte man den Zunderschwamm bis ins 19. Jahrhundert ausserdem als blutstillende und desinfizierende Wundauflage ein. In Rumänien stellt man noch heute aus dem weichgeklopften Fruchtfleisch des Zunderschwamms Hüte und Taschen her. Ein Aufenthalt in Reichweite eines funkensprühenden Feuers empfiehlt sich damit aber nicht.

Hut aus weichgeklopftem Trama des Zunderschwammes, angefertigt in Rumänien. CC by Brudersohn, bearbeitet

In Ötzis Handgepäck: Birkenporlinge

Die Gletschermumie vom Hauslabjoch hatte neben der schwarzen Masse, die als Zunderschwamm bestimmt werden konnte, zwei rätselhafte Objekte im Gepäck, die an Lederstreifen befestigt waren. Obwohl die Forscher*innen keine nennenswerten Eingriffe in die Substanz der einzigartigen Funde vornehmen durften, fanden sie durch eine Kombination zahlreicher verschiedener Untersuchungsmethoden heraus, dass es sich um Fruchtkörperstücke eines Birkenporlings (Piptoporus betulinus) handelt. Die Lederstreifen, an denen sie hingen, rochen auch nach 5000 Jahren noch streng nach frisch erlegtem Wild und wurden wahrscheinlich aus Ziegenfell hergestellt.

Ötzi hatte Stücke von Birkenporling (Piptoporus betulinus) in seiner Ausrüstung. CC by Dominicus Johannes Bergsma, bearbeitet

Aber warum hatte Ötzi gerade Stücke von einem Baumpilz dabei, der ausschliesslich an Birken wächst? Birkenporlinge sind nicht schmackhaft aber essbar, zumindest wenn sie jung sind. Ein Reisender des 18. Jahrhunderts berichtet von der ostsibirischen Halbinsel Kamtschatka, dass man die Pilze dort vom Baum gebrochen, zerkleinert und gefroren gegessen hat. Doch die Birkenporlingstücke aus Ötzis Gepäck waren rund oder kiefernzapfenförmig zugerichtet und sorgfältig am Ende von Lederstreifen befestigt. Das schliesst aus, dass er sie als Snack dabeihatte. Ethnographische Vergleiche lassen eher eine medizinisch-spirituelle Verwendung von Ötzis Birkenporlingstücken vermuten; denn der Baumpilz besitzt Inhaltsstoffe, die entzündungshemmend sind, und hat zudem antimikrobiologische Eigenschaften. Wollte Ötzi damit im Notfall vielleicht Wunden versorgen können? Ebenso wenig auszuschliessen ist, dass die Birkenporlingstücke als Amulette dienen sollten.

Pfahlbauer*innen im Magic-Mushroom-Rausch?

Weil wir aus der Zeit der Pfahlbauer*innen keinerlei schriftliche Überlieferung haben, sind wir ganz und gar auf die Archäologie angewiesen, wenn es um die religiösen Vorstellungen und Rituale der Jungsteinzeit und Bronzezeit geht. Unglaublich gerne würden wir wissen, inwieweit bei den Ritualen Alkohol aus der Gärung mit natürlichen Hefen oder auch psychoaktive Pilze eine Rolle spielten. Dafür in Frage kommen einheimische Arten wie der Fliegenpilz (Amanita muscaria), von dem wir wissen, dass er von sibirischen Völkern als Rauschmittel verwendet wurde, oder auch der Spitzkegelige Kahlkopf (Psilocybe semilanceata). Gleiches gilt für vom Mutterkornpilz befallenes Getreide. Es ist also durchaus möglich, dass sich die Pfahlbauer*innen berauschten, denn ethnographisch können wir die Verwendung von Pilzen als Rauschmittel und als Medizin beobachten.

Inbegriff des Giftpilzes: Der Fliegenpilz.

Rezepte mit Magic Mushrooms liefern wir nicht, dafür viele leckere Pilzgerichte mit einheimischen Speisepilzen. Sie bereichern frisch oder getrocknet den Speiseplan. Pilze sind deshalb auch die Zutat unserer September-Challenge. Kennst du dich mit Pilzen aus? Dann ist das deine Chance zum Sammeln, Mitmachen und die geschmackliche Vielfalt der Pilze zu feiern. Vertraust du lieber dem Angebot auf dem Markt oder im Lebensmittelladen? Dann lasse Shiitake, Enoki und Teebaumpilze links liegen und wähle die europäischen Arten wie Steinpilze, Pfifferlinge, Champignon oder Morcheln. Wir freuen uns auf deine Spätsommergerichte!

Gelbstielige Trompetenpfifferlinge mit Pastinaken-Erbsen-Kroketten.
Portrait Markus Gschwind
Portrait Katharina Schäppi
Archäofacts

Power, R. C./Salazar-García, D. C./Straus, L. G./Gonzalez Morales, M. R./Henry, A. G. (2015) Microremains from El Miron Cave human dental calculus suggest a mixed plant-animal subsistence economy during the Magdalenian in Northern Iberia. Journal of Archaeological Science 60, August 2015, 39-46.
Originalpublikation; Deutsche Zusammenfassung

Peintner, U./Pöder, R./ Pümpel, T. (1998) The iceman’s fungi. Mycological Research 102 (10), 1998, 1153-1162.
Artikel