Waldbaden zur Erholung? Heute gilt der Wald für viele Zivilisten als romantisches Naherholungsgebiet. Man spaziert auf sanftem Moos durch lichte Wälder und fängt die milden Sonnenstrahlen auf. Früher sah das noch ziemlich anders aus: Dunkle, schattige Laubmischwälder mit wenig Unterwuchs prägten weite Teile der mitteleuropäischen Landschaft zwischen dem Ende der letzten Eiszeit und dem Eintreffen der ersten Bauern und Bäuerinnen. Der Unterschied zu unseren heutigen aufgeräumten Kulturlandschaften mit der klaren Dreiteilung in Feld, Wiese und Wald könnte nicht grösser sein. Die Pfahlbauer*innen haben wesentlich zu diesem Wandel beigetragen, denn sie haben den Urwald langsam in einen Nutzwald umgewandelt.

Idyllischer Laubmischwald mit Moos und Wollgras. © K. Schäppi

Um Felder anlegen zu können, mussten die ersten Bauern zuerst Wald roden. Mit viel harter Arbeit, Steinbeilen und Feuer schufen sie über Tausende von Jahren offenere, vielgestaltigere Landschaften mit Gebüsch, Hecken, Brachen, Feldern oder Magerrasen. Trotzdem blieb der Wald eine sehr wichtige – wenn nicht sogar die wichtigste – Ressource für Nahrung, Weide und Rohstoffe. Der Wald lieferte Baumaterial, Brennholz, Rohmaterial für Holzgefässe und -geräte und Nahrung für Menschen und Tiere. Die Menschen nutzten den ganzen Baum: Stamm, Äste, Früchte, Bast, Blätter oder Nadeln. Das wichtigste Jagdwild lebte im Wald, die Haustiere weideten darin, Sammelpflanzen wie Wildäpfel, Haselnüsse, Holunder oder Physalis wuchsen im (lichten) Wald oder an dessen Rändern.

Ein Getreidefeld zwischen Wiesen und Bäumen. © K. Schäppi

Ein Blätterteppich in der Pfahlbauerstube

Die Pfahlbauten hatten einen enormen Holzbedarf. Die Häuser wurden zum grössten Teil aus Holz errichtet mit ihren gut zwei Dutzend oder mehr tragenden Pfählen, der Dachkonstruktion, den Lehmflechtwerk- oder Bretterwänden und den Dielenfussböden. Auch Bohlenwege, Palisaden oder Zäune benötigten grosse Mengen an Holz und mussten alle paar Jahre erneuert werden. Im Hausbau war nicht nur Stammholz gefragt, sondern auch Zweige für Bindungen, Bast für Schnüre und Matten und nicht zuletzt Laub. Aus Olzreute Enzisholz, einer Moorsiedlung in Oberschwaben, sind Buchenblätter auf einem Bretterboden gefunden worden – der steinzeitliche Vorläufer des Teppichs?

Nachbau eines Hauses aus Arbon Bleiche 3 (CH) im Freilichtmuseum Unteruhldingen. © R. Ebersbach

Forscher*innen haben Pfahlbauhäuser unterschiedlicher Grösse von der frühen Jungsteinzeit bis zur Spätbronzezeit experimentell nachgebaut und dafür zwischen 6 und 25 m3 Holz benötigt. Je nach verwendeten Holzarten und Durchmessern mussten sie dazu mehrere hundert Bäume fällen. Am häufigsten verbaut wurden allerdings Äste, Zweige und Stangenholz mit wenigen Zentimetern Durchmesser.

Ein Baum für jede Aufgabe

Das meiste Bauholz kam dabei aus Standorten in der Nähe, also aus ufernahen Auenwäldern. Hier wachsen z. B. Pappel, Weide und Erle, also Arten, die regelmässig im Wasser stehen können. Diese Weichhölzer nahm man vor allem für den Bau von Wegen oder Palisaden, es gibt aber auch Häuser, die aus Weide gebaut waren. Weiter hangaufwärts folgen die trockeneren Standorte mit Baumarten wie Eiche, Ulme, Esche und Ahorn. Wenn vorhanden, nutzte man am liebsten alte Eichen zum Hausbau, die man mit Keilen spaltete. Nur für Spezialanforderungen holte man das Holz aus den etwas weiter entfernten, meist von Buchen dominierten Laubmischwäldern auf trockenen Standorten, z. B. Weisstannen für die Schindeldächer.

Holz für Häuser, Wege und zum Kochen. Blick in das Pfahlbaudorf Thayngen-Weier (CH). Modell von Hans Bendel. © KASH

Zum Bauholz kam der Brennholzbedarf. Aufwändig fundamentierte Feuerstellen mit Lehmplatten zeigen, wie wichtig das wärmende, Licht spendende Feuer damals war. Analysen von Holzkohle haben für verschiedene Siedlungen gezeigt, dass das Bauholz und das Brennholz nicht gleich zusammengesetzt sind, d. h. die Pfahlbauer*innen haben nicht einfach herumliegendes Abfallholz verbrannt, sondern gezielt Brennholz im Wald gesammelt, das einen bestimmten Durchmesser hatte (vor allem Stangenholz), aber von verschiedenen Arten stammen konnte.

Reste einer 5700 Jahre alten Feuerstelle mit Lehm und Steinen in der Moorsiedlung Bodnegg im westlichen Allgäuer Hügelland (D). © R. Ebersbach

Waldwirtschaft

Die Pfahlbauer*innen haben den Wald aber nicht nur für die Felder gerodet und für Siedlungen und Brennholz Bäume abgeholzt. Sie haben den Wald vielmehr regelrecht bewirtschaftet und dadurch über mehrere Generationen zu einem Nutzwald umgebaut. Eichen waren ein beliebtes Bauholz und wurden ausserdem zur Laubheu-Gewinnung geschneitelt, d. h. die jungen, frische Blätter tragenden Äste wurden abgeschnitten und als Viehfutter gelagert. Ausserdem hat man Eicheln gesammelt. Anhand der Analyse der Eichen-Jahrringe am Zürichsee wissen wir, dass verschiedene Eichenbestände abwechselnd genutzt wurden. Auf diese Weise konnten sich die einzelnen Bestände nach der Schneitelung mehrere Jahre erholen, waren mehrfach nutzbar und produzierten weiterhin die besonders beliebten alten Stämme für das Bauholz. Die Pfahlbauer*innen verstanden so viel von Forstwirtschaft, dass sie den Wald entsprechend ihrer Bedürfnisse managen konnten. Das System war allerdings nicht endlos nachhaltig. In manchen Seebuchten waren die Eichenbestände offensichtlich trotzdem nach einigen Generationen erschöpft, denn die Häuser der jüngsten Besiedlungsphasen waren überwiegend aus Weichholz gebaut.

Geschneitelte Bäume (im Vordergrund). © K. Schäppi

Durch die Entnahme von Holz haben die Menschen die Laubmischwälder aufgelichtet. Dies förderte den Unterwuchs, was die aufgelichteten Wälder wiederum zu einer interessanten Viehweide machte. Die starke Zunahme von Stechpalme (Ilex aquifolium) in der Horgener Zeit (um 3000 v.  Chr.) zeigt die Überweidung dieser Wälder an.

Permakultur à la Pfahlbauer*in

Der Umbau der Wälder hatte auch einen weiteren positiven Effekt, der sich auf die Speisekarte der Pfahlbauerfamilien auswirkte: Das Wachstum wichtiger Sammelpflanzen und Fruchtbäume wurde gefördert. Dazu gehören dornige Hecken- und Waldrandpflanzen wie Schlehen, Hagebutten, Brom- und Himbeeren, aber auch und vor allem der Apfel. In naturnahen Wäldern gehört der Wild- oder Holzapfel (Malus sylvestris) zu den seltensten Baumarten überhaupt. Der Wildapfel war in Deutschland Baum des Jahres 2013. Apfelreste sind in Pfahlbauten in grossen Mengen nachgewiesen. Die Wildäpfel wurden halbiert, gedörrt und dann als Vorrat eingelagert. So grosse Mengen an Wildäpfeln können kaum natürlich in den umgebenden Waldbeständen vorgekommen sein. Vermutlich haben die Pfahlbauer*innen ihre Apfelbäume gehegt, gefördert und vielleicht sogar gezielt gepflanzt. Der durch die Römern nördlich der Alpen eingeführte Kulturapfel stammt nach heutigem Wissensstand allerdings nicht vom einheimischen Holzapfel ab, sondern hatte seinen Ursprung eher in Südwestasien.

Wildapfel (Malus sylvestris).

Gehegt und gepflegt hat man sicher auch Haselnuss-Haine und Schlehenbüsche. Solche Standorte voller beliebter Sammelpflanzen waren sicher noch keine Gärten oder Obstplantagen im heutigen Sinn. Fruchtbäume, Hecken und Gebüsche waren aber wichtige und landschaftsprägende Elemente, die sicher über Jahre oder sogar Jahrzehnte an der gleichen Stelle existierten. Immerhin brauchen Schlehenbüsche zehn Jahre, bis sie zum ersten Mal Früchte tragen. Ebenso menschengemacht waren „Schneitelplantagen“ mit Bäumen für Laubheu (Eiche, Esche u. a.) und Stockausschlags- bzw. Sekundärwaldflächen, auf denen das beliebte Stangenholz mit 5 bis 10 cm Durchmesser wuchs, das man für alles Mögliche brauchte. Zur Bewirtschaftung der Umgebung gehörte deshalb auch, dass man die Haustiere aus diesen Flächen heraushielt, um Verbiss zu vermeiden. Auch die Weide ihrer Haustiere haben demnach die Menschen damals organisiert und nicht dem Zufall überlassen.

Dornenhecke mit Schlehen, Weissdorn und Brombeere.

Der Spätsommer eignet sich perfekt für einen schönen Waldspaziergang. Beobachte einmal genau, wie der Wald in deiner Nähe aussieht. Welche Bäume wachsen? Wie fühlt sich der Boden an? Wo ist es dunkel, wo heller und welche Pflanzen wachsen an welchen Standorten? Vielleicht entdeckst du sogar einen Wildapfelbaum oder deine neue Lieblingshecke mit reifen Brombeeren auf dem Nachhauseweg. Wir wünschen dir ein schönes Waldbaden mit einem aus Pfahlbauer*innen-Sicht geschärften Blick!

Portrait Renate Ebersbach
Archäofacts

Baum, T. (2019) Modelle der Landnutzung in den neolithischen Feuchtbodensiedlungen des nordwestlichen Alpenvorlandes. Dissertation Universität Basel 2019, Kap. 8.2.
http://edoc.unibas.ch/diss/DissB_13486

Weitere Infos

Über den Wildapfel: https://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/baeume-und-waldpflanzen/laubbaeume/wildapfel-malus-sylvestrishttps://www.waldwissen.net/de/lebensraum-wald/baeume-und-waldpflanzen/laubbaeume/wildapfel-malus-sylvestris