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Laktoseintoleranz bei den Pfahlbauer*innen?

Nahrungsunverträglichkeiten sind heute ein wichtiges Thema. Besonders Milch und Milchprodukte vertragen viele Erwachsene schlecht. In Asien und Amerika sind über 90 % der Erwachsenen laktoseintolerant. In Europa und Afrika ist die Laktosetoleranz sehr unterschiedlich verteilt: Während auf den Britischen Inseln und in Skandinavien 90 % der Bevölkerung Laktose vertragen, sind es in Deutschland etwa 60 % und im östlichen Mittelmeerraum nur noch 15 %. Auch im Vorderen Orient und in Ostafrika gibt es Regionen mit hohen Prozentsätzen von laktosetoleranten Erwachsenen. Diese liegen in Gegenden, in denen man sehr früh Haustiere domestiziert hat. Wie kommt dieses Muster zustande? Und was hat es mit den Pfahlbauten zu tun?

Milchprodukte hinterlassen Spuren in Gefässen und im Körper.

Milchnutzung macht laktosetolerant

Laktosetoleranz von Erwachsenen ist eine Mutation, die genetisch nachgewiesen werden kann. Es gibt fünf verschiedene Gen-Orte, an denen entsprechende Mutationen zu finden sind. Das spricht dafür, dass Laktosetoleranz an verschiedenen Orten der Welt entstand. Studien an Skeletten aus Europa haben gezeigt, dass die prähistorischen Menschen bis zur Bronzezeit alle Laktose-unverträglich waren, z. B. auch Ötzi. Erst in der Bronzezeit lassen sich wenige Erwachsene mit der Mutation nachweisen. Höhere Prozente von Laktose-verträglichen Erwachsenen sind aber erst am Ende der Bronzezeit und in der Eisenzeit belegt, und zwar vor allem in Skandinavien und auf den Britischen Inseln. Das hängt vermutlich damit zusammen, dass diese Gegenden durch den langen Winter und die kurzen Vegetationsperioden für den Ackerbau ungünstig sind. Eine intensive Vieh- und Milchwirtschaft war dagegen möglich. Da war es sicher von Vorteil, als Erwachsener Milchprodukte gut zu vertragen. Auch in den Alpenregionen hat man schon seit der Bronzezeit intensive Viehwirtschaft betrieben, und ab der Eisenzeit sind Sommeralmen mit Milchverarbeitung belegt. Es erstaunt deshalb nicht, dass in der Schweiz heute nur jeder fünfte Erwachsene keine Milch verträgt. Vielleicht war die Besiedlung dieser Landschaften auch erst möglich, als Laktosetoleranz bei Erwachsenen nach vier Jahrtausenden Selektion häufiger verbreitet war.

Laktoseintoleranz in Europa heute. © Wikipedia, DOI

Milchfette im Topf: Frischmilch, Käse oder Butter?

Seit dem Beginn von Ackerbau und Viehzucht vor über 10´000 Jahren im Vorderen Orient haben Menschen Säugetiere domestiziert, deren Milch sie nutzen können: Rinder, Schafe und Ziegen. Schon aus Keramikgefäßen der ältesten Bauerngesellschaften in Europa 1000 Jahre vor den Pfahlbauten sind Milchfette nachgewiesen – obwohl die Erwachsenen nachweislich laktoseintolerant waren. Wie passt das zusammen? Eigentlich sehr gut. Denn der Laktose-Anteil in der Milch nimmt bei jedem Verarbeitungsschritt von Dickmilch über Frischkäse zu Hartkäse, Butter und Butterschmalz ab. Verarbeitete Milchprodukte können auch laktoseintolerante Erwachsene problemlos verdauen. Mit der Einführung von Ackerbau und Viehzucht wurde die Ernährung einseitiger und beruhte vor allem auf Getreiden. Selbst geringe Mengen von Milch und Milchprodukten sorgten für eine zusätzliche Zufuhr von Protein, Fett, Kalzium und Vitamin D. Sie konnten die Überlebenswahrscheinlichkeit von (Klein-) Kindern erhöhen, deren Sterblichkeit in prähistorischen und historischen Zeiten sehr hoch war. Auch die Ernährung der Erwachsenen wurde durch die verarbeiteten Milchprodukte vielfältiger. Vergleiche zwischen skandinavischen Jäger*innen und Sammler*innen und frühen Bauernfamilien haben gezeigt, dass Letzere keine Meeressäuger und -fische mehr gegessen haben, aber von Anfang an Milchprodukte. Auch aus Pfahlbausiedlungen sind Gefäße mit Milchfetten nachgewiesen. Mit einer Kombination von chemischen Analysen und Isotopen-Analysen kann man sogar zeigen, ob Frischmilch oder verarbeitete Milchprodukte im Topf waren. Allerdings bleibt die Frage offen, wer den Topfinhalt gegessen hat: Kinder oder Erwachsene?

Beprobung für die Isotopen-Analyse am Beispiel eines Rinderzahns. © Claudia Gerling, IPNA, Universität Basel

Die Lösung liegt im Zahnstein

Die spezifische Bakterien-Zusammensetzung im Mund, das Mundbiom, hängt eng damit zusammen, wie wir uns ernähren. Sie erhält sich über Jahrtausende z. B. im Zahnstein oder in den „Kaugummis“ aus Birkenpech, die wir in Pfahlbauten gelegentlich finden. Und wenn im Mundbiom das Molke-Protein ß-Lactoglobulin nachgewiesen wird, ist dies ein direkter Beleg, dass der entsprechende Mensch Frischmilch im Mund hatte – und man kann sogar sagen von welcher Tierart. Es gibt erst wenige Untersuchungen dazu, aber die ältesten Belege stammen aus der Bronzezeit. Dass heute in Europa so viele Erwachsene laktosetolerant sind, kann man direkt auf eine jahrtausendealte Tradition von Milchnutzung zurückführen. Zahnstein- und Kaugummi-Studien werden unser Wissen über prähistorische Ernährung in den nächsten Jahren stark erweitern und verändern – auch für die Pfahlbau-Zeiten.

Proben von prähistorischen Resten für Isotopen-Analysen. © Claudia Gerling, IPNA, Universität Basel

Wenn du also der Forschung einen Gefallen tun willst, dann lass ein bisschen Zahnstein dran oder hebe deine alten Kaugummis auf. Und wenn du dein Mundbiom aktivieren willst und Milch verträgst, dann experimentiere mit Milchprodukten und den Bakterien in deiner Küche.

Portrait Renate Ebersbach

Pfahlbauers wilder Frühlingsgarten

Pfahlbau-Siedlungen bestanden aus dicht aneinandergebauten Häuschen in der Flachwasserzone oder im Moor. Beides ist für Gemüsegärten eine eher ungeeignete Umgebung. Und Zuchtobst für den Obstgarten gab es auch noch nicht, das brachten erst die Römer. Trotzdem assen die Pfahlbauer*innen verschiedenste Obst-und Gemüsearten. Für sie war die ganze Landschaft Obstplantage und Gemüsegarten. Sie wussten genau, wann sie welche Pflanzen in Hecken, auf Brachen, in Wäldern oder an Waldrändern systematisch abernten konnten. Und die Saison begann schon im Vorfrühling, bevor das Laub der Bäume anfängt zu sprießen.

Bärlauchteppich

Sobald die Temperaturen etwas steigen, wächst Bärlauch in rauen Mengen in lichten, feuchten Laubwäldern. An den richtigen Standorten findet man ihn in dichten Teppichen wie angebaut am Waldboden und kann in kürzester Zeit grosse Mengen ernten.

Bärlauch (Allium ursinum) ist zwar in den Samen und Früchten aus Pfahlbauten nicht oft nachgewiesen, in Blütenstaub-Analysen hingegen sehr häufig. Da man Bärlauch vor der Blüte erntet und das frische Blatt isst, bleibt auch nichts zum Bestimmen für die Archäobotaniker*innen übrig.

Bärlauch schmeckt intensiv wie eine Mischung zwischen Lauch und Knoblauch. Er lässt sich als Spinat, Pesto oder Salat-Zugabe verarbeiten. Beim Erhitzen fällt er wie Spinat stark zusammen. Man kann ein klassisches Pesto-Rezept (mit Olivenöl und Pistazien) relativ einfach zu einer Pfahlbau-tauglichen Paste abwandeln, indem man z. B. das Olivenöl mit Leinöl oder Sahne ersetzt und die Pistazien mit gehackten Haselnüssen oder Bucheckern. Getrockneter Bärlauch eignet sich auch als Gewürz.

Die Blätter können theoretisch mit den giftigen Maiglöckchen verwechselt werden, aber im milden Klima der großen Voralpenseen wachsen Bärlauch und Maiglöckchen praktisch nie gleichzeitig. Im Zweifelsfall Blatt abrupfen und daran riechen, dann ist der Fall klar!

Auf dem Heimweg die Salatbeilage ernten

Gleichzeitig mit dem Bärlauch gibt es im Wald auch schon ersten Sauerklee und frische Erdbeerblätter. Und auf dem Heimweg kann man am Ackerrand und auf der Weide noch frischen Löwenzahn, Sauerampfer, Veilchen, Gänseblümchen, Wegerich und Schafgarbe-Blätter einsammeln für Salat und/oder Tee. Sicher finden sich irgendwo auch schon die ersten Brennnesseln. Eine aromatische Ergänzung können auch die Blätter und Triebe des Gewöhnlichen Hirtentäschel (Capsella bursa-pastoris) sein, die geschmacklich zwischen Kresse und Rucola liegen. Von dieser Pflanze aus der Familie der Kreuzblütler kann man auch die Blüten, Wurzeln und Samen essen. Aus den gestampften Samen, vermischt mit etwas Salz, lässt sich eine senfartige Paste herstellen. Und am Seeufer konnte man zur Zeit der Pfahlbauer noch ein paar Wasservogel-Eier mitnehmen. Heute solltet ihr eure Eier aber nicht mehr in freier Wildbahn erbeuten, sondern beim örtlichen Bauern oder im Dorfladen.

Ein Prachtsexemplar eines Löwenzahns.
Gänseblümchen und die gefiederten Blätter der Schafgarbe
Wiesenknopf mit spriessendem Blütenstand.

Zusammen mit den Milchprodukten ergeben sich spannende Kombinationen für Pasten, Aufläufe, Pasta-Saucen – oder wie wäre es mit einem Bärlauch-Frischkäse? Im Warenkorb findest du eine Vielzahl an Wildkräutern, welche die Pfahlbauer*innen kannten, versehen mit den Angaben zur Erntezeit und welche Pflanzenteile geniessbar sind. Nimm an der März-Challenge teil und schick uns deine Rezeptkreationen.

Portrait Renate Ebersbach

von Renate Ebersbach
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Probiere auch ihre Rezepte.

Biestmilch macht den Kuchen gelb

Heute stellen wir dir auf unserer Rezeptseite drei spezielle Milchgerichte vor: den Brieschkuchen, die Kolostrumtorte und einen Pudding namens «Kälbertanz». Dazu möchten wir dir in diesem Blogbeitrag ein paar Hintergrundinfos mitgeben. Für viele von euch mag bereits die Verarbeitung von Frischmilch ungewohnt sein. Noch spezieller und weitgehend unbekannt ist die Biestmilch, auch Erstmilch, Vormilch oder Colostrum genannt. Jedes weibliche Säugetier produziert in den ersten Tagen, nachdem es geboren hat, eine dickflüssige, gelbliche Milch. Sie enthält Antikörper, welche die Immunabwehr des Neugeborenen stärken und ihm eine Vielzahl an Proteinen, Vitaminen, Wachstumsfaktoren und Mineralstoffen für einen guten Start ins Leben gibt.

Biestmilch ist gelblich, schmeckt süss und ist leicht dickflüssig.

Ultrasaisonales Milchprodukt

Auch Nutztiere wie Kühe, Schafe und Ziegen produzieren Biestmilch. Vor der modernen Tierhaltung gehörte die Erstmilch für zwei bis drei Tage ganz dem Jungtier. Ab dem dritten bis fünften Tag wurde ein Teil davon gemolken und zu speziellen Gerichten verarbeitet. Biestmilch war und ist etwas Besonderes, weil es sie jeweils nur für kurze Zeit gibt. Ihr werden stärkende und heilende Kräfte nachgesagt. Was wir zum Geschmack sagen können? Wer Biestmilch kennt, liebt sie oder findet sie eklig. Damit verbunden sind jede Menge Emotionen und Erinnerungen.

Biest kommt von «melken»

Für die Rezepte auf dieser Jubiläums-Webseite schmökern wir in historischen Kochbüchern oder lassen uns von regionalen, traditionellen Speisen inspirieren. Im Alpenraum und den angrenzenden Regionen stossen wir immer wieder auf Gerichte, in denen Milchprodukte vielfältig verarbeitet werden. Dazu gehören auch Rezepte aus Biestmilch. Das Colostrum heisst je nach Dialekt Brieschmilli, Briesch-, Biemst- oder Briestmilch, im Südwestdeutschen Raum auch Pfaff, Pfaffenmilch, Priestermilch oder Kuhpriester. Biest ist in diesem Fall keine Bezeichnung für ein lästiges Tier oder einen durchtriebenen Menschen: Der Begriff geht auf das Verb bies(t)en zurück, was melken bedeutet. Welche Wörter die Pfahlbauer*innen des zirkumalpinen Raumes für die Erstmilch hatten, wissen wir nicht. Wir befinden uns zeitlich lange vor der Einführung der Schrift in unserer Gegend. Beweise dafür, dass die Pfahlbauerfamilien mit Biestmilch kochten, können wir auch keine liefern. Wir halten es aber für sehr wahrscheinlich, dass die Erstmilch bereits damals eine besondere Rolle in der Symbolik und der Ernährung gespielt hat.

Ein sättigender Brieschkuchen

Durch den hohen Proteingehalt stockt die Biestmilch beim Erhitzen. Sie ist süsslich, sehr gehaltvoll und erinnert geschmacklich und in der Konsistenz leicht an Caramellköpfli (Caramelflan). Biestmilch eignet sich daher für Süssspeisen wie Aufläufe oder Pfannkuchen, aber auch für die Herstellung von Käse oder als Zutat eines Brotteiges. Der Brieschkuchen ist eine Zubereitungsart, die früher im deutschsprachigen Raum verbreitet war: Man verrührt die Biestmilch mit Mehl und Eiern, bäckt sie im Ofen und serviert sie mit süssen oder salzigen Beilagen.

Wer keine trächtige Kuh im Stall stehen hat, kommt heute nur schwer an Biestmilch, denn das Colostrum ist nicht frei erhältlich und wenn, dann nur als Nahrungsergänzungsmittel in Pulverform. Wir zeigen dir im Rezept eine einfache Möglichkeit, wie du Biestmilch nachahmen kannst.

Brieschkuchen mit getrockneten Sauerkirschen.

Toétché aus dem Jura

Im schweizerischen und französischen Jura ist ein Kuchen namens Toétché beheimatet. Die gängigen Onlinerezepte verwenden für den Kuchenguss die überall erhältlichen Milchprodukte Sauerrahm, Crème fraîche oder Rahm. Früher stellte man den Belage dieser Torte mit Hefeteigboden mit Biestmilch her. In unserem pfahlbauer*innentauglichen Rezept besteht der Kuchen natürlich aus Sauerteig und wir nennen das Gericht Colostrum-Torte.

Colostrum-Torte mit Wildgemüse.

Biestmilch bringt Kälber zum Tanzen

In Schweden reicht man zu besonderen Gelegenheiten eine Art Pudding aus Biestmilch und Eiern, bestreut diesen mit Zimt und Zucker und serviert ihn mit Beeren. Das traditionelle Gericht heisst «kalvdans», also «Kälbertanz». Der Name bezieht sich auf das neugeborene Kalb, das munter herumspringt, nachdem es seine erste Muttermilch getrunken hat. Unvergessen ist mir ein Mittsommerfest in Schweden, bei dem musiziert, getanzt und «kalvdans» gegessen wurde. Die Erinnerungen an den süsslich-seidigen Geschmack des Gerichtes sind auch viele Jahre danach noch präsent.

Für unseren Foodblog haben ich den Kälbertanz aus meinen Kindheitserinnerungen hevorgekramt und ihn nachgekocht. Gespannt wartete ich, bis der Pudding im Ofen eine goldbraune Farbe angenommen hat. Und so habe ich an einem kalten Märztag, nachdem die Foodfotos im Kasten waren, den ersten Löffel «kalvdans» gekostet. Und da waren sie wieder: der Geschmack, die spezielle Konsistenz und die Erinnerung.

Kälbertanz, Biestmilch-Pudding mit Heidelbeeren.

Hast du schon mal Biestmilch gekostet? Wie findest du sie? Verbindest auch du den Geschmack spezieller Milchgerichte mit Erinnerungen? Kennst du Rezepte mit Biestmilch oder heute vergessene Milchgerichte? Teile deine Erfahrungen und Rezepte mit uns.

Portrait Katharina Schäppi

Käse in der Pfahlbauzeit?

Schon mal darüber nachgedacht, was Rivella, Sauerkraut und der Laktatwert in deinen Muskeln nach zwei Minuten in der Abfahrtshocke miteinander zu tun haben? Die Antwort ist: Milchsäuregärung! Dadurch wird kurzfristig Energie in deine Muskeln gepumpt, wenn es mit dem Sauerstoff im Blut zu Ende geht. Im Essen hemmt die Sauergärung die Vermehrung von schlechten Erregern wie z. B. Staphylokokken. Milchsäuregärung findet in ganz verschiedenen Lebensmitteln statt, z. B. in Sauerteig, Sauerkraut, Kimchi, Salzgurken und: Käse! Und damit sind wir beim Thema: die Verwandlung von Frischmilch in käseartige Milchprodukte.

Dafür gibt es viele Verfahren. Manche sind einfach und passieren quasi von selber – andere sind komplex, erfordern Erfahrung, viele verschiedene Arbeitsschritte in exakter Reihenfolge und ein gewisses Mass an Hygiene. Allein schon das Einhalten der richtigen Temperatur ist ohne Thermometer eine Herausforderung – sozusagen die Masterclass der laufenden Challenge hier auf unserem Blog.

Geschirrensemble von der spätbronzezeitilichen Pfahlbaufundstelle Eschenz-Werd, CH, mit einem Siebgefäss. © AATG

Weichkäse dank Sauergärung

Zur Weiterverarbeitung gibt es grundsätzlich zwei Optionen: Man lässt die Milch einfach stehen und schaut, was passiert, oder man setzt etwas zu, was zu einer gezielten Gerinnung führt. Das erste Verfahren heisst Sauergärung. Sauergärung ist einfach, aber auch ein bisschen unvorhersehbar, da man nie weiss, welche (guten) Bakterien oder Schimmelpilze das Rennen machen, die Milch als erstes zu besiedeln und die schlechten Bakterien in Schach zu halten. Leichtes Erwärmen fördert die Gerinnung. Die geronnene und eingedickte Milch kann dann direkt in Formen gefüllt werden, in denen sie abtropfen kann. Nach wenigen Wochen kann man den Sauerkäse geniessen – sehr viel länger kann man ihn meistens nicht aufheben. Die meisten Weichkäse sind Sauerkäse. Sind sie aus Magermilch hergestellt, enthalten sie kaum Fett, aber bis zu 30 % Proteine. Der Übergang von Frischmilch zu einem festeren Sauermilchkäse ist fliessend und es entstehen dabei jeweils essbare Zwischenstufen: Dickmilch, (Sauer-)Quark und Frischkäse (abgetropfter, wenige Tage alter Quark).

Geschnittene „Dickete“ nach eineinhalb Tagen. An der Oberfläche abgesetzte Sahne. In den Schnitten tritt die klare Molke aus.

Lab macht Käse hart

Das andere Verfahren führt zu Süss- oder Hartkäsen. Diese entstehen durch die Zugabe von Lab (Mägen von Kälbern oder Zicklein werden klein geschnitten und getrocknet). Hartkäse ist also eigentlich vom Kalb vorverdaute Milch. Als pflanzlichen Ersatz kann man – wie der Name schon sagt – Labkraut (Galium sp.) zusetzen. In den Pflanzenresten aus Pfahlbauten sind drei Arten Labkraut nachgewiesen, von denen z. B. das Kletten-Labkraut (Galium aparine) auf aufgelassenen Äckern wächst. Echtes Labkraut (Galium verum) oder Wiesenlabkraut (Gallium mollugo) enthalten dasselbe Enzym wie Kälbermagen. Verwendet werden Wurzeln, alternativ auch frisches oder getrocknetes Kraut. Der Unterschied zum Käsen mit tierischem Lab ist, dass man die Milch länger stehen lassen muss für die Gerinnung. Ein zu hohes Erhitzen der Labkräuter verleiht der Milch offenbar einen merkwürdigen Geschmack. Daher sollte man das Labkraut erst in die handwarme Milch geben. Das Süsskäsen soll auch mit anderen Kräutern funktionieren, z.B. mit Brennessel, das haben wir aber nicht ausprobiert.

Hartkäse haben den Vorteil, dass sie mehrere Jahre lagerfähig und gut transportierbar sind. Dazu gehören Parmesan, Alpkäse wie Emmentaler, Appenzeller und Gruyère usw. Die Hartkäseproduktion benötigt grosse Milchmengen auf einmal (13 Liter Milch ergeben ein Kilo Hartkäse), eine gewisse Hygiene und zahlreiche, zeitlich genau aufeinander abgestimmte Arbeitsschritte, bei denen grosse Mengen Feuerholz nötig sind. Hartkäse muss man während der Reifung konstant pflegen, wozu man unter anderem viel Salz und kühle Räume braucht. Ob die Pfahlbauer schon Hartkäse hergestellt haben, ist deshalb zweifelhaft.

Hölzernes Siebgefäss im Freilichtmuseum Ballenberg, CH.

Käse ganz einfach variieren

Alle Käsesorten lassen sich durch den Zusatz von Salz und Kräutern geschmacklich variieren. Ausserdem kann man Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch, sowie Voll- und Magermilch in beliebigen Verhältnissen mischen und weiterverarbeiten. Wenn man frische Vollmilch einen Tag stehen lässt, bildet sich automatisch an der Oberfläche eine Sahne-Schicht. Die abgeschöpfte Sahne lässt sich dann zu Butter weiterverarbeiten oder einkochen. Für ein Kilo Butter braucht man allerdings über 30 Liter Frischmilch. Butter muss man kühl lagern, sonst schimmelt sie rasch. Vor der Erfindung des Kühlschrankes war deshalb frische Butter nur saisonal verfügbar und wurde oft direkt zu Butterschmalz weiterverarbeitet, damit man sie ohne Kühlung länger aufbewahren kann.

Die Magermilch kann man normal verkäsen. Auch die nach dem Käsen im Gefäss übrig gebliebene Flüssigkeit, die Schotte, Molke oder Sirte, kann man nochmal verkäsen, dabei entsteht dann ein fettarmes, eiweissreiches Produkt von einer ganz anderen Konsistenz und einem ganz anderen Geschmack als normaler Hartkäse: ein „Molkekäse“. In der Schweiz heisst er „Ziger“, in Norwegen „Braunkäse“. Auch Ricotta ist aus Schotte mit Zusatz von Sahne hergestellt. Durch Räuchern lassen sich Molkekäse ebenfalls einige Wochen oder Monate aufbewahren.

Milchpulver zu Pfahlbauerzeiten?

In anderen Weltgegenden, z.B. dem Himalaya, wird Molke auch durch stundenlanges Kochen (bis zu 20 Stunden) und anschliessendes Trocknen in ein Albumin-Globulinkonzentrat verwandelt, das man jahrelang aufheben kann. Für die Verwendung mahlt man die Stücke zu Mehl oder Pulver und schäumt sie mit warmem Wasser unter Rühren auf – eine Art „Magermilchpulver“. Das Produkt erinnert an Ayran (ein Getränk aus Vorderasinen auf der Basis von Joghurt, Wasser und Salz). Ob man so einen amorphen Klumpen in einer Grabung erkennen würde?

Molke kann man aber auch direkt trinken, Stichwort „Rivella“ (für die Nicht-Schweizer*innen unter euch: DAS Schweizer Nationalgetränk) – oder darin baden für eine samtweiche Haut. Vermutlich deutlich billiger als Eselmilch. Wir haben allerdings nicht ausprobiert, ob das Ergebnis überzeugt …

Auf geht’s, Community: Wagt euch an die Käseproduktion! Im Internet gibt es jede Menge Rezepte dazu. Wir sind gespannt, was euch alles einfällt. Aber Achtung: Falls die Milch direkt von der Kuh kommt (was es heute kaum noch gibt), unbedingt vor der Weiterverarbeitung abkochen bzw. über 70 Grad erhitzen.

Portrait Simone Benguerel
Portrait Renate Ebersbach

Tipps

Informationen zur Bedeutung der Einführung von Milchwirtschaft in der Urgeschichte in Europa: https://neomilk-erc.eu/ (Es geht allerdings hauptsächlich um die frühe Jungsteinzeit, die sogenannte Linearbandkeramik).

Neues Handbuch Alp – Handfestes für Alpleute, Erstaunliches für Zaungäste, 2012. Mit Käserezepten und allerlei Interessantem über Kühe, sonstiges Alpgetier und die Menschen, die den Sommer dort verbringen: https://www.zalpverlag.ch/

Die Milchsaison ist eröffnet

Fasnachtschüechli, Krapfen, Schenkeli und die badischen Scherben haben eines gemeinsam: Sie werden mit Schmalz oder in Fett gebacken. Das Ostergebäck enthält dagegen reichlich Milch, Butter oder Sahne, dazu gibt es Ostereier und Osterlämmer. Dazwischen liegt die Fastenzeit. Das ist kein Zufall: Spätwinter und Vorfrühling waren traditionell diejenigen Jahreszeiten, in denen das Nahrungsangebot am stärksten eingeschränkt war. Vermutlich haben schon die Pfahlbauer*innen die erste Frischmilch und alles, was man daraus herstellen kann, begeistert verarbeitet.

Frischkäse mit Schafgarbe und Spitzwegerich.

Früher hatten Kühe eine Pause

Heute ist Milch jederzeit und in jeder benötigten Menge verfügbar. Natürlicherweise bekommen Kühe den Nachwuchs aber wie Schafe und Ziegen im zeitigen Frühjahr, dann kann das neugeborene Kalb die erste Zeit von der Milch leben und, wenn das neue Gras hoch gewachsen ist, zum Weiden übergehen. Die produzierte Milchmenge der Kuh nimmt über den Sommer ab, dabei wird die Milch immer fettreicher. Spätestens im Spätherbst und Winter steht die Kuh trocken und erholt sich für die nächste Runde. Heutige Hochleistungs-Milchkühe geben bis zu 10´000 Liter Milch im Jahr, und das fast durchgehend. Das funktioniert nur mit reichlich Zufütterung von Kraftfutter. Nach sieben Jahren sind diese Hochleistungs-„Maschinen“ ausgelaugt und werden geschlachtet. Heutige alte Landrassen wie die „Hinterwälder“ aus dem Schwarzwald geben zwar viel weniger Milch, können dafür aber über 25 Jahre alt werden.

Kühe waren viel kleiner als heute

Vor dem Beginn der Hochleistungszucht im 19. Jhd. n. Chr. gaben die Kühe in Europa durchschnittlich nur 500 bis 600 Liter Milch im Jahr, und davon brauchte das Kalb etwa die Hälfte bis zwei Drittel. Das vermittelt uns eine gute Vorstellung, wie Pfahlbauers Kühe ausgesehen haben dürften. Tatsächlich haben die Auswertungen von Rinderknochen aus Feuchtbodensiedlungen gezeigt, dass die Kühe sehr klein waren und in manchen Zeiten kaum über einen Meter Widerristhöhe erreichten (Horgen Zürichsee: 102,5 cm; heutiges Deutsches Holstein Rind: 145-156 cm). Milch gaben sie vermutlich vor allem für ihr Kalb.

Für den eigenen  Verzehr stand den Pfahlbauern also nur wenig Milch pro Kuh zur Verfügung, und das nur im Frühjahr und Sommer. Milch ist ein leicht verderbliches, zugleich aber protein- und fettreiches Lebensmittel. Und gerade im kargen Frühjahr, wenn die nächste Ernte noch in weiter Ferne lag und die letzten Vorräte zur Neige gingen, waren Milch, Frischkäse oder Sahne in der Suppe sicher hochwillkommen.

Pustertaler Sprinzen, alte südtiroler Landrasse mit einer Widerristhöhe von 125-135 cm. Robustes Zweinutzungsrind (Milch und Fleisch): © R. Ebersbach

Gute und schlechte Bakterien

Frischmilch kann allerdings schon beim Melken durch Keime kontaminiert werden und ist extrem anfällig für Bakterien. Dabei gibt es gute Bakterien, die die Milch in Joghurt, Quark oder Dickmilch umwandeln, und schlechte, die ungesund sind. Bei warmen Temperaturen ist die Milch schon nach spätestens zwei Tagen ein einziger Bakterien-Brutkasten. Deshalb ist heute im Supermarkt keine unbehandelte Rohmilch mehr erhältlich. Durch Abkochen der Frischmilch oder Erhitzen auf mindenstens 70 Grad und anschliessendes Zusetzen der gewünschten Bakterien kann man die Milch dann in eine schier endlose Palette von länger lagerfähigen Milchprodukte verwandeln. In  meterlangen Kühlregalen im Supermarkt haben wir die Qual der Wahl: Dickmilch, Sauermilch, Buttermilch, Butter, Sahne, Crème fraîche, Blanc battu, Quark, Joghurt, Schmand, Ricotta, Frischkäse, Mozzarella sowie zahlreiche Sorten von Weich- und Hartkäsen.

Dank Zimmertemperatur zum Weichkäse

Einige Bakterien wollen es dabei ziemlich warm, damit sie aktiv werden, z.B. die üblichen Joghurtbakterien, die am besten bei 35-45 Grad gedeihen, man muss also die Milch etwas erhitzen.  Andere wachsen schon bei Zimmertemperatur ganz vergnüglich und verwandeln die Milch nach und nach in Sauermilch, aus der man dann Frisch- und Weichkäse machen kann.  Wie das genau funktioniert, erfahrt ihr im nächsten Blog. Vom Pfahlbauer-Joghurt müsst ihr euch aber gedanklich schon mal verabschieden, denn Joghurt-Produzenten wie Streptococcus thermophilus und Lactobacillus bulgaricus kommen im Alpenraum nicht vor, sondern – wie der Name schon sagt – im wärmeren Südosteuropa. Joghurt wurde als Milchprodukt in Mitteleuropa erst im frühen 20. Jhd. eingeführt.

Verarbeitete Milchprodukte haben nicht nur den Vorteil, dass sie lager- und transportfähig sind, sondern einige davon ermöglichen auch Erwachsenen mit Laktose-Unverträglichkeit den Verzehr. Sie sind durch die Milchsäuregärung quasi schon ausserhalb des Körpers  vor-verdaut und führen daher nicht mehr zu Blähungen oder anderen unangenehmen Begleiterscheinungen im eigenen Darm. Von DNA-Untersuchungen jungsteinzeitlicher Menschen wissen wir, dass Laktose-Unverträglichkeit weit verbreitet war, z.B. bei Ötzi.

Pfahlbauer-Käse?

Zur Herstellung von Milchprodukten braucht man kaum spezielle Gerätschaften. Formen, aus denen die Molke ablaufen kann, können einerseits Siebgefässe sein, andererseits genügt auch ein Holzrahmen mit eingelegtem Stoff, Farn oder Blättern auf einem Brett als Abtropfform. Zum Aufbrechen der Käsemasse bei der Hartkäseproduktion braucht es ein geeignetes Werkzeug, z.B. den historisch belegten „Milchquirl“. Um die eingedickte Käsemasse vom Topf in die Form zu bekommen, verwendet man am besten ein Tuch.

Quirle, nach prähistorischen Vorbildern aus Spitzen von Nadelbäumen hergestellt.
Der Quirl kann auch zum Rahmschlagen verwendet werden.

Welche Produkte die Pfahlbauer*innen aus Milch tatsächlich herstellten, wissen wir nicht. Was man finden kann, sind Siebgefässe und Holzobjekte wie den Milchquirl. Ob sie diese Objekte aber zur Käseherstellung verwendet haben oder für den Griessbrei oder das Haselnussmus – oder ob sie gar multifunktional waren – ist meist nicht belegbar. Nachgewiesen sind Milchfette in Keramiktöpfen, die zumindest dafür sprechen, dass Milch (oder Sahne) gekocht oder erhitzt wurde.  Offensichtlich wussten schon die Menschen in der Jungsteinzeit, dass man die Milch besser gleich abkocht, und vielleicht hatten sie auch schon ihr Lieblings-Frischkäserezept oder konnten noch im Winter auf den Topf mit Butterschmalz zurückgreifen.

Hast du schon mal selber Frischkäse gemacht? Ohne E-s und andere Zusatzstoffe? Lass dich inspirieren, eigene Rezepte aus Milchprodukten herzustellen. Teile deine Erfahrung mit uns und mach mit bei unserer Koch-Challenge . Dort findest du jeden Monat frische Challenge-Zutaten und kannst damit und mit den Lebensmitteln aus dem Warenkorb eigene Rezepte kreieren, die wir dann hier teilen.

Portrait Renate Ebersbach

Backgadget der Saison

Das Blech der Pfahlbauer war der Backteller. Archäolog*innen vermuten, dass auf den Tonplatten Fladenbrote gebacken wurden. Wir fragen uns: Stimmt diese Annahme? Und was spricht gegen Flammkuchen, Speck mit Spiegelei oder fruchtige Wähen auf dem Speiseplan der Pfahlbauer*innen?

Backtellerfragment mit einem verkohlten Brötchen von der Fundstelle Thayngen-Weier, CH.

Nicht in jedem „Küchenschrank“

An Backwaren aus der Pfahlbauerzeit wurden bislang lediglich Brötchen gefunden. Die Archäolog*innen gehen davon aus, dass man sie in Backöfen aus Ton oder auf sogenannten Backtellern gebacken hat. Diese runden Tonplatten waren nur kurze Zeit en vogue: Sie sind typisch für die sogenannte Michelsberger Kultur, die zwischen 4400-3500 v. Chr. im Gebiet des heutigen Mitteleuropas bestand. Im Bodenseeraum kommen die Backplatten jedoch als Fremdformen vor. Funde gibt es zum Beispiel aus den Pfahlbauten von Thayngen-Weier, Sipplingen und Niederwil.

Verzierte oder signierte Backbleche?

Die Tonplatten sind relativ dick und haben einen leicht aufgewölbten Rand. Dem Lehm wurden grobe Steinchen beigemischt, die den Ton hitzebeständiger machen. Einige der Platten haben auf der Unterseite Abdrücke von geflochtenen Matten, auf denen sie geformt wurden. Die Tupfen an den Aussenkanten sind eine typische Verzierung. Die Töpfer*innen haben ihre Fingerkuppen in regelmässigen Abständen in den noch feuchten Ton gedrückt. In einigen erkennt man sogar die Abdrücke der Fingernägel. Diente dieses Muster nur als Verzierung oder signierten die Töpfer*innen damit ihre Backteller, damit beim gemeinsamen Backen der eigene Kuchen nicht bei den Nachbarn landete?

Dieser Backteller von Thayngen-Weier, CH, wurde auf einer geflochtenen Matte geformt.
Backtellerfragmente mit verschiedenen Fingereindrücken am Rand von der jungsteinzeitlichen Fundstelle Wilchingen-Flüehhalde, CH (kein Pfahlbau).
Vor 5500 Jahren hat eine Töpfer*in mit ihren Fingerkuppen eine Verzierung in den feuchten Ton gedrückt.

Eine rätselhafte, vorübergehende Erscheinung

Warum das nützliche Utensil wieder aus der Pfahlbauerküche verschwand, ist nicht bekannt. Unbekannt und umstritten ist auch, welchen Zweck die Tonplatten erfüllten. Waren es tatsächlich Backteller? Oder doch eher Deckel? Vielleicht wurden die Tonplatten ja für etwas ganz anderes benutzt. Analysen, die Hinweise auf ihre Verwendung geben könnten, gibt es bislang leider nicht.

Dass die Pfahlbauer*innen diese Formen im Feuer verwendet haben, kann gut sein, denn die Originalfunde weisen eine unregelmässige Färbung auf, wie sie entsteht, wenn Ton in offenem Feuer erhitzt wird. Mit nachgemachten Backtellern möchten wir verschiedene Experimente anstellen. Wir testen aus, wofür sie eingesetzt werden können, analysieren danach die Spuren und vergleichen diese mit den Originalfunden. Wir hoffen, so dem Rätsel der Backteller auf die Spur zu kommen.

Nachgemachte Backteller im praktischen Einsatz: einmal für eine fruchtige Wähe, einmal für ein Fladenbrot.

Fest steht: Legt man die Backplatten direkt in die Glut des Feuers, kann darauf alles zubereitet werden, was viel Unterhitze braucht: Tortenböden, Flammkuchen, Pizza (ohne Tomaten, versteht sich), Spiegelei, knusprige Speckstreifen, saftige Koteletts, Frikadellen oder Wokgemüse.

Was würdest du auf dem Backteller backen? Schau dir den Warenkorb der Februar-Challenge an oder lass dich von der Einkaufsliste inspirieren und kreiere dein eigenes Rezept, das wir vielleicht schon bald hier veröffentlichen.

Portrait Franziska Pfenninger
Portrait Katharina Schäppi

Deren täglich Brötchen …

Wie sahen wohl Pfahlbaubrote aus und wie schmeckten sie? Dank den guten Erhaltungsbedingungen der Pfahlbaufundstellen haben ein paar Brote die Jahrtausende überdauert. Alle erhaltenen Brote sind verkohlt oder angekohlt –klar, die anderen wurden gegessen. Und nicht immer ist, was zunächst nach einem Brot aussieht, auch ein solches.

Angekohlte Backschaufel aus Holz von der Fundstelle Olzreute-Enzisholz, D. © LAD

Ein Klumpen auf Reisen

In der jungsteinzeitlichen Fundstelle Zug-Galgen fanden Archäolog*innen einen dunklen Klumpen, den sie im Museum für Urgeschichte(n) Zug als Brot ausstellten. Um den Besuchern mehr Informationen über das Brötchen präsentieren zu können, wurde Andreas Heiss, ein Spezialist für urgeschichtliches Gebäck am Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI), vormals am Vienna Institute for Archaeological Science (VIAS) – so was gibt es tatsächlich! – beigezogen. Anstelle der erwarteten Teigstruktur sah er unter dem Mikroskop dicht gepresste Pflanzenfasern und Blattreste. Kein Brot also. Vielleicht Kot eines Pflanzenfressers? Der Klumpen reiste weiter nach Basel ans IPNA (Institut für Prähistorische und Naturwissenschaftliche Archäologie). Die Archäobotaniker*innen identifizierten die Pflanzenteile als Sauergräser und Moose, wie sie an feuchten Standorten wachsen und von Pflanzenfressern nur ungern gefressen werden. Ausserdem fehlten die für Kot typischen Parasiteneier und Pilzsporen. Aus dem Brot wurde also erst Kot, und darauf ein banales Stück Torf. Schade eigentlich. Aber der Fall zeigt, wie wichtig Analysen durch Spezialisten sind und dass nicht alles, was nach Brot aussieht, auch Brot ist.

Auf Granit gebissen

Ebenfalls hochwissenschaftlich zu und her geht es beim Projekt PlantCult, das sich der Lebensmittelherstellung und -verarbeitung in prähistorischer Zeit widmet. Ein Zweig der Forscher*innen ist den Getreideprodukten auf der Spur. Ihnen verdanken wir neue Untersuchungen und Erkenntnisse über Brot und Brötchen der Pfahlbauer*innen. In unseren Blogs picken wir uns die besten Krümel aus der Forschungsliteratur, bereiten sie auf und servieren sie dir bekömmlich. Beim Recherchieren sind wir auf zwei Artikel gestossen, in denen ein Brötchen und zwei Fladenbrote vorgestellt werden. Das Brötchen wurde vor 150 Jahren bei Ausgrabungen am Mondsee in Österreich gefunden und im Pfahlbaumuseum Mondsee als «Urknödel» ausgestellt. Für die Untersuchungen wurde es der Vitrine entnommen, unters Mikroskop gelegt und durch den Computertomographen geschickt. Was das Stereomikroskop zeigte, sieht zum Reinbeissen aus: eine lockere, porige Teigstruktur, wie sie sich für Brot gehört, das mit Hefe oder Sauerteig gebacken wurde. Worauf wir heute aber gern verzichten, ist das, was die Mikro-Computertomographie offenbarte: Der Teig enthält auch Steinkörnchen. Es ist Abrieb der Mahlsteine, auf denen das Getreide gemahlen wurde. Sie sind mit ein Grund, weshalb die Zähne der Pfahlbauer*innen oft sehr stark abgenutzt waren. Über 40-Jährige kauten oftmals bereits auf dem Dentin, der inneren Zahnsubstanz. Vollkornbrot in Ehren, aber auf die steinernen Ballaststoffe verzichten wir heute gerne. Andererseits führte der rasche Abrieb der Zähne dazu, dass die Menschen der Jungsteinzeit kaum Karies hatten – denn bevor sich die Bakterien auf der Oberfläche festsetzen konnten, war der Schmelz schon wieder abgeschmirgelt.

Gelochte Gersten-Fladenbrote, an einer Schnur aufgehängt.

Es war einmal …

vor rund 5185 Jahren. Eine Pfahlbauerin (oder ein Pfahlbauer) schöpfte Gerstenkörner und zusätzlich etwas Weizen, Einkorn oder Emmer aus dem Vorrat, kniete sich vor dem Mahlstein hin und zerrieb das Getreide zu feinkörnigem Mehl. In einer Holzschale vermengte sie das Mehl mit Wasser, fügte etwas Salz hinzu und würzte den Teig mit ein paar Selleriesamen. Sie entnahm einen Klumpen Teig, formte daraus einen handtellergrossen Fladen und bohrte mit dem Daumen ein Loch hinein. Die Pfahlbauerin schob mit geübter Geste das Fladenbrot in den Ofen. Plötzlich ein Geschrei und Hundegebell vor dem Haus. Als sich der Tumult gelegt hatte und die Bäckerin zum Ofen zurückkehrte, war das Brot hoffnungslos verbrannt. Mit einer Holzzange fasste sie das verkohlte Stück und warf es vor der Tür in weitem Bogen ins Wasser.

Fladenbrot von der Fundstelle Parkhaus Opéra in Zürich, CH. © ÖAI-ÖAW; VIAS / A. G. Heiss

Würzbrot

So oder so ähnlich könnte sich das zugetragen haben. Bei Ausgrabungen in der Fundstelle Parkhaus Opéra in Zürich wurden tatsächlich zwei Fladenbrote gefunden. Sie sind nicht vollständig erhalten, aber aus den Bruchstücken kann der ursprüngliche Durchmesser von 6 cm beziehungsweise 10 cm errechnet werden. Beide Fladenbrote sind gelocht, damit sie an einer Schnur oder Stange aufgehängt werden können. Die Archäolog*innen schickten die Bruchstücke des Fladenbrotes von der Fundstelle Parkhaus Opéra nach Wien, wo wiederum Dr. Heiss es auf Teig und Krume analysierte. Speziell an diesem Brot ist der erstmalige Nachweis von Brotgewürz – heute typischerweise Kümmel oder Fenchel. Das Mikroskop hat gezeigt, womit das steinzeitliche Opéra-Brot gewürzt wurde: mit Selleriesamen. Dies hat uns natürlich zu einem Rezept inspiriert. Du findest es in der Rezeptsammlung unter der Kategorie «Backen».

Selleriesamen (Querschnitt) im Fladenbrot von der Fundstelle Parkaus Opéra in Zürich, CH.
© ÖAI-ÖAW; VIAS / A. G. Heiss
Jungsteinzeitlicher Selleriesamen aus der Fundstelle Sipplingen-Osthafen, D. © LAD
Portrait Katharina Schäppi

Archäofacts

Artikel zum vermeintlichen Brot aus Zug, CH.

Artikel zu den Fladenbroten von der Fundstelle Parkaus Opéra in Zürich, CH.

Projekt PlantCult

Frauenpower am Mahlstein

Hast du schon einmal eine Handmühle bedient? Dann weisst du, dass das Verhältnis von Aufwand und Ertrag bescheiden ist. Rund zwei Stunden dauert es, um ein Kilogramm Getreidekörner zu Mehl zu verarbeiten. Dieser Kraftakt hinterliess wortwörtlich Spuren an den Pfahlbauerinnen. Ausnahmsweise ist der Pfahlbauer hier nicht mitgemeint, denn es waren hauptsächlich die Frauen, die diese Arbeit erledigt haben.

Durch Mark und Bein

An weiblichen Skeletten aus der Jungsteinzeit gibt es zwei Auffälligkeiten, die auf stundenlanges Getreidemahlen zurückzuführen sind: Hockerfacetten und kräftige Oberarme. Hockerfacetten sind Knochenverdickungen im Sprunggelenk. Sie entstehen durch sehr häufiges Kauern auf den Knien oder den Fersen, wie dies eben beim Getreidemahlen am Boden der Fall ist.

Mahlen statt Fitnessstudio

Forscher*innen der Universitäten Cambridge, London und Wien haben Oberarmknochen jungsteinzeitlicher Frauen vermessen. Dabei stellte sich heraus, dass sie um 11 bis 16 Prozent stärkere Knochen hatten als heutige Athletinnen des Cambridge-Ruderteams. Der Umfang und die Robustheit der Knochen nehmen durch körperliche Belastungen zu. Neben dem Rudern mit dem Einbaum, dem Herumschleppen von Kindern und dem Hochheben von schweren Kochtöpfen, dürfte bei den Frauen der Jungsteinzeit vor allem das Getreidemahlen der Grund dafür sein. Vermutlich haben sie damit schon als Kinder angefangen. Mehl mahlen war also Frauensache. Fitnessstudio und Hanteltraining? Brauchten sie nicht.

Mehl mahlen am Mahlstein.

Mahlgrad früher und heute

Heute werden aus Brotgetreide Dutzende verschiedene «Mahlprodukte» hergestellt, nicht nur unterschiedliche Mehlarten, sondern auch Schrot oder eben Griess. Die fast schon verwirrende Vielzahl der Erzeugnisse wird allen bewusst, die im Supermarkt vor dem Regal stehen, oder wenn im Rezept ein ganz bestimmter Typ Mehl gefragt ist. Je niedriger die Typen-Zahl, desto weniger ist vom ganzen Korn enthalten. In einem Weissmehl vom Typ 550 steckt nur das Innerste vom Getreidekorn, in einem Ruchmehl sind immerhin noch bis zu 85 % des ganzen Korns enthalten. Wie hielten es die Pfahlbauer*innen? Kannten sie nur Ruchmehl? Normierte Mahltypen gab es sicher nicht. Dennoch lassen sich mit den damals zur Verfügung stehenden Gerätschaften verschiedene Produkte herstellen. Handmühlen gehörten zum typischen Hausinventar; sie standen in oder direkt vor den Häusern. Man streute die Körner auf die schweren, grossen Steinplatten und verrieb sie mit einem kleineren Reibstein. Vom groben Schrot bis zum feinen Mehl lassen sich so alle Mahlgrade mit mehr oder weniger Aufwand herstellen.

Geschirr und Mahlstein aus dem Pfahlbau in Eschenz, CH. © AATG

Erst mahlen, dann sieben

Durch Sieben trennt man danach die feinen von den groben Bestandteilen. Im Sieb zurück bleiben Griess – kantige, grössere Stückchen – und Kleie, Rückstände von Schale, Randschicht und Keimling der Körner. Siebe hat man an verschiedenen Orten gefunden, zum Beispiel in Hornstaad am Bodensee. Die Versuche der Experimentalarchäologin Anne Reichert, mit einem nachgemachten Sieb Mehl zu sieben, verliefen nicht sehr überzeugend. Andererseits fanden Archäolog*innen in der Grabung Parkhaus Opéra in Zürich in der Nähe von Mahlsteinen Anhäufungen von Kleie als Hinweis auf eine Reinigung. Dass auch Vollkornprodukte verzehrt wurden, beweisen wiederum Kleierückstände als unverdauliche Bestandteile in menschlichen Exkrementen. Es scheint also, dass die Pfahlbauer*innen sowohl feineres als auch vollwertigeres Mehl verwendet haben.

Replik eines Siebgeflechts aus dem Pfahlbau Hornstaad, DE. © Anne Reichert, bearbeitet

Brunchen wie die Pfahlbauer*innen

Neben den Mahlsteinen gibt es in Pfahlbausiedlungen auch sogenannte Schalensteine mit einer Vertiefung, die sich zum Zerkleinern von Lebensmitteln eignen. Denkbar ist darin die Herstellung von Schrot, also grob gequetschten Getreidekörnern, die man dem Mehl beimischen oder zu einem Brei verkochen kann. Oder Bulgur, vorgekochte Getreidekörner, die man anschliessend trocknet und zerkleinert. Auch gedämpfte Getreidekörner könnte man darin zu Flocken quetschen, wodurch sie leichter verdaulich sind. Es gibt viele Möglichkeiten, Getreide zuzubereiten; die Forschung dazu steckt erstaunlicherweise noch in den Kinderschuhen. Das Bild vom Getreideeintopf und dem grob gemahlenen Mehl haftet in den Köpfen. Von dieser festgefahrenen Vorstellung möchten wir uns lösen und mit unseren Rezepten zeigen, was auch möglich ist. Hilf uns, den Speiseplan der Pfahlbauer*innen zu erweitern!

Portrait Simone Benguerel
Portrait Renate Ebersbach
Portrait Katharina Schäppi
Tipps

Artikel zu den kräftigen Oberarmen jungsteinzeitlicher Frauen.

Artikel zu Grütze, Bulgur, Mehl und Griess.

Backen mit Horn und Asche

Hefewürfel, wie sie während dem Corona-Lockdown im Frühling 2020 heiss begehrt waren, kannten die Pfahlbauer*innen nicht. Es gibt jedoch andere Backtriebmittel, deren Ausgangsprodukte wir heute im Supermarkt vergeblich suchen, an die Herr und Frau Pfahlbauer aber mit Leichtigkeit kamen: Horn, Asche, wilde Hefepilze und Milchsäurebakterien.

Die Pfahlbauer*innen assen nicht einfach nur Fladenbrote aus Mehl und Wasser, sondern schätzten bereits Brote, die aussen knusprig, innen weich und würzig waren. Weshalb wir Archäolog*innen das wissen und wie so ein Pfahlbaubrot aussah und schmeckte, erfahrt ihr in zwei Wochen.

Die Schwierigkeit oder Herausforderung der prähistorischen Archäologie, also der Geschichte vor der Schrift, ist folgende: Wie schliesst man anhand von Indizien der archäologischen Funde auf die frühere Lebensweise? Dabei gehen wir in der Zeit zurück, hangeln uns dem Faden der Geschichte entlang und versuchen, die Ursprünge einer Technologie oder die Herkunft eines neuen Materials aufzuspüren. Wo also liegen die Ursprünge der Hefe, die heute das gängigste Backtriebmittel ist?

Früher kam die Hefe vom Bierbrauen

Hefe ist ein einzelliger Pilz, der Zucker in Alkohol und Kohlenstoffdioxid umwandelt und damit Teige auflockert und aus Gerstensaft Bier entstehen lässt. Heute wird Hefe in Reinkultur gezüchtet. Noch bis ins 19. Jahrhundert verwendeten die Bäcker*innen Hefe vom Bierbrauen. Der römische Schriftsteller Plinius der Ältere schreibt in seiner naturalis historia um 77 nach Christus von den Galliern und Hispaniern, die den Schaum eines Weizengetränkes zum Backen verwenden und damit luftigeres Brot als andernorts backen. Beides Hinweise, die lange nach der Zeit der Pfahlbauer*innen schriftlich festgehalten wurden. Tatsächlich gibt es bereits aus der Pfahlbauzeit Hinweise auf vergorenen Gerstensaft und damit indirekt auch auf Hefepilze. Wie von Plinius beschrieben, könnte der Schaum, der beim Gären entsteht, bereits bei den Pfahlbauer*innen dem Brotteig zugesetzt worden sein.

Verkohltes Getränk aus gekeimter und gemahlener Gerste aus Hornstaad-Hörnle, DE. Auf der Oberfläche schwammen Spreu- und Kleiereste. Oberfläche (oben) und Schnitt (unten).
© Heiss et al. 2020, Fig. 17, DOI

Sauer macht luftig

Zugegeben, diese Herleitung ist sehr hypothetisch, und die Verwendung von Hefe bei den Pfahlbauer*innen steht auf ganz wackligen Füssen. Da ist Sauerteig als altbewährtes Triebmittel um einiges unkomplizierter: Mehl mit Wasser mischen, warten, bis es schäumt und zunächst eher übel, dann allmählich angenehm säuerlich riecht. Dies ist der Verdienst von überall natürlich vorkommenden Milchsäurebakterien und wilden Hefepilzen. Die Milchsäurebakterien dominieren über die Hefe und halten andere Bakterien in Schach, was schon mal ein grosser Pluspunkt für den Sauerteig ist, in Zeiten, wo Hygiene noch ein Fremdwort war. Ob die Pfahlbauer*innen diese Methode schon nutzten, konnte man bisher nicht direkt nachweisen. Über die Ursprünge von Sauerteig gibt es ganz verschiedene Angaben. Heute ist der gehaltvolle, säuerliche Roggenlaib der Inbegriff von Sauerteigbrot. Die Getreideart Roggen war den Pfahlbauer*innen jedoch noch nicht bekannt. Die Methode funktioniert aber auch mit anderen Mehlsorten. Im Internet und in Backbüchern findest du fast unbegrenzte Möglichkeiten zum Backen mit Sauerteig und auch, wie man einen Roggensauerteig zu pfahlbaukonformem Weizen- oder Einkornsauerteig „umzüchtet“. Wer hat den Mut, daraus ein Sauerteigbrot zu backen? Wir sind gespannt auf deine Brotrezepte.

Sauerteig.

Mit Hirschhornsalz backt man heute noch

Für das dritte in Frage kommende Triebmittel erlege man einen Hirsch, zerkleinere Haut und Klauen und destilliere diese. So einfach geht die Herstellung von Hirschhornsalz. Unter diesem Namen findet man das Triebmittel heute noch in der Backwarenabteilung. Der Begriff ist etwas irreführend: Er lässt vermuten, dass Hirschhornsalz aus den imposanten Hirschgeweihen hergestellt wurde. Dieses besteht jedoch aus Knochen und nicht aus Hornsubstanz, wie unsere Haare, Haut und Nägel oder die Hörner von Rind, Schaf und Ziege. Mittlerweile wird Hirschhornsalz sowieso nicht mehr aus Horn, sondern synthetisch hergestellt. Das Backtriebmittel kommt bei Lebkuchen, Spekulatius oder Springerle/Anisbrötli zum Einsatz, lockert die flachen Gebäcke auf und verlängert deren Haltbarkeit. Es eignet sich hingegen nicht für Brotlaibe oder Kuchen; beim Backen entsteht Ammoniak, der zwar aus flachen Backwaren entweicht, sich in grösseren Mengen Teig aber als unangenehmer Geschmack nach altem Urin festsetzt. Assen also schon die Pfahlbauer Anisguetzli, beziehungsweise in Ermangelung von Anis Kümmel- oder Dillguetzli? Haut, Klauen und Rinderhorn fielen beim Schlachten oder bei der Jagd sowieso an. Und sogar das Destillieren hatten die Pfahlbauer im Griff. Dieser chemische Umwandlungsprozess gilt als einer der ältesten, den die Menschen nutzten. Er ist bislang aber nur für die Herstellung von Birkenpech aus Birkenrinde nachgewiesen, dem Alleskleber der Urgeschichte. Hirschhornsalz konnten sie vor über 5000 Jahren also im Prinzip schon herstellen. Belege dafür gibt es leider keine.

Asche lockert den Teig

Handeln wir zum Schluss noch die Asche ab, oder genauer genommen, Pottasche. Sie wird erzeugt durch Auswaschen von Holz- oder Pflanzenasche mit Wasser. Der Auszug wird anschliessend in Pötten (Töpfen) gesotten, bis als weisses Konzentrat die Pottasche übrigbleibt. Beim Backen reagiert diese mit Wasser und Säure und setzt Kohlenstoffdioxid frei, was den Teig lockert. Gleichzeitig schwächt Pottasche den Kleber, der im Mehl enthalten ist, weshalb die Teige eher in die Breite, als in die Höhe gehen. Die Lösung ist die Kombination von Pottasche und Hirschhornsalz. Pottasche ist ausserdem fast ein Alleskönner: Mit ihr kann man Eis auftauen, Angebranntes aus Töpfen entfernen, Wäsche waschen, Farbe anmischen oder – schon wieder – Lebkuchen backen.

Pottasche.

Hirschhornsalz, Pottasche oder Sauerteig: Mach das Backen ohne Hefe zu deiner nächsten Challenge!

Vielen Dank an Andreas Heiss für die fachlichen Inputs zu diesem Blogbeitrag.

Portrait Katharina Schäppi

Tipps

Lutz Geissler. Brotbackbuch Nr. 4. Backen mit Sauerteig. Verlag Eugen Ulmer, 2019.

Bier – Die Anfänge. Archäologie in Deutschland 01/2021.

Wissenschaftlicher Artikel von A. G. Heiss, M. Berihuete Azorín, F. Antolín et al. (2020) zum Nachweis von Malz in archäologischen Funden.

Plötzblog – Selbst gutes Brot backen

Geschichte der Hefe

Pfahlbauers Geschirrschrank

Kaputtes Geschirr ist der Archäolog*innen täglich Brot. Jede Scherbe, die der Seegrund oder der morastige Boden der Pfahlbausiedlungen freigibt, wird sorgfältig geborgen, gewaschen und eifrig studiert. Unverständlich für viele, dass die Fachleute auch ein einzelner, unansehnlicher Scherben entzücken kann. Und doch ist es so, denn die Gefässbruchstücke geben viele Informationen preis, sofern man diese dekodieren kann. Material, Machart, Form und Verzierungen sind die Schlüssel zur zeitlichen und kulturellen Einordnung. Und dazu reicht oft bereits ein kleines Stück. Denn so wie man auf dem Flohmarkt mit einen Blick unterscheiden kann, ob es sich um Ikea-Geschirr oder das edle Teeservice der Grosseltern handelt, so unterlag auch das Geschirr der Pfahlbauer modischen Veränderungen. Und wenn man weiss, was vor 5000 Jahren am Bodensee in Mode war, dann reicht eben eine kleine Scherbe, um zu wissen, wie alt sie ist, ob sie zu einer Schüssel, einem Kochtopf oder einem Krug gehört und ob es sich um ein vor Ort hergestelltes oder von fern eingetauschtes Gefäss handelt.

Vollständig erhaltene und ergänzte Keramikgefässe aus der ältesten Siedlung der Fundstelle Hornstaad-Hörnle, DE, 3918-3902 v. Chr. © LAD

Plötzlich waren Töpfe potthässlich

Sind dann also die grobschlächtigen, unförmigen Töpfe älter als die elegant geformte, verzierte Schale? Bei weitem nicht! Um nochmals auf die Grosseltern zurückzukommen: In deren Augen würde der Inhalt manchen Geschirrschrankes in einer WG als primitiv eingeschätzt. Und so verläuft auch in der Pfahlbauarchäologie die Entwicklung der Geschirrproduktion nicht linear. Um 3500 v.Chr. stellten die Töpfer*innen in der Bodenseeregion dünnwandige Gefässe mit geglätteten Oberflächen in einer grossen Formenvielfalt her. Archäolog*innen nennen diese Zeit «Pfyner Kultur». Nur 200 Jahre später bringen sie aber scheinbar nur noch schiefe, dickwandige Pötte – also topfartige Gefässe – zustande. Potthässlich, die sogenannten «Horgener» Töpfe. Ein kultureller Rückschritt, könnte man meinen. Wenn wir jedoch das ganze Geschirrspektrum der «Horgener Kultur» betrachten, entdecken wir neben den windschiefen Töpfen auch sorgfältig geschnitzte Schüsseln, Schöpfer und Löffel aus Holz. Weil sich organische Materialien in den Pfahlbaufundstellen besonders gut erhalten haben, wissen wir also, dass auch die «Horgener» Leute durchaus Sinn für Ästhetik hatten.

Geschirrensemble aus Gachnang, TG, Pfyner-Kultur. © AATG
Geschirrensemble Arbon-Bleiche III, TG aus der Übergangszeit von der Pfyner- zur Horgener Kultur. ©AATG
Holztasse der Horgener Kultur aus Bad-Buchau, DE. © René Riis, LAD

Ein Tag auf dem Feuer

Bei unseren Kochversuchen haben wir unter anderem nachgemachte «Horgener»-Töpfe verwendet. In der Praxis zeigten sich plötzlich die Vorteile dieser groben Kochgefässe: Es braucht zwar ordentlich Hitze, bis der Inhalt eines solchen Topfes endlich kocht. Aber dann brodelt und dampft er vor sich hin, auch wenn das Feuer langsam herunterbrennt. Ist dies womöglich ein Hinweis auf die Essgewohnheiten der «Horgener» Pfahlbauer*innen? Stellten sie einen Topf aufs Feuer, gefüllt mit allerlei Eintopfzutaten, gingen danach ihrer täglichen Arbeit nach und konnten bei der Heimkehr eine fertig gekochte, warme Mahlzeit geniessen? Uns jedenfalls haben die «Horgener» Töpfe zu Eintopfgerichten inspiriert.

Nachgetöpferte Horgener Töpfe.

Verkohlte Essensreste für uns

Aus einem weiteren Grund sind die Gefässbruchstücke für uns interessant. Nicht selten kleben an den Scherben angebrannte Essensreste. Der Unachtsamkeit der Pfahlbauköche ist es zu verdanken, dass wir noch heute in ihre Töpfe blicken und sehen können, was sie darin zubereiteten. In der Fundstelle Arbon-Bleiche im Kanton Thurgau zum Beispiel brodelten Äpfel, Getreide, Leinsamen, Physalis aber auch Fisch und Gemüse in den Töpfen.

Untersuchungen und Experimente zeigen, dass bereits durch einen einzigen Kochvorgang dicke Verkrustungen entstehen können. Die Topfkrusten widerspiegeln somit zumeist die Zusammensetzung eines einzigen Gerichtes. Aber wie hat man damals bloss die Töpfe wieder sauber gekriegt? Spülmittel und Geschirrspülmaschine waren ja Fehlanzeige. Immerhin war da gleich der See vor der Haustüre, und so sind langes Einweichen und Abkratzen der Kruste wohl die gängige Hausfrauen/Hausmänner-Methode. Fest steht – aus eigener Erfahrung – dass die nächste Mahlzeit aus einem Topf mit Resten des vorangehenden, angekohlten Essens penetrant verbrannt schmeckt. So gesehen, sind die «einmaligen» Krusten auch ein Beleg für die durchaus anspruchsvollen Geschmacksknospen der Pfahlbauer*innen.

Archaeofacts

Makro- und mikroskopische Untersuchungen von Speisekrusten aus Keramikgefässen der jungsteinzeitlichen Seeufersiedlung Arbon-Bleiche, CH.

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