Archäologin und Leiterin des Fachgebietes Feuchtbodenarchäologie, Landesamt für Denkmalpflege, Baden-Württemberg
3 Fragen an Renate Ebersbach
Was interessiert Sie am Essen und Trinken allgemein?
Das ist für mich eine «Alltagsbeschäftigung», die nie langweilig wird, auch wenn wir zehntausende von Mahlzeiten zu uns nehmen im Laufe des Lebens. Essen und Trinken sind lebensnotwendig und gleichzeitig Kulturgut, für manche sogar Religions-Ersatz. Es fasziniert mich, wie Mahlzeiten und Lebensmittel in unsere Kultur integriert werden und wie sich das im Verlauf der Jahrhunderte verändert hat, ohne dass es den meisten Leuten heute bewusst ist. Die meisten Leute wissen noch, dass Tomaten aus Amerika kommen, aber wer weiss schon, dass Physalis eine einheimische Sammelpflanze ist, die schon die Pfahlbauer*innen vor 6000 Jahren nutzten, während Walnüsse, Kirschen oder Zwetschgen erst von den Römer*innen eingeführt wurden?
Ein Tag in der Alltagsküche der Pfahlbauer*innen. Was war da besonders schwierig?
Ich denke es gab im Laufe des Jahres oder des Lebens sicher Zeiten, da war das Erfüllen der Grundversorgung durchaus mal schwierig, vielleicht im Spätwinter, wenn die Vorräte knapp wurden und kaum noch Vitamine aufzutreiben waren. Dann gab es vielleicht jeden Tag Getreideeintopf, und zur Abwechslung mal Erbsensuppe mit ein paar Fitzelchen Speck. Aber ich stelle mir die Pfahlbauer*innen nicht als Menschen vor, die dauernd am Hungertuch nagten. Sie kannten und nutzten Hunderte von Pflanzenarten und alle essbaren Tiere, die es in der Region gab. Vielleicht war die alltägliche Küche weniger abwechslungsreich, als das unsere Rezepte suggerieren, aber das war natürlich bei unseren Grosseltern auch noch so.
Worum beneiden Sie die Pfahlbauer*innen hinsichtlich ihrer kulinarischen Möglichkeiten?
Ehrlich gesagt beneide ich sie nicht und bin froh, dass ich einen Kühlschrank, einen rauchfreien Herd mit Backofen und die Möglichkeit des sterilen Einmachens habe. Und ich schätze die «neu» eingeführten Lebensmittel der letzten 3000 Jahre, z.B. Kakao (ich zitiere Loriot in leicht abgewandelter Form: «Ein Leben ohne Schokolade ist möglich, aber sinnlos»), Wein, Oliven, Zitronen, Kartoffeln, Hühnchen und scharfe Gewürze. Ich schätze auch die heutigen Hygienestandards. Ich werde voraussichtlich nicht an einer Fleisch- oder Fischvergiftung sterben und habe keine Würmer oder andere unliebsame Schmarotzer, die ich mir durch unhygienisches Wasser oder Essen einfange. Aber: Im Vergleich zu heute waren die Nahrungsmittel der Pfahlbauer*innen vermutlich geschmacksintensiver, weil es keine Hochleistungszüchtungen waren, die möglichst viel Volumen haben mussten. Man vergleiche den Geschmack einer wilden Walderdbeere mit demjenigen einer Zucht-Erdbeere!