Schon mal darüber nachgedacht, was Rivella, Sauerkraut und der Laktatwert in deinen Muskeln nach zwei Minuten in der Abfahrtshocke miteinander zu tun haben? Die Antwort ist: Milchsäuregärung! Dadurch wird kurzfristig Energie in deine Muskeln gepumpt, wenn es mit dem Sauerstoff im Blut zu Ende geht. Im Essen hemmt die Sauergärung die Vermehrung von schlechten Erregern wie z. B. Staphylokokken. Milchsäuregärung findet in ganz verschiedenen Lebensmitteln statt, z. B. in Sauerteig, Sauerkraut, Kimchi, Salzgurken und: Käse! Und damit sind wir beim Thema: die Verwandlung von Frischmilch in käseartige Milchprodukte.

Dafür gibt es viele Verfahren. Manche sind einfach und passieren quasi von selber – andere sind komplex, erfordern Erfahrung, viele verschiedene Arbeitsschritte in exakter Reihenfolge und ein gewisses Mass an Hygiene. Allein schon das Einhalten der richtigen Temperatur ist ohne Thermometer eine Herausforderung – sozusagen die Masterclass der laufenden Challenge hier auf unserem Blog.

Geschirrensemble von der spätbronzezeitilichen Pfahlbaufundstelle Eschenz-Werd, CH, mit einem Siebgefäss. © AATG

Weichkäse dank Sauergärung

Zur Weiterverarbeitung gibt es grundsätzlich zwei Optionen: Man lässt die Milch einfach stehen und schaut, was passiert, oder man setzt etwas zu, was zu einer gezielten Gerinnung führt. Das erste Verfahren heisst Sauergärung. Sauergärung ist einfach, aber auch ein bisschen unvorhersehbar, da man nie weiss, welche (guten) Bakterien oder Schimmelpilze das Rennen machen, die Milch als erstes zu besiedeln und die schlechten Bakterien in Schach zu halten. Leichtes Erwärmen fördert die Gerinnung. Die geronnene und eingedickte Milch kann dann direkt in Formen gefüllt werden, in denen sie abtropfen kann. Nach wenigen Wochen kann man den Sauerkäse geniessen – sehr viel länger kann man ihn meistens nicht aufheben. Die meisten Weichkäse sind Sauerkäse. Sind sie aus Magermilch hergestellt, enthalten sie kaum Fett, aber bis zu 30 % Proteine. Der Übergang von Frischmilch zu einem festeren Sauermilchkäse ist fliessend und es entstehen dabei jeweils essbare Zwischenstufen: Dickmilch, (Sauer-)Quark und Frischkäse (abgetropfter, wenige Tage alter Quark).

Geschnittene “Dickete” nach eineinhalb Tagen. An der Oberfläche abgesetzte Sahne. In den Schnitten tritt die klare Molke aus.

Lab macht Käse hart

Das andere Verfahren führt zu Süss- oder Hartkäsen. Diese entstehen durch die Zugabe von Lab (Mägen von Kälbern oder Zicklein werden klein geschnitten und getrocknet). Hartkäse ist also eigentlich vom Kalb vorverdaute Milch. Als pflanzlichen Ersatz kann man – wie der Name schon sagt – Labkraut (Galium sp.) zusetzen. In den Pflanzenresten aus Pfahlbauten sind drei Arten Labkraut nachgewiesen, von denen z. B. das Kletten-Labkraut (Galium aparine) auf aufgelassenen Äckern wächst. Echtes Labkraut (Galium verum) oder Wiesenlabkraut (Gallium mollugo) enthalten dasselbe Enzym wie Kälbermagen. Verwendet werden Wurzeln, alternativ auch frisches oder getrocknetes Kraut. Der Unterschied zum Käsen mit tierischem Lab ist, dass man die Milch länger stehen lassen muss für die Gerinnung. Ein zu hohes Erhitzen der Labkräuter verleiht der Milch offenbar einen merkwürdigen Geschmack. Daher sollte man das Labkraut erst in die handwarme Milch geben. Das Süsskäsen soll auch mit anderen Kräutern funktionieren, z.B. mit Brennessel, das haben wir aber nicht ausprobiert.

Hartkäse haben den Vorteil, dass sie mehrere Jahre lagerfähig und gut transportierbar sind. Dazu gehören Parmesan, Alpkäse wie Emmentaler, Appenzeller und Gruyère usw. Die Hartkäseproduktion benötigt grosse Milchmengen auf einmal (13 Liter Milch ergeben ein Kilo Hartkäse), eine gewisse Hygiene und zahlreiche, zeitlich genau aufeinander abgestimmte Arbeitsschritte, bei denen grosse Mengen Feuerholz nötig sind. Hartkäse muss man während der Reifung konstant pflegen, wozu man unter anderem viel Salz und kühle Räume braucht. Ob die Pfahlbauer schon Hartkäse hergestellt haben, ist deshalb zweifelhaft.

Hölzernes Siebgefäss im Freilichtmuseum Ballenberg, CH.

Käse ganz einfach variieren

Alle Käsesorten lassen sich durch den Zusatz von Salz und Kräutern geschmacklich variieren. Ausserdem kann man Kuh-, Schaf- und Ziegenmilch, sowie Voll- und Magermilch in beliebigen Verhältnissen mischen und weiterverarbeiten. Wenn man frische Vollmilch einen Tag stehen lässt, bildet sich automatisch an der Oberfläche eine Sahne-Schicht. Die abgeschöpfte Sahne lässt sich dann zu Butter weiterverarbeiten oder einkochen. Für ein Kilo Butter braucht man allerdings über 30 Liter Frischmilch. Butter muss man kühl lagern, sonst schimmelt sie rasch. Vor der Erfindung des Kühlschrankes war deshalb frische Butter nur saisonal verfügbar und wurde oft direkt zu Butterschmalz weiterverarbeitet, damit man sie ohne Kühlung länger aufbewahren kann.

Die Magermilch kann man normal verkäsen. Auch die nach dem Käsen im Gefäss übrig gebliebene Flüssigkeit, die Schotte, Molke oder Sirte, kann man nochmal verkäsen, dabei entsteht dann ein fettarmes, eiweissreiches Produkt von einer ganz anderen Konsistenz und einem ganz anderen Geschmack als normaler Hartkäse: ein „Molkekäse“. In der Schweiz heisst er „Ziger“, in Norwegen „Braunkäse“. Auch Ricotta ist aus Schotte mit Zusatz von Sahne hergestellt. Durch Räuchern lassen sich Molkekäse ebenfalls einige Wochen oder Monate aufbewahren.

Milchpulver zu Pfahlbauerzeiten?

In anderen Weltgegenden, z.B. dem Himalaya, wird Molke auch durch stundenlanges Kochen (bis zu 20 Stunden) und anschliessendes Trocknen in ein Albumin-Globulinkonzentrat verwandelt, das man jahrelang aufheben kann. Für die Verwendung mahlt man die Stücke zu Mehl oder Pulver und schäumt sie mit warmem Wasser unter Rühren auf – eine Art „Magermilchpulver“. Das Produkt erinnert an Ayran (ein Getränk aus Vorderasinen auf der Basis von Joghurt, Wasser und Salz). Ob man so einen amorphen Klumpen in einer Grabung erkennen würde?

Molke kann man aber auch direkt trinken, Stichwort „Rivella“ (für die Nicht-Schweizer*innen unter euch: DAS Schweizer Nationalgetränk) – oder darin baden für eine samtweiche Haut. Vermutlich deutlich billiger als Eselmilch. Wir haben allerdings nicht ausprobiert, ob das Ergebnis überzeugt …

Auf geht’s, Community: Wagt euch an die Käseproduktion! Im Internet gibt es jede Menge Rezepte dazu. Wir sind gespannt, was euch alles einfällt. Aber Achtung: Falls die Milch direkt von der Kuh kommt (was es heute kaum noch gibt), unbedingt vor der Weiterverarbeitung abkochen bzw. über 70 Grad erhitzen.

Portrait Simone Benguerel
Portrait Renate Ebersbach

Tipps

Informationen zur Bedeutung der Einführung von Milchwirtschaft in der Urgeschichte in Europa: https://neomilk-erc.eu/ (Es geht allerdings hauptsächlich um die frühe Jungsteinzeit, die sogenannte Linearbandkeramik).

Neues Handbuch Alp – Handfestes für Alpleute, Erstaunliches für Zaungäste, 2012. Mit Käserezepten und allerlei Interessantem über Kühe, sonstiges Alpgetier und die Menschen, die den Sommer dort verbringen: https://www.zalpverlag.ch/