Heute stellen wir dir auf unserer Rezeptseite drei spezielle Milchgerichte vor: den Brieschkuchen, die Kolostrumtorte und einen Pudding namens «Kälbertanz». Dazu möchten wir dir in diesem Blogbeitrag ein paar Hintergrundinfos mitgeben. Für viele von euch mag bereits die Verarbeitung von Frischmilch ungewohnt sein. Noch spezieller und weitgehend unbekannt ist die Biestmilch, auch Erstmilch, Vormilch oder Colostrum genannt. Jedes weibliche Säugetier produziert in den ersten Tagen, nachdem es geboren hat, eine dickflüssige, gelbliche Milch. Sie enthält Antikörper, welche die Immunabwehr des Neugeborenen stärken und ihm eine Vielzahl an Proteinen, Vitaminen, Wachstumsfaktoren und Mineralstoffen für einen guten Start ins Leben gibt.

Biestmilch ist gelblich, schmeckt süss und ist leicht dickflüssig.

Ultrasaisonales Milchprodukt

Auch Nutztiere wie Kühe, Schafe und Ziegen produzieren Biestmilch. Vor der modernen Tierhaltung gehörte die Erstmilch für zwei bis drei Tage ganz dem Jungtier. Ab dem dritten bis fünften Tag wurde ein Teil davon gemolken und zu speziellen Gerichten verarbeitet. Biestmilch war und ist etwas Besonderes, weil es sie jeweils nur für kurze Zeit gibt. Ihr werden stärkende und heilende Kräfte nachgesagt. Was wir zum Geschmack sagen können? Wer Biestmilch kennt, liebt sie oder findet sie eklig. Damit verbunden sind jede Menge Emotionen und Erinnerungen.

Biest kommt von «melken»

Für die Rezepte auf dieser Jubiläums-Webseite schmökern wir in historischen Kochbüchern oder lassen uns von regionalen, traditionellen Speisen inspirieren. Im Alpenraum und den angrenzenden Regionen stossen wir immer wieder auf Gerichte, in denen Milchprodukte vielfältig verarbeitet werden. Dazu gehören auch Rezepte aus Biestmilch. Das Colostrum heisst je nach Dialekt Brieschmilli, Briesch-, Biemst- oder Briestmilch, im Südwestdeutschen Raum auch Pfaff, Pfaffenmilch, Priestermilch oder Kuhpriester. Biest ist in diesem Fall keine Bezeichnung für ein lästiges Tier oder einen durchtriebenen Menschen: Der Begriff geht auf das Verb bies(t)en zurück, was melken bedeutet. Welche Wörter die Pfahlbauer*innen des zirkumalpinen Raumes für die Erstmilch hatten, wissen wir nicht. Wir befinden uns zeitlich lange vor der Einführung der Schrift in unserer Gegend. Beweise dafür, dass die Pfahlbauerfamilien mit Biestmilch kochten, können wir auch keine liefern. Wir halten es aber für sehr wahrscheinlich, dass die Erstmilch bereits damals eine besondere Rolle in der Symbolik und der Ernährung gespielt hat.

Ein sättigender Brieschkuchen

Durch den hohen Proteingehalt stockt die Biestmilch beim Erhitzen. Sie ist süsslich, sehr gehaltvoll und erinnert geschmacklich und in der Konsistenz leicht an Caramellköpfli (Caramelflan). Biestmilch eignet sich daher für Süssspeisen wie Aufläufe oder Pfannkuchen, aber auch für die Herstellung von Käse oder als Zutat eines Brotteiges. Der Brieschkuchen ist eine Zubereitungsart, die früher im deutschsprachigen Raum verbreitet war: Man verrührt die Biestmilch mit Mehl und Eiern, bäckt sie im Ofen und serviert sie mit süssen oder salzigen Beilagen.

Wer keine trächtige Kuh im Stall stehen hat, kommt heute nur schwer an Biestmilch, denn das Colostrum ist nicht frei erhältlich und wenn, dann nur als Nahrungsergänzungsmittel in Pulverform. Wir zeigen dir im Rezept eine einfache Möglichkeit, wie du Biestmilch nachahmen kannst.

Brieschkuchen mit getrockneten Sauerkirschen.

Toétché aus dem Jura

Im schweizerischen und französischen Jura ist ein Kuchen namens Toétché beheimatet. Die gängigen Onlinerezepte verwenden für den Kuchenguss die überall erhältlichen Milchprodukte Sauerrahm, Crème fraîche oder Rahm. Früher stellte man den Belage dieser Torte mit Hefeteigboden mit Biestmilch her. In unserem pfahlbauer*innentauglichen Rezept besteht der Kuchen natürlich aus Sauerteig und wir nennen das Gericht Colostrum-Torte.

Colostrum-Torte mit Wildgemüse.

Biestmilch bringt Kälber zum Tanzen

In Schweden reicht man zu besonderen Gelegenheiten eine Art Pudding aus Biestmilch und Eiern, bestreut diesen mit Zimt und Zucker und serviert ihn mit Beeren. Das traditionelle Gericht heisst «kalvdans», also «Kälbertanz». Der Name bezieht sich auf das neugeborene Kalb, das munter herumspringt, nachdem es seine erste Muttermilch getrunken hat. Unvergessen ist mir ein Mittsommerfest in Schweden, bei dem musiziert, getanzt und «kalvdans» gegessen wurde. Die Erinnerungen an den süsslich-seidigen Geschmack des Gerichtes sind auch viele Jahre danach noch präsent.

Für unseren Foodblog haben ich den Kälbertanz aus meinen Kindheitserinnerungen hevorgekramt und ihn nachgekocht. Gespannt wartete ich, bis der Pudding im Ofen eine goldbraune Farbe angenommen hat. Und so habe ich an einem kalten Märztag, nachdem die Foodfotos im Kasten waren, den ersten Löffel «kalvdans» gekostet. Und da waren sie wieder: der Geschmack, die spezielle Konsistenz und die Erinnerung.

Kälbertanz, Biestmilch-Pudding mit Heidelbeeren.

Hast du schon mal Biestmilch gekostet? Wie findest du sie? Verbindest auch du den Geschmack spezieller Milchgerichte mit Erinnerungen? Kennst du Rezepte mit Biestmilch oder heute vergessene Milchgerichte? Teile deine Erfahrungen und Rezepte mit uns.

Portrait Katharina Schäppi