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Fisch gab’s nicht nur freitags

Freitag ist Fischtag. Das ist bis heute so in vielen Haushalten auf der ganzen Welt. Dieser Brauch geht auf die christliche Tradition zurück, nach der man freitags des Karfreitags gedenkt, an dem Jesus gestorben ist. Auch bei den Pfahlbauer*innen stand Fisch sehr häufig auf dem Speiseplan. Mit Religion hatte dies wohl nichts zu tun, denn die wichtige Proteinquelle lebte ja quasi vor der Haustüre, standen die Pfahlbauten doch direkt am Wasser. So verwundert es nicht, dass Forscher*innen in den Siedlungsschichten eine Vielzahl von Fischknochen und bei besonders guten Erhaltungsbedingungen sogar Schuppen und Flossenstrahlen gefunden haben.

Fischknochen aus der Pfahlbaufundstelle Bad Buchau-Bachwiesen (D). © LAD, bearbeitet

Ausschlaggebend ist dabei nicht nur die Feuchtbodenerhaltung, sondern auch eine geringe mechanische Bewegung der Reste. Und: Mit blossem Auge sind die dünnen Gräten und kleinen Wirbelknöchelchen kaum zu erkennen. Um sie in grösseren Mengen zu finden, muss man Erdproben mit einem feinen Wasserstrahl durch Siebe spülen und die Fischreste dann sorgfältig auslesen. Bei der Auswertung sind die Auffindungschancen zu berücksichtigen: Knochen von sehr grossen Hechten und selten auch Welsen von Körperlängen bis 2 m werden von geschulten Ausgräber*innen schon während der Grabung entdeckt. Sie sind also tendenziell übervertreten. In den Siebresten dominieren kleine Fische von etwa 10 cm Körpergrösse.

Auf die richtige Fangmethode kommt’s an

Fische muss man aber zuerst einmal fangen, bevor sie im Topf oder auf dem Feuer der Pfahlbauer-Köch*innen landen. Gefundene Fischfanggeräte zeigen: Die Pfahlbauer*innen beherrschten verschiedene Fangtechniken. Angelhaken sind auf den ersten Blick zu erkennen: Sie sehen aus wie heute, sind aber in der Steinzeit aus Knochen oder Lamellen von Eberzähnen und ab der Bronzezeit auch aus Bronze hergestellt. Schwieriger zu interpretieren sind die sogenannten Stabangeln: Die beidseitig zugespitzten Knochen sehen auf den ersten Blick eher unscheinbar aus. An diesen befestigten die Pfahlbauer*innen wohl kleine Köderfische, um damit grössere Raubfische wie Hechte zu fangen. Auch Harpunen oder Speere waren für die Jagd auf grössere Fische geeignet. Sorgfältig aus Geweih geschnitzte Harpunen mit ein- oder sogar beidseitigen Widerhaken bleiben aber seltene Funde.

Angelhaken aus Eberzahn mit Angelschnur aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG, bearbeitet
Fisch-Harpunen aus Steckborn (CH). © AATG, bearbeitet

Häufig sind dagegen flache Steine mit beidseitigen Kerben. Dabei handelt es sich um Netzsenker, also Beschwersteine für Stellnetze. Auch Scherben von kaputten Gefässen wurden für diesen Zweck recycelt. Davon gibt es Hunderte aus den Fundstellen am Federsee. Schwimmer aus Borke sorgten dafür, dass die Netze senkrecht im Wasser standen und sich Fische darin verfangen konnten. Wie heute wurden Stellnetze also längere Zeit, z. B. über Nacht, im Wasser gelassen und dann erst eingeholt. Das konnte man im flachen Wasser direkt vor der Siedlung machen – ohne grösseren Aufwand und praktisch nebenbei. Dagegen ist die Fischerei auf dem offenen See vom Boot aus mit Schlepp- oder Wurfnetz aufwändiger und erfordert je nachdem sogar mehrere Boote.

Steine als Netzsenker aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). © AATG, bearbeitet

Handtasche oder Fischernetz?

Fischernetze zu erkennen, ist eine Geschichte für sich. Textilien haben sich in den Pfahlbausiedlungen zwar regelmässig erhalten, meistens handelt es sich aber um sehr kleine Fragmente, wie z. B. netzähnliche Geflechte aus Pflanzenfasern. Solche Netze können unterschiedliche Zwecke gehabt haben: Sie eignen sich auch zum Transport von Laubheu, zum Aufhängen von Tongefässen mit verderblichen Gütern oder als Handtasche. Sehr selten werden sie mit eindeutigen Indizien gefunden, etwa mit angebundenen Netzsenkern oder -schwimmern – in diesem Fall ist die Interpretation als Fischernetz eindeutig. Solche Netzfragmente zeigen, dass die Maschenweite bereits zur Pfahlbauzeit ein Thema war, denn je kleiner die Maschen, desto kleiner und wahrscheinlich jünger sind die Fische, die man fängt. Und desto eher besteht die Gefahr, die Bestände durch Abfischen des Nachwuchses nachhaltig zu schädigen. Jungsteinzeitliche Netze haben Maschenweiten von 20–40 mm, was neuzeitlichen Reglementierungen entspricht.

Fragment eines Netzes aus Hornstaad-Hörnle (D). © LAD, bearbeitet

Auch Fragmente von trichterförmigen Holzreusen wurden gefunden, ähnlich wie sie im Bodensee noch immer für den Fang von Grundfischen wie der Trüsche eingesetzt werden.

Fischreuse aus Steckborn (CH). © AATG, bearbeitet

Hechtzucht à la Pfahlbauer

Speiseabfälle und Fanggeräte belegen, dass in den Pfahlbausiedlungen und im Verlauf der Zeit verschiedene Fischarten unterschiedlich häufig auf den Tisch kamen. Meistens dominieren jedoch Arten, die sich bevorzugt nahe am Ufer aufhalten wie Egli, Hecht und Karpfenartige (Rotaugen, Rotfedern, Schleien). Die Pfahlbauer*innen waren also vor allem Flachwasserfischer!

Die Fischreste geben uns ausserdem Hinweise auf die Wasserqualität. In den früheren neolithischen Siedlungen um Zürich kamen häufig Flussbarsche auf den Tisch. Ein paar hundert Jahre später war Hecht der beliebteste Speisefisch. Das dürfte in direktem Zusammenhang mit der intensiven Besiedlung am Ufer stehen. Der über Jahrhunderte ins Wasser gelangte Müll und Viehmist beförderten den Wuchs der Röhrichtgürtel, wo sich der Hecht am liebsten aufhält. So nebenbei betrieben die Pfahlbauer*innen also schon (unabsichtlich) Hechtzucht.

Hecht (Esox lucius). © Luc Viatour bearbeitet

Geduld bringt Felchen

Heute wie damals gilt es, die günstige Jahreszeit abzuwarten – nicht nur, um Laich- und Aufzuchtzeiten der Fische zu respektieren und die Bestände zu schonen. Will man satt werden, lohnt es sich auch zu überlegen, wann man die Fische wo fängt. Felchen zum Beispiel bevorzugen eher uferferne Lebensräume. In diesem Gewässer fängt man sie am besten mit von mehreren Booten aus bedienten Zugnetzen. Wassergesättigte, schwere Netze aus Bast oder Lein in Einbäume zu ziehen, kann allerdings ein lebensgefährliches Unterfangen sein. Idealerweise fängt man die Felchen gegen Jahresende, wenn sie zum Laichen in flachere Gewässer wie den Seerhein zwischen Ober- und Untersee wandern und sich vermehrt an der Wasseroberfläche aufhalten. Und tatsächlich sind in den Pfahlbaufundstellen 30 bis 40 cm grosse Felchen belegt, was für den Fang „laichreifer“ Tiere spricht. Nur die Frage, ob die Pfahlbauer*innen auch Felchenrogen genossen haben, muss aus Erhaltungsgründen unbeantwortet bleiben. Bodenseekaviar gilt heute noch als äusserst rare Delikatesse – für Bestellungen werden sogar Wartelisten geführt.

Portrait Simone Benguerel
Portrait Renate Ebersbach

Archäofacts

Hüster-Plogmann, H./Schibler, J. (1997) Archäozoologie. In: J. Schibler et al. (Hrsg). Ökonomie und Ökologie neolithischer und bronzezeitlicher Ufersiedlungen am Zürichsee. Ergebnisse der Ausgrabungen Mozartstrasse, Kanalisationssanierung Seefeld, AKAD/Pressehaus und Mythenschloss in Zürich (Zürich und Egg), 40-121.

Hüster Plogmann, H. (2004) Fischfang und Kleintierbeute. Ergebnisse der Untersuchung von Tierresten aus den Schlämmproben. In: S. Jacomet/U. Leuzinger/J. Schibler. Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon Bleiche 3. Umwelt und Wirtschaft (Frauenfeld) 253-276. Link

Fruits des lacs

Im Juni dreht sich bei PalaFitFood alles ums Wasser. Schliesslich ist es in den Pfahlbauten allgegenwärtig. Den See vor der Haustüre, das Glucksen der Wellen um die Pfähle, die gleissende Lichtbahn der untergehenden Sonne, stille Morgennebel, schrilles Geschrei der Möwen, Frösche und ihr ewiges Quakkonzert, huschende Schatten von Barschen in den Flachwasserzonen, abertausende sirrende Mücken. Die Pfahlbauer*innen lebten am Wasser und von dem, was sich darin tummelte. Wer jetzt nur an Fische denkt, irrt. Ein Voralpensee hat kulinarisch mehr zu bieten.

Abendstimmung beim Pfahlbauhaus Wangen am Bodensee (D). © R. Ebersbach

Mit der Wasserbrause feinste Knochen aufspüren

Frösche essen? Da scheiden sich die Geister. Manchenorts gelten Froschschenkel noch heute als Delikatesse, aber viele von euch verziehen jetzt wohl angeekelt das Gesicht. Wie hielten es die Pfahlbauer*innen mit dem Frösche-Essen? In der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH) haben geduldige Forscher*innen rund 1800 Knöchelchen von Grasfröschen (Rana temporaria) aus Schlämmproben herausgelesen. Die feinen Knochen sind bei einer normalen Ausgrabung fast nicht zu erkennen. Deshalb packt man bei Feuchtbodengrabungen oft einen Teil des Erdmaterials in Probekübel ab, um sie später im Labor mit einer Wasserbrause durch Siebe mit zunehmend kleinerer Maschenweite zu spülen. Zurück bleiben kleinste Funde, darunter auch Vogel-, Fisch-, Reptilien- und Amphibienknochen. Archäozoolog*innen haben die Froschknochen von Arbon-Bleiche untersucht, ausgezählt, den verschiedenen Körperpartien zugeordnet und sie unter dem Mikroskop genau studiert. Heraus kam Erstaunliches.

Grasfrosch (Rana temporaria). CC Richard Bartz, bearbeitet

Mit Haut und Knochen

Die Knöchelchen stammen allesamt von erwachsenen Tieren. Reste von Vorder- und v. a. Hinterbeinen sind im Vergleich zu Knochen der Rumpfpartie deutlich überrepräsentiert. Dies ist ein erster Hinweis auf den Verzehr von Froschschenkeln. Auf drei Knochen entdeckten die Forscher*innen zudem Schnittspuren. Silexmesser (Feuerstein), mit denen man die Frösche offensichtlich zerlegt hat, hinterliessen feine Rillen im Knochen. Doch es kommt noch besser: Bei einigen der Knochen wirkte die Oberfläche bei genauerer Betrachtung wie lackiert. Kanten und Ecken der zerbrochenen Knochen waren abgerundet und die Oberflächen wiesen kleine Vertiefungen auf. So sieht ein Knochen typischerweise aus, nachdem er den Verdauungstrakt passiert hat. Die Pfahlbauer*innen haben sich also nicht damit begnügt, das zarte Fleisch von den Knöchelchen zu knabbern. Nein, sie haben die Froschschenkel mitsamt Knochen verspeist.

Angedaute Knochen vom Grasfrosch aus der Pfahlbaufundstelle Arbon-Bleiche (CH). Strich = 1 cm. © AATG, D. Steiner
Zuordnung der Froschknochen aus Arbon-Bleiche (CH) zu Körperteilen im Vergleich zu einem vollständigen Froschskelett. © nach Hüster Plogmann 2004, Abb. 306.

Und so kommen wir zum letzten Indiz, das euch wohl endgültig den Appetit auf Froschschenkel verdirbt: In menschlichen Fäkalien fand man Bandwürmer, die Frösche als Zwischenwirte nutzen und die beim Verzehr von rohem oder ungenügend durchgegartem Fleisch auf den Menschen übergehen. Selbst über den Zeitpunkt des Froschschenkel-Festessens wissen wir Bescheid: Grasfrösche halten sich ausserhalb der Laichzeit in Wäldern oder feuchten Wiesen auf. Im Februar bis März zieht es sie zu den Gewässern, in denen sie geboren worden sind. Und dort warteten auch schon die hungrigen Pfahlbauer*innen auf sie.

Schildkrötensuppe?

Schildkrötenfleisch soll schwer verdaulich sein und nach Rind schmecken; die Leber ist angeblich mit Kalbsleber vergleichbar. Auch die Eier kann man essen. Wir können das nicht beurteilen, sind doch die Schildkröten in unseren Gewässern streng geschützt und Einfuhr und Verkauf ihres Fleisches verboten. Die Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) als einzige einheimische Art in der Schweiz, kommt nur noch in kleinen Populationen vor und ist vom Aussterben bedroht. Grund dafür ist, dass so manche Schildkröte bis Anfangs des 20. Jahrhunderts im Suppentopf landete.

Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis). CC Wolfgang Simlinger, bearbeitet

War das schon im Neolithikum und der Bronzezeit so? Sumpfschildkröten leben in ruhigen, klaren Seen, also dort, wo auch die Pfahlbauer*innen ihre Häuser errichteten. So erstaunt es nicht, dass Archäolog*innen ab und zu Knochenreste der Sumpfschildkröte finden. Meist sind es die Panzer, oder Teile davon. Wiederum sind es Schnittspuren, die belegen, dass die Tiere nicht aus eigenem Antrieb in die Siedlungen gekrochen sind. Damit ist aber noch nicht bewiesen, dass sie im Kochtopf landeten. Um an das Fleisch zu gelangen, genügt es eigentlich, den Panzer nach mehrstündigem Kochen an der Nahtstelle vom Rücken- zum Bauchpanzer aufzubrechen. Die Schnittspuren sind somit eher darauf zurückzuführen, dass man das Schildpatt entfernt hat. Schildpatt war vor Erfindung des Plastiks ein beliebtes Material, um daraus Kämme oder Schmuck herzustellen. Leider vergeht Schildpatt selbst in den dauerfeuchten Schichten der Pfahlbauten spurlos. Vielleicht liesse sich über eine genauere Analyse der Panzer herausfinden, ob diese gekocht wurden oder nicht. Nach dem derzeitigen Forschungsstand können wir daher nicht mit Sicherheit sagen, ob die Pfahlbauer*innen Schildkröten gegessen haben oder nicht.

Rücken- und Bauchpanzer einer Sumpfschildkröte aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (TG). © KASH, K. Schäppi

Einmal Biber bitte

Die Gelüste der Menschen haben auch dem Biber den Garaus gemacht. Er war zu Beginn des 20. Jahrhunderts in grossen Teilen Europas ausgestorben. Die spätere Wiederansiedlung war erfolgreich, so dass Biberbauten und angenagte Bäume im Schweizer Mittelland, Baden-Württemberg und Bayern entlang von Flüssen und Bächen heute wieder ein vertrautes Bild sind. Im Mittelalter und in der Neuzeit war der Biber nicht nur wegen seines weichen, dichten Felles begehrt – auch das nach Wild schmeckende Fleisch galt als Delikatesse. Der schuppige Schwanz des Bibers erinnert an Fischschuppen, weswegen der Biber im 15. Jahrhundert kurzerhand zum Fisch erklärt wurde und in der Folge als begehrte Fastenspeise eine Karriere machte.

Biber (Castoridae). © Gerhard Schwab, bearbeitet

Über allfällige Fastengebote bei den Pfahlbauer*innen wissen wir nichts. Aber dass sie damals Biber assen, steht fest. Die Schnitte an den Knochen stammen diesmal eindeutig vom Zerlegen der Tiere. Gegessen wurden erwachsene Tiere ab drei Jahren, meist aber über achtjährige Exemplare. Im Knochenmaterial proportional übervertreten sind Unterkiefer. Glänzende Stellen am Knochen und Abnutzungsspuren an den Zähnen, die nicht vom Bäume nagen herrühren, zeigen, dass man die Unterkiefer als Werkzeuge verwendete. Mit den ultraharten Zähnen konnte man z. B. Holz oder Knochen bearbeiten. Der Unterkieferknochen diente dabei als Werkzeuggriff.

Der Biberunterkiefer kann als Werkzeug genutzt werden.

Mini-Muscheln zum Abendbrot?

Uns interessiert, ob die Pfahlbauer*innen auch Muscheln und Krebse gegessen haben. Dazu haben wir in den Fachbüchern aber keine Angaben entdeckt. In Pfahlbaufundstellen sind Erbsenmuscheln (Pisidium) nachgewiesen, allerdings meist in sehr geringer Zahl. Ob es sich lohnt, die maximal 1 cm grossen Muscheln zu essen und ob sie überhaupt geniessbar sind, haben wir nicht herausgefunden.

Auch über Krebse schweigen sich die Bücher aus. Gab es Krebse im Neolithikum und der Bronzezeit? Dohlenkrebs, Steinkrebs und Edelkrebs gelten als einheimisch. In den Pfahlbauten finden sich aber keine Spuren davon. Erhalten sich diese Krustentiere im Boden nicht? Dem widerspricht, dass sich z. B. in den Pfahlbauten von Zürich-Opéra (CH) Mundwerkzeuge von Kleinkrebsen im Boden bewahrt haben.

Erbsenmuschel (Pisidium sp.). Strich = 0.5 cm. CC Boris Lobastov, bearbeitet

Für einmal wollen wir euch nicht dazu ermuntern, Rezepte mit den Lebensmitteln zu kreieren, die wir in diesem Blogbeitrag thematisieren. Nicht, dass dann plötzlich Biberbauten verwaisen und die letzten Sumpfschildkröten-Populationen im Suppentopf landen! Daher braucht es diesmal eine Extraportion Kreativität. Macht Kalbsleber zu Schildkrötenleber oder bereitet einen falschen Biberbraten aus Wildfleisch zu. Wir freuen uns auf eure Rezeptideen!

Portrait Katharina Schäppi

Archäofacts

Hüster Plogmann, H. (2004) Fischfang und Kleintierbeute. Ergebnisse der Untersuchung von Tierresten aus den Schlämmproben. In: S. Jacomet/U. Leuzinger/J. Schibler. Die jungsteinzeitliche Seeufersiedlung Arbon Bleiche 3. Umwelt und Wirtschaft (Frauenfeld) 253-276. Link

Becker, C./ Johansson, F. (1981) Die neolithischen Ufersiedlungen von Twann. Bd. 11: Tierknochenfunde. Zweiter Bericht. Mittleres und oberes Schichtpaket (MS und OS) der Cortaillod-Kultur, Bd. 11 (Bern). Link

Butler, V. L. / Schroeder, R. A. (1998) Do digestive processes leave diagnostic traces on fish bones. Journal of Archaeological Science 25, 1998, 957-971. Link

Links

Zum Schildkrötenschutz in der Schweiz

Allgemein zur Sumpfschildkröte und ihrem Schutz in der Schweiz und der EU

Zum Bibermanagement in Bayern

Pfahlbauers wilder Frühsommergarten

Die Menschen sind Jahrtausende lang jagend und sammelnd umhergezogen; irgendwann wurden sie sesshaft und ernährten sich fortan von dem, was auf den Äckern wuchs und auf der Weide graste – so haben wir das in der Schule gelernt. Hätten die Pfahlbauer*innen der Jungsteinzeit und Bronzezeit sich tatsächlich auf den Verzehr von Kulturpflanzen und Nutztieren beschränkt, wäre ihre Ernährungsweise ganz schön ungesund gewesen. Kohlehydratreiches Getreide, proteinhaltige Hülsenfrüchte, Lein- und Mohnsamen als Lieferanten von Ölen sowie Fleisch als Eiweisslieferant machen zwar satt, enthalten aber nur einen Teil der ebenso lebensnotwendigen Vitamine und Mineralstoffe. Wie kamen also die Menschen damals, als es noch keine Obst- und Gemüsegärten gab, zu einer ausgewogenen Ernährung?

Die Kulturpflanzen der Pfahlbauer*innen sind reich an Kohlehydraten und Mineralstoffen, aber arm an Vitaminen.

Den Salat pflückte man in der Wildnis

Die Pflanzenreste, die Archäolog*innen bei Ausgrabungen von Pfahlbausiedlungen finden, zeigen, dass die Natur für die Pfahlbauer*innen wie ein grosser wilder Garten war. In der Fundstelle Hornstaad-Hörnle hat man aus einer Kulturschicht des 39. Jhd. v. Chr. 214 Wildpflanzenarten nachgewiesen, von denen fast 80 % potentiell essbar sind. Eine ganze Reihe dieser Pflanzen enthalten überraschend viele wertvolle Inhaltsstoffe: Löwenzahnblätter z. B. sind reich an Vitamin A (sogar im Vergleich zu Möhren) und mit Brennnesselblättern kann man seinen Bedarf an Vitamin K decken, was wichtig ist für die Blutgerinnung im Fall einer Verletzung. Daher sind Wildpflanzen die perfekte Ergänzung zu den Kulturpflanzen. Die zahlreichen Pflanzenreste aus Ausgrabungen machen deutlich, dass die Pfahlbauer*innen diese Nahrungsquelle genutzt und Wildpflanzen gezielt gesammelt haben. Wildgemüse waren somit nicht nur eine gelegentliche Ergänzung des Speiseplans, sondern fester und notwendiger Bestandteil der Ernährung. So wissen wir, dass die Pfahlbauer*innen aus Hornstaad-Hörnle (D) regelrechte Samenvorräte von Weissem Gänsefuss (Chenopodium album), Rübkohl (Brassica campestris), Besenrauke (Descurainia sophia), Hirtentäschel (Capsella bursa-pastoris) und Leindotter (Camelina sativa) angelegt haben.

Die ganze Pflanze des Leindotters ist essbar. Genutzt wurden vor allem die ölhaltigen Samen.
Die Samen des Hirtentäschel sind frisch oder getrocknet geniessbar.

Jetzt explodiert das essbare Grünzeug

In den letzten Wochen hat es geregnet, und es ist wärmer geworden. Nun explodiert das Grün förmlich in der Landschaft. Wenn wir uns mit offenen Augen in der Natur bewegen, entdecken wir alles mögliche Grünzeug, das die Pfahlbauer*innen gegessen haben und das auch heute noch unseren Speiseplan auf ganz spannende Weise bereichern kann.

Eine häufig nachgewiesene Art, deren Blätter, Triebe oder Wurzeln man jetzt im Frühsommer ernten kann, ist z. B. die Wilde Möhre (Daucus carota). Wer die Wurzeln liebt, sollte sich beeilen, denn sie verholzen im Sommer. Aber Achtung: Diese Pflanze kann man leicht mit ähnlich aussehenden, aber giftigen Arten wie der Hundspetersilie (Aethusa cynapium) verwechseln. Schmackhafte Blattgemüse und Salate kann man auch aus den Blättern von Gemeinem Rainkohl (Lapsana communis) oder Rübkohl (Brassica rapa), Brennnesseln oder Taubnesseln zubereiten. Zum Würzen eignen sich die Blätter von Knoblauchrauke (Alliaria petiolata) oder Gewöhnlichem Dost (Origanum vulgare), sowie verschiedene Minzen, die in den Pfahlbaufundstellen alle sehr häufig nachgewiesen sind.

Dost (wilder Majoran) ist ein aromatisches Gewürzkraut.
Die Blätter des Rainkohls können von April bis Juni roh oder gekocht verwendet werden.

Auch Baumblätter sowie die jungen Triebe von Fichten und Weisstannen kann man jetzt im Frühling essen. Die Blätter der Rotbuche (Fagus sylvatica) schmecken zudem leicht säuerlich und machen sich daher in einem Blattsalat besonders gut. Tannenspitzen eignen sich eher als würzige Zutat wie in diesem feinen Rezept mit Lammkoteletts.

Süsse Blüten

Anstatt Zucker verwenden wir in vielen Rezepten Honig zum Süssen. Aber es gibt auch Teile von Wildpflanzen, die süsslich schmecken. Das Mädesüss (Filipendula ulmaria) trägt diese Eigenschaft schon im Namen, aber auch Holunderblüten sind süss, und beide schmecken hervorragend roh in Salaten oder in Teig ausgebacken. Ihr könnt aber auch Tee oder eine Tasse heisse Milch damit aromatisieren und selbst im Feierabendbier machen sich Mädesüssblüten gut.

Blüten des Mädesüss. © Frank Vincentz
Holunderblüten schmecken süsslich.

Vom Mädesüss sind zudem die ganz jungen Blätter, die Blütenknospen und selbst die Wurzeln, gekocht oder zu Mehl gemahlen, verwendbar. So eine vielseitig nutzbare Pflanze hat zu Recht verdient, dass sie in der Botanik namensgebend für eine Vegetationseinheit ist: Die Mädesüss-Hochstaudenflur (Filipendulion). Die hierfür typischen Pflanzen wachsen in feuchten Erlen-Eschen-Wäldern, an Bachrändern oder auf wenig gemähten Nasswiesen. Besonders im Frühsommer begeistern uns die Mädesüss-Hochstaudenfluren mit ihrer Blütenpracht. Hast du einen solchen Standort ausfindig gemacht, ist die Chance gross, dass du dort auch auf Brennnesseln, verschiedene Arten von Weiderichen, Kohldisteln, das Zottige Weidenröschen, den Gilbweiderich und den Grossen Wiesenknopf triffst, deren junge Triebe, Blätter oder Blüten ebenfalls essbar sind.

Im Mai blüht das Mädesüss noch nicht, doch auch die Blätter sind essbar.

Wenn die Natur neue Rezeptideen liefert

Uns macht es zurzeit riesig Spass, regelmässig hinauszugehen und zu sehen, was in der Natur Neues wächst oder blüht. Sobald wir es sicher bestimmt haben und klar ist, dass eine Pflanze weder giftig noch gesetzlich geschützt ist, probieren wir sie. Schmeckt sie uns, ist das manchmal der erste Schritt zu einer neuen Rezeptidee. Seid Ihr neugierig geworden und wollt auch wissen, wie unsere natürliche Umgebung schmeckt? Dann nichts wie los! Tipps für Apps, Webseiten und Bücher für die Bestimmung und Verwendung der Wildpflanzen findet ihr im Blog zur Artenliste.

Portrait Markus Gschwind
Portrait Renate Ebersbach
Archäofacts

U. Maier/R. Vogt (2001) Botanische und pedologische Untersuchungen zur Ufersiedlung Hornstaad-Hörnle I A. Siedlungsarchäologie im Alpenvorland VI (Stuttgart).

Gänsefuss: Der Mitläufer aus der Jungsteinzeit

Neophyten kennen alle: Invasive Pflanzen aus anderen (Welt-)Gegenden, die sich auf Kosten einheimischer Arten ausbreiten. Aber wisst ihr, was Archaeophyten sind? Das sind Pflanzen, die sich vor 1492 – der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus – durch direkten oder indirekten menschlichen Einfluss in einem neuen Gebiet ausbreiteten. Es sind sozusagen etablierte, eingebürgerte Neophyten. Der Weisse Gänsefuss (Chenopodium album) ist so ein Archaeophyt. Er gelangte in der Jungsteinzeit als Mitläufer der Kulturpflanzen nach Mitteleuropa und ist seither nicht mehr von hier wegzudenken.

Weisser Gänsefuss auf einem Gemüsefeld.
Gänsefuss zuhauf auf einer Brache.

Gänsefüsschen überall

Seinen Namen hat der Gänsefuss aufgrund seiner Blätter erhalten, die im Umriss an die Schwimmfüsse von Gänsen erinnern. Gänsefussgewächse lieben tiefgründige, fruchtbare Böden und gedeihen bevorzugt in Getreidefeldern bzw. auf Brachen. Eine einzelne Pflanze bildet bis zu 1,5 Millionen embryoartiger Samen, die rund einen Millimeter gross sind und schwarz glänzen. Und genau diese Samen haben die Archäolog*innen in mehr oder weniger allen jungsteinzeitlichen und bronzezeitlichen Pfahlbausiedlungen gefunden: in Getreidevorräten, in menschlichen Fäkalien oder einfach nur zu Hunderten in den Kulturschichten.

Samen des Baumspinates (Chenopodium giganteum) haben grosse Ähnlichkeit mit jenen des Gänsefusses (Chenopodium album). In Pfahlbaufundstellen kommen Gänsefusssamen so oft vor, dass sie meist nicht abgebildet werden.

Unkraut oder Urkraut?

Die Anhäufungen und das Vorkommen in Kot verraten uns, dass die Pfahlbauer*innen die Samen des Weissen Gänsefusses sammelten, bevorrateten und assen. Die Funde sprechen hier eine deutliche Sprache, und doch hatten Forscher*innen immer wieder ihre Zweifel, ob man dieses uns heute lästige Unkraut tatsächlich regelmässig gegessen hat. Aus historischer Zeit ist bekannt, dass die Samen des Weissen Gänsefusses in Notzeiten als Mehlersatz dienten und daraus sogenannte «Hungerbrote» hergestellt wurden. Sind also die Samenfunde in den Pfahlbauten Hinweise auf Missernten und Hungersnöte? Oder erlitt der Gänsefuss dasselbe Schicksal wie die Ackererbse, die Saubohne und die Hirse? Wurde, was einst Bestandteil der alltäglichen Ernährung war, mit dem vielfältigeren Lebensmittelangebot nach Kolumbus überflüssig oder zu Viehfutter degradiert? Galten die unreifen Samen mit ihrem Erbsengeschmack bei den Pfahlbauer*innen als Delikatesse oder ass man sie schlicht und einfach, weil sie satt machten? Darüber geben die kleinen Samen leider keine Auskunft.

Zusätzlich zu den Samen kann man auch die Blätter essen  – und zwar wie Spinat. Sie haben einen nussigen, leicht kohlartigen Geschmack. Man konnte sie vom Frühsommer bis zum ersten Frost einfach beim Nachhausegehen vom Feldrand oder der Brache mitnehmen. 

Sommersalat mit Weissem Gänsefuss.

Gab es schon Steinzeit-Nierensteine?

Der Weisse Gänsefuss enthält Oxalsäure (wie Rhabarber) und giftige Saponine (wie Hülsenfrüchte). Die schaumbildenden Saponine kann man nützen: Zerstossene frische Wurzeln kann man als Seife verwenden. Der Verzehr grösserer Mengen an rohen Blättern empfiehlt sich aber nicht. Immerhin zerfallen die Saponine beim Erhitzen, so dass eine Verwendung wie Spinat absolut unbedenklich ist. Die Oxalsäure ist hartnäckiger: Die Samen muss man rösten, länger eingeweichen oder kochen und abspülen. Ein länger dauernder Überkonsum kann zur Entkalkung der Knochen und zu Nierensteinen führen. Um es so weit kommen zu lassen, muss wohl tatsächlich eine Hungersnot herrschen.

Popeyes Vorfahren

Wer jetzt keine Lust mehr hat, den Weissen Gänsefuss zu kosten, sollte nicht gleich auch dessen Verwandtschaft und Nachkommen von seinem Speiseplan streichen: In Pfahlbaufundstellen sind neben dem Weissen Gänsefuss auch noch weitere Gänsefüsse nachgewiesen. Ob diese «Unkräuter» absichtlich oder unabsichtlich mit den ersten Bauersfamilien nach Europa kamen, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Sie wie auch Gänsefussgewächse aus anderen Weltgegenden waren die Grundlage für eine ganze Palette heute wichtiger Gemüse wie Spinat, Mangold und Randen (Rote Bete), sowie die weniger bekannten Blattgemüse Baumspinat, Gartenmelde und Guter Heinrich.

Dichter Bestand des Baumspinates (Chenopodium giganteum).

Gänsefuss vom Frühling bis in den Herbst

Noch sind die Millionen von Samen des Weissen Gänsefusses nicht reif für die Ernte. Aber dessen Blätter sind im Frühling besonders mild im Geschmack. Du findest die Pflanzen mit etwas Glück in einem nicht mit Unkrautvertilgern behandelten Feld, auf Brachen oder an grünen Ackerrändern. Wenn du nicht fündig wirst, kannst du auch Spinat, Gartenmelde oder Guten Heinrich verwenden. Später im Jahr kannst du die Blütenstände all dieser Pflanzen wie Broccoli zubereiten. Und im Spätsommer endlich können wir uns an die Zubereitung eines «Hungerbrotes» aus den Samen von Weissem Gänsefuss wagen.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

Vielen Dank an Stefanie Jacomet für die archäobotanischen Informationen zu diesem Blog.

Nur für euch: Unsere nie vorher veröffentlichen Artenlisten

Nimm beim Sonntags-Ausflug zur nächsten Grillstelle oder beim Gassi-Gehen mit dem Hund ab sofort nicht nur die Klöpfer/Grillwürste oder die Robidog-Säckli mit, sondern auch noch ein Taschenmesser und ein paar saubere Tüten. Die brauchst du für die Ausbeute deines Sammel-Streifzuges.

Auf unserer Seite findest du nicht nur jeden Monat neue Challenge-Zutaten und einen Blick in den Warenkorb der Pfahlbauer*innen, sondern ab sofort das echte Wissen von unseren Expert*innen: die (fast) vollständigen Artenlisten für alle bisher in den Pfahlbauten nachgewiesenen Tier– und Pflanzenarten. Diese Listen haben wir extra für euch zusammengestellt; das hat bisher noch niemand so gesehen oder gar gedruckt! Beachtet bitte deshalb das Copyright.

Tafel aus dem legendären Werk Oswald Heers über die „Pflanzen der Pfahlbauten“ aus dem Jahr 1866.

Über 100 Tierarten und über 350 Pflanzenarten wurden genutzt

Die „Artenliste Tiere“ enthält eine Übersicht über alle nachgewiesenen Tierarten aus den Feuchtbodensiedlungen im Raum Zürich und im Schweizer Mittelland. Sie ist nicht ganz vollständig, und es gibt sicher noch einige weitere Arten von Fischen, Vögeln, Schnecken und Muscheln, die in den Feuchtbodensiedlungen landeten. Trotzdem enthält sie schon über 100 Arten.

Schlachtabfälle aus der Pfahlbaufundstelle Hüttwilen (CH). © AATG

Die „Artenliste Pflanzen“ beruht auf Datenbanken, die unsere Runde aus Expert*innen uns zur Verfügung gestellt hat. Generationen von Archäobotaniker*innen haben in den Laboren von Basel und Hemmenhofen Millionen von Samen, Früchten und Nüssen aus Pfahlbauten bestimmt. Allein die Basler Datenbank enthält fast 6 Millionen bestimmte Reste. Und da sind die Pollenanalysen noch nicht berücksichtigt.

Giftige Pflanzen haben wir gelöscht

Wir haben die Pflanzenliste ein bisschen „geputzt“, um sie übersichtlicher und ungefährlich zu machen: Alle Arten, die nur mit einem Rest oder nur in einer einzigen Fundstelle vorkommen, haben wir gelöscht. Bei solchen extrem seltenen Nennungen können wir nicht ausschliessen, dass es sich um eine Fehlbestimmung, eine Verwechslung (z. B. mit einer jüngeren Kulturschicht) oder eine moderne Störung handelt. Gelöscht haben wir auch reine Wasserpflanzen wie Nixenkraut, Laichkraut, Armleuchteralgen usw., die durch den See in die Siedlungsschichten gelangt sein könnten, sowie giftige Pflanzen. Giftige Pflanzen sind in den Fundstellen aber regelmässig nachgewiesen, z.B. Efeu (Hedera helix), Stechpalme (llex aquifolium), Nachtschatten (2 Arten) oder Eiben (Taxus baccata), aus denen Bögen hergestellt wurden. Seggen, Binsen und Moose haben wir in der Liste gelassen – es könnte sein, dass die Pfahlbauer*innen sie als Einstreu, Bodenbelag, Isolation, Verpackungsmaterial oder Klopapier benutzt haben. Auch nach dem Vereinfachen der Liste finden sich immer noch 366 Arten von fast 90 Fundstellen vom Neuenburgersee bis nach Oberschwaben darauf.

Samenkorn der Kretischen Flachsnelke (Caryophyllaceae Silene cretica). Strich = 1 mm. © LAD, bearbeitet
Die Kretische Flachsnelke ist nicht essbar. © JACQ

Systematisch unterrepräsentiert oder auch mal ganz fehlend sind Arten, von denen vor allem Blätter, Stängel oder Wurzeln verzehrt wurden, da dann keine bestimmbaren Samen oder Früchte übrigbleiben. Dies betrifft vermutlich auch häufige Gemüse- und Salatpflanzen wie Bärlauch, Löwenzahn, Sauerampfer oder Thymian. Hier müsste die Liste durch die besonders häufigen Pollennachweise aus Siedlungen ergänzt werden, was in Einzelfällen gemacht wurde. Dann steht in der Spalte Häufigkeit ein P, bzw. PP, wenn die Art in Form von Blütenstaub sehr häufig belegt ist.

Samen des Löwenzahns (Asteraceae Taraxacum). Strich = 1 mm. © LAD, U. Maier, bearbeitet
Samenstand des Wiesen-Löwenzahns.

Die häufigsten Arten auf einen Blick

Obwohl die meisten der gesammelten, gejagten und gefischten Arten irgendwie essbar wären, waren kaum alle Arten Nahrungsmittel für den Menschen. Tier- und Pflanzenreste gelangten auch für viele andere Zwecke in die Siedlung, z. B. als Schmuck (Federn), für Kleidung (Pelz, Bast, Fasern), als Baumaterial oder Viehfutter – oder auch mal unbeabsichtigt, z. B. Kletten.

Um dir den Einstieg zu erleichtern und erst mal mit dem anzufangen, was Pfahlbauers besonders oft in der Suppe oder auf dem Teller hatten, gibt es eine Sortierung nach Häufigkeiten. Das häufigste Jagdwild ist der Hirsch. Die häufigsten Sammelpflanzen sind Rübkohl, Rainkohl, Gänsefuß, Haselnüsse, Erd-, Him- und Brombeeren, Johanniskraut, Wildäpfel, Physalis, Wegeriche, Sauerampfer, Hahnenfuß, Vogelmiere, Brennnesseln und Eisenkraut. Sehr häufige Arten (Kategorie „5“) sind in den Datenbanken mit über 100´000 bestimmbaren Resten oder in über drei Vierteln aller untersuchten Fundstellen vertreten. Die zweithäufigste Kategorie „4“ ist immer noch in jeder zweiten Fundstelle oder mit mindestens 50´000 Resten belegt.

Für die meisten von uns reicht es aber vollkommen aus, einen Löwenzahn zu erkennen und zu wissen, dass man alle Wegeriche essen kann, egal ob es ein spitzer, mittlerer oder breiter ist. Natürlich kannst du dir auch den Spass machen, besonders seltene und exotisch klingende Pflanzen zu suchen, z. B. die Echte Nelkenwurz (Geum urbanum), deren Wurzel man als Nelken-Ersatz verwenden kann oder den Ästigen Igelkolben (Sparganium erectum), dessen Stengelbasis im Frühling als Gemüse gedünstet werden kann.

Samen des Wilden Hopfens (Moraceae Humulus lupulus), Roten Hartriegels (Cornus sanguine) und der Wilden Malve (Malva sylvestris) aus der Pfahlbaufundstelle Sipplingen (D). Diese Pflanzen sind essbar. Strich = 1 mm. © LAD, U. Maier, bearbeitet

Sammle nur Pflanzen, die du eindeutig bestimmen kannst. Berücksichtige Betretungs- und Naturschutzregeln sowie geschützte Arten und gehe respektvoll mit der Natur um. Du bist selbst dafür verantwortlich, was du mit nach Hause bringst und isst. Es gibt gute Bestimmungsbücher und Apps für essbare Wildkräuter.

Und jetzt auf ins Feld und in den Wald!

Portrait Renate Ebersbach
Bestimmungs-Apps
  • PlantNet
  • Flora Incognita
  • Flora Helvetica
Webseiten zur Pflanzenbestimmung

Bücher zur Bestimmung und Verwendung von Wildpflanzen
  • Beiser, R. (2018) Unsere essbaren Wildpflanzen. Bestimmen, sammeln, zubereiten.
  • Fleischhauer, S. G. (2003) Enzyklopädie der essbaren Wildpflanzen. 1500 Pflanzen Mitteleuropas mit 400 Farbfotos.
  • Fitter, R./Fitter, A./Blamey, M. (2000 3. Aufl.) Pareys Blumenbuch. Blütenpflanzen Deutschlands und Nordwesteuropas.
  • Hansch, S./Schwarzer, E. (2019) Der Giersch muss weg! 28 Unkräuter bekämpfen oder einfach aufessen.
  • Hecker, K./Hecker, F. (2020) Kann ich das essen – oder bringt mich das um? Essbare und giftige Wildpflanzen erkennen.
  • Höller, A./Grappendorfer, D. (2019) Essbare Wildsamen. Finden, sammeln, vielseitig geniessen.
  • Machatschek, M. Nahrhafte Landschaft 1-4.
  • Spohn, M./Aichele, D./Golte-Bechtle, M./Spohn, R. (2021 überarbeitet) Was blüht denn da? Sicher nach Farbe bestimmen.

Kulturpflanzen: Ein grosser Schritt für die Menschheit

Den grössten Teil seiner Entwicklungsgeschichte ernährte sich der Mensch von dem, was die Natur bot. Er jagte und sammelte. Dann kam die neolithische «Revolution» – ein Prozess, der mindestens 2000 Jahre dauerte. Ihren Ursprung hatte sie in einem Gebiet im Vorderen Orient, das man «Fruchtbarer Halbmond» nennt. Von dort gelangten die ersten Kulturpflanzen um 5500 v. Chr. auf verschiedenen Wegen nach Mitteleuropa: Getreide, Ölpflanzen und Hülsenfrüchte. Pflanzen, die nun sesshafte Bauern und Bäuerinnen aussäten, hegten, pflegten und ernteten. Doch was unterscheidet eigentlich Wild- von Kulturpflanzen?

Die Wilden versamen sich selbst

Die Evolution hat im Lauf von Jahrmillionen eine unglaubliche Vielfalt an Pflanzen hervorgebracht. Um ihren Fortbestand zu sichern, haben diese Pflanzen unterschiedliche Wege gefunden: Sie lassen sich von Tieren fressen (Vogelbeere), haften sich an deren Fell (Kletten), lassen sich vom Wind forttragen (Löwenzahn), werden zu Flugobjekten (Ahorn), bilden Ableger (Erdbeeren) oder lassen Samen zu Boden fallen. Allen frühen Kulturpflanzen gemein ist, dass diese sich in ihrer wilden Form selbst versamten. Die reifen Samen von Süssgräsern, wildem Mohn, wildem Lein und wilden Hülsenfrüchten fallen zu Boden und keimen im nächsten Jahr wieder aus. Diese Wildformen kommen alle im «Fruchtbaren Halbmond» vor: Das Gebiet in Form einer Mondsichel erstreckt sich vom Persischen Golf mit dem heutigen Irak über Südostanatolien, den Norden von Syrien, den Libanon, Israel, Palästina nach Jordanien. Die nomadisch lebenden Sammler*innen brauchten hier nur jedes Jahr zur rechten Zeit am rechten Ort vorbeizustreifen, um die reifen Samen essbarer Pflanzen abzulesen. Es gab damals vor allem von Wildgetreide grosse Bestände, da das Klima feuchter als heute war. Kamen sie zu spät, hatten die Ähren, Kapseln und Hülsen ihre Saat bereits gestreut – die Menschen gingen leer aus.

Reife, trockene Erbsenhülsen und herausgeschleuderte Samen. © Muséum de Toulouse, Roger Culos, bearbeitet

Selbstaussaat unerwünscht

Was dann geschah, ist schwierig im Detail nachzuvollziehen und doch eine riesige Errungenschaft der Menschheit: Man begann, gezielt Samen auszusäen. Vielleicht jene, die noch in den Fruchtständen hingen und nicht zu Boden gefallen waren. Dies als Folgen von natürlichen Mutationen, die ein Zerfallen der Ähren oder ein Aufspringen der Samenkapseln verhindert hatten und die sich die Menschen nun zu Nutze machten. Durch fortwährende Auslese jener Samen, die am längsten in den Ähren, Hülsen und Kapseln verweilten, entwickelten sich die Kulturformen. Die Selbstaussaat der Wildpflanzen wurde also durch Auslese weggezüchtet.

Die reifen Körner der Wilden Gerste fallen aus der Ähre und versamen sich selbst. © Robert Spengler, Max Planck Society, bearbeitet

Fertig mit dem Winterschlaf für Pflanzen

Ein zweites Merkmal unterscheidet Kultur- von Wildpflanzen: Sie machen keine Keimruhe mehr. Ein im Sommer reif werdender wilder Linsensamen, der sich selbst aussät, keimt erst im nächsten Frühling. Würde er sofort zu wachsen beginnen, wäre es im Winter um ihn geschehen. Samen der Wildpflanzen verfügen deshalb über einen eingebauten Keimschutz. Zum einen haben sie eine harte Samenhülle, die den Keimling im Innern während Monaten vor Nässe schützt. Zum andern wird die Keimung erst durch einen Temperaturreiz (Kälte oder Hitze) ausgelöst. Diese sogenannte «Dormanz» züchteten die Bewohner*innen des «Fruchtbaren Halbmondes» den Wildpflanzen ebenfalls weg. Nun lag es an ihnen, die Samen zum rechten Zeitpunkt in die Erde zu legen. Durch die allmählich dünner werdende Samenhülle quollen sie sofort auf und begannen zu spriessen. Die Kulturpflanze war geboren. Fortan waren diese Pflanzen vom Menschen abhängig und der Mensch von ihnen.

Ernte von reifen Leinsamenkapseln, um sie im nächsten Frühjahr auszusäen. © K. Schäppi

Nichts Neues im Westen

Warum aber haben alle von den Pfahlbauer*innen angebauten Nutzpflanzen ihren Ursprung im «Fruchtbaren Halbmond»? Wieso haben nicht auch hiesige Jäger*innen und Sammler*innen einheimische Wildpflanzen zu ihren Gunsten kultiviert? In unserem damals weitgehend bewaldeten Gebiet gab es nur wenige einjährige Pflanzen, die sich selbst befruchten. Alle frühen Kulturpflanzen aus dem «Fruchtbaren Halbmond» sind von Natur aus Selbstbefruchter, was ihre Züchtung und Vermehrung deutlich vereinfachte. Die Fortpflanzung über nur ein Elternteil ermöglicht es einer einzelnen Pflanze, sich zu vermehren und – durch die Menschen gesteuert – ausserhalb des natürlichen Verbreitungsgebietes weiterzubestehen. Ausserdem geben Selbstbefruchter spontane Mutationen ihres Erbgutes unverändert an die kommenden Generationen weiter, was die künstliche Selektion von Pflanzen auf bestimmte Eigenschaften erst ermöglicht.

So hielten also Kulturpflanzen aus dem Nahen Osten Einzug auf hiesigen Äckern, während die heimische Flora wild blieb. Sicher war es bereits eine grosse Herausforderung, die Ankömmlinge aus einer anderen Klimazone in unseren kühleren Gefilden anzubauen. Die Kichererbse, von der es im Vorderen Orient und im Mittelmeerraum seit der Jungsteinzeit ebenfalls eine Kulturform gab, hat es nicht bis zu uns geschafft. Unsere Vegetationsperiode ist zu kurz, um die Samen bis zur Reife zu bringen. Die ersten in Mitteleuropa angebauten Kulturpflanzen Emmer, Einkorn, Weizen, Gerste, Lein, Mohn und auch Erbse hingegen ertragen Kälte, sogar Frost, können daher früh ausgesät werden und nutzen die langen Sommertage zur Reife. Die später in der Bronzezeit hinzugekommenen Linsen und die Hirse hingegen, sind bereits etwas heikler im Anbau. Sie sind frostempfindlich und brauchen mehr Pflege im Jungstadium, dafür punkten sie mit einer kürzeren Wuchszeit von der Aussaat bis zur Ernte.

Linsenpflanzen sind frostempfindlich und dürfen erst nach den Eisheiligen ausgesät werden. © K. Schäppi

Selektion fördert die Vielfalt

Nach dem Schritt von der Wild- zur Kulturpflanze prägten Bäuerinnen und Bauern ihre Schützlinge weiter. Durch eine fortwährende Selektion, d. h. Auslese bestimmter Eigenschaften, haben sie die verschiedenen Sorten weiterentwickelt. Bitterstoffe haben sie zum Beispiel weggezüchtet, und aus Wegwarte und Lattich entstanden Salate. Kleine Samen wurden immer grösser, wie bei den Ackerbohnen (schau dir unseren Blogbeitrag zu den Hülsenfrüchten an), die Anzahl Körner pro Getreideähre nahm stetig zu, und der Flachs wurde auf lange, unverzweigte Stängel hin selektiert, damit man daraus Fasern gewinnen konnte. Über die Jahrhunderte und Jahrtausende entwickelte sich eine Vielfalt an Formen, Farben, Geschmack, Lager- und Kocheigenschaften, die angepasst waren an das örtliche Klima und die jeweiligen Ernährungsgewohnheiten der Menschen. Dies ist eine grossartige Errungenschaft der Menschheit, die aber zunehmend gefährdet ist. Heute haben wir andere Ansprüche an unsere Lebensmittel: Maschinen sollen sie ernten und verarbeiten können, sie sollen einheitlich in Form und Grösse sein, gut zu transportieren und im Gemüseregal lange attraktiv aussehen. Der Geschmack steht dabei hinten an und auch die Vielfalt springt über die Klippe. Gegensteuer geben Organisationen wie ProSpecieRara oder Arche Noah, die sich um die Erhaltung und Vermehrung von alten Kulturpflanzen kümmern und sie Gärtner*innen, Landwirt*innen und Konsument*innen wieder zugänglich machen. Dank diesem Engagement bleibt ein wichtiges Stück Kulturgeschichte mit seiner grossen Farben-, Formen- und Geschmacksvielfalt bewahrt. Beim Kochen und der Rezeptkreation für PalaFitFood können wir auf solche urtümlicheren Sorten zurückgreifen und bekommen dadurch eine bessere Vorstellung davon, wie die Urgeschichte schmeckte.

Kapuzengerste, ProSpecieRara-Sorte. © K. Schäppi
Ziermohn Schaffhausen, ProSpecieRara-Sorte. © K. Schäppi

Der Preis für den Fortschritt

Die Kulturpflanzen waren ein grosser Schritt für die Menschheit. Sie garantierten regelmässige Ernten, ermöglichten es, grössere Vorräte für den Winter anzulegen und sicherten damit die Ernährung. Dies führte zu einem stetigen Bevölkerungswachstum ab der Einführung des Ackerbaus. Doch auch dieser Fortschritt hatte zwei Seiten. Die Bauern und Bäuerinnen waren ortsgebunden und abhängig vom Wetter. Ihr Speiseplan war eintöniger als jener der Sammler*innen. Über die negativen Folgeerscheinungen der neolithischen Revolution und der Sesshaftigkeit berichten wir in einem späteren Blogbeitrag.

Im Mai kochen und backen wir mit Kultur- und Wildpflanzen. Wir vereinen beides auf einem Teller zu leckeren Gerichten. Mach auch du mit bei unserer Mai-Challenge und verwende mindestens eine Kulturpflanze und eine Wildpflanze aus den Challenge-Zutaten.

Vielen Dank an Stefanie Jacomet für die fachlichen Inputs, Ergänzungen und Korrekturen.

Portrait Katharina Schäppi

Archäofacts

Skript zu einer Vorlesung am IPNA, Uni Basel, zur «Domestikation» von Tieren und Pflanzen von Stefanie Jacomet, F. Antolín und B. Stopp.

Organisationen, die sich für die Erhaltung von traditionellen Nutzpflanzen einsetzen

ProSpecieRara

Arche Noah

Civiltà contadina

Uraltes Superfood für Mensch und Tier

Bei Veganern und Vegetarierinnen sind Linsen und Co. hochgeschätzt und erleben gerade einen Boom. Hülsenfrüchte sind bekannt als Eiweissquelle, galten lange Zeit jedoch als Viehfutter und Armeleuteessen. Wie war das bei den Pfahlbauer*innen? In den jungsteinzeitlichen Pfahlbaufundstellen spielte nur die Erbse eine Rolle in der Ernährung. Während der Bronzezeit ergänzten Linse und Ackerbohne den Speiseplan. Wie sahen die Hülsenfrüchte damals aus, welche Kocheigenschaften hatten sie und wie schmeckten sie? Diese Fragen können Archäobotaniker*innen nur zum Teil beantworten. Neue Funde und DNA-Analysen an verkohlten Samen bringen jedoch Licht ins Dunkel.

Hülsenfrüchte. Von unten im Uhrzeigersinn: Ackerbohne, Ackererbse, braune, schwarze und grüne Linsen.

Im Innern steckt die Energie

Wie der Name der Pflanzen aus der Familie der Leguminosen sagt, umschliesst eine Hülse die Früchte oder Samen. Letzteren gilt das Interesse, die Hülsen können wir im Folgenden ignorieren. Grüne Bohnen oder Kefen (Zuckerschoten) sind ein junges Gemüse. Die «Verpackung» der Früchte ass man vor der Einführung der aus Amerika stammenden Gartenbohne im 17. Jahrhundert nicht. Den höchsten Eiweissgehalt weisen denn auch die getrockneten Samen auf. In sie stecken die Leguminosen ihre ganze Energie, schliesslich geht es um den Fortbestand. Die Schmetterlingsblütler kriegen den Kraftakt hin dank ihrer Fähigkeit, Stickstoff aus der Luft zu binden und diesen in Knöllchen an den Wurzeln zu speichern. Der Mensch profitiert nun gleich doppelt: indem er die Hülsenfrüchte isst und der Boden nach dem Anbau von Linse, Erbse oder Bohne bereits gedüngt ist für die Folgekultur.

Pflege junger Linsenpflanzen. © K. Schäppi

Erbse – nicht grün, rund und süss

Am Anfang war die Erbse. Sie gehört zum neolithischen Lebensmittelpaket, gemeinsam mit den Getreidearten Weizen, Emmer und Einkorn sowie den Ölfrüchten Lein und Mohn. Um 5500 v. Chr. erreichten diese Kulturpflanzen zusammen mit der sesshaften Lebensweise Mitteleuropa (siehe den Blog dazu). Wer jetzt an knackig-süsse, knallgrüne Zuckererbsen denkt, liegt falsch. Die wurden bei uns erst im 19. Jahrhundert populär. Unter Erbse verstanden die Pfahlbauer*innen wahrscheinlich leicht ovale, gescheckte Trockenerbsen. Vermutlich, denn welche Erbsenvarietäten damals angebaut wurden, ist noch nicht genau erforscht. Zwar finden Archäolog*innen in Pfahlbaufundstellen immer wieder zumeist verkohlte Erbsen oder Reste von Hülsen, aber Genaueres zum ursprünglichen Aussehen der Früchte und der Pflanzen ist nicht bekannt. Oder noch nicht, denn Untersuchungen sind am Laufen, wenn auch nicht in unserem Gebiet.

Hülsenfragmente von Erbsen (Pisum sativum) von der Pfahlbaufundstelle Zürich-Opéra (CH), unten gut erhalten, oben weniger gut erhalten, Strich = 1mm. © IPNA, Basel, bearbeitet

Eine Gruppe von Forscher*innen analysierte die DNA von rund 3000 Jahre alten verkohlten Erbsen aus einer serbischen Fundstelle und fand heraus, dass die Pflanzen zweifarbige Blüten hatten und die Samen braun gescheckt waren. Sie ähneln damit der heutigen Varietät der Ackererbsen (pisum sativum subsp. Sativum var. arvense [L.]). Im Internet werden Ackererbsen lapidar als Kraftfutter für Rindvieh und Geflügel bezeichnet und unter dem Namen «Futtererbse» gehandelt. Hier gilt offenbar: Was heute nur noch Tiere fressen, war früher ein Grundnahrungsmittel der Menschen. Um dem Geschmack der Pfahlbauer-Erbsen nahe zu kommen, kannst du also Tierfutter kaufen. Wir schlagen als Alternative jedoch die Verwendung von Palerbsen vor, auch Rollerbsen oder Erbsensuppen-Erbsen genannt.

Verkohlte Erbse (pisum sativum), Strich = 1 mm.
© LAD, bearbeitet
Erbsensuppen-Erbse, Pro Specie Rara-Sorte „Trockenerbse Basel“. © K. Schäppi

Für Sauen, Pferde und Vieh

Ackerbohnen erlitten das gleiche Schicksal wie die Ackererbsen. Sie wurden zu Tierfutter degradiert, obschon da und dort die frischen Samen mittlerweile wieder als Delikatesse gelten. Die Ackerbohne (Vicia faba) trägt viele Namen. Die meisten sind nicht sehr schmeichelhaft: Saubohne, Pferdebohne, Viehbohne, Dicke Bohne, Feldbohne, Puffbohne, Fababohne. Auch hier ist die Benennung Programm und sagt viel über die Verwendung der Saubohne zur Tierfütterung in jüngerer Zeit aus. In einigen ländlichen Gegenden, z. B. im italienischen Apulien, kochte man zwar weiterhin traditionelle Gerichte wie «fave e cicoria», ein Bohnenmus mit Zichoriengemüse, aber dieses galt als Armeleuteessen. Schade eigentlich, denn die Bohnen überraschen mit ihrem Schmelz und einem angenehm zurückhaltenden Eigengeschmack. Dies und auch die guten Nährwerte wussten bereits die Bronzezeitler*innen zu schätzen. Einmal in Mitteleuropa eingeführt, nahm innerhalb der Bronzezeit (2200 bis 800 v. Chr.) ihre Bedeutung für die Ernährung stetig zu, was sich in steigenden Samenfunden aus der Früh-, zur Mittel- und zur Spätbronzezeit zeigt. Die heutige Bezeichnung «Dicke Bohne» ist jedoch irreführend und trifft auf die damaligen Samen nicht zu. Diese waren mit 4 bis 10 mm deutlich kleiner als die Wonneproppen, die im flaumigen Innern von frischen Ackerbohnen-Hülsen heutiger Sorten heranreifen.

Wer sich nun an die Neuentdeckung der schmackhaften Ur-Bohne machen möchte, ist erstmal vor die Herausforderung gestellt, solche aufzutreiben. Von Juni bis Ende August findet man sie ab und an auf dem Markt. Getrocknete Samen sind aber wirklich schwer aufzutreiben. Frag mal im italienischen Feinkostladen oder schau dich im nächsten Italienurlaub nach «Fave» um, die es getrocknet oder im Einmachglas als Püree oder ganze Bohnen gibt. Oder du kaufst biologisches Saatgut, das in der Schweiz unter der Bezeichnung «Dicke Bohne» gehandelt wird, isst einen Teil und steckst im zeitigen Frühjahr ein paar Samen in die Erde, um bald eigene Pferdebohnen ernten zu können. Die Blüten sind hübsch anzuschauen, nur die Läuse sind eine echte Plage. Sowohl bei den frischen, als auch bei den getrockneten und vor der Verwendung eingeweichten Saubohnen, solltest du die schwer verdauliche Haut abziehen. Wer diese Mühe auf sich nimmt, wird belohnt mit einer bekömmlichen, sättigenden und wohlschmeckenden Speise.

Verkohlte Ackerbohnen (vicia faba).
© LAD, bearbeitet
Junge Ackerbohnen in der Hülse. © K. Schäppi

Linse brauchte einen zweiten Anlauf

Die Linse kam in zwei Wellen nach Mitteleuropa. Die ältesten Funde stammen aus dem Beginn der Jungsteinzeit. Die Linse hat damals aber aus unbekannten Gründen nicht Fuss gefasst und ist in jungsteinzeitlichen Pfahlbaufundstellen praktisch nicht nachweisbar. Erst mit der zweiten Welle in der Bronzezeit ist sie erneut gekommen, um zu bleiben. Haben die Jungsteinzeitler*innen die Mühen des Linsenanbaus gescheut, und haben erst die Menschen der Bronzezeit die Vorteile der tellerförmigen Hülsenfrüchte erkannt? Linsen sind zarte Pflanzen, sie sind kälteempfindlich, können sich gegenüber anderen Pflanzen schlecht durchsetzen und brauchen Stütze. Grazil sind auch die Blüten der Linse. Daraus entwickeln sich die kurzen Hülsen mit je zwei Samen. Die Krux ist, dass die Samen einer Pflanze nicht gleichzeitig abreifen. Wer zu lange wartet, riskiert, dass die trockenen Hülsen in der Sommersonne aufspringen. Wer also einen gewissen Verlust nicht einkalkulieren möchte, muss immer wieder tief gebückt in mühsamer Handarbeit die reifen Hülsen abernten.

Heutzutage gibt es eine ganze Palette an Linsensorten, die sich in Form und Farbe unterscheiden: Tellerlinsen, Berglinsen, Puylinsen, Belugalinsen, Berrylinsen usw. Sie sind durch Züchtung in verschiedenen Gegenden entstandene Lokalsorten. Wie die Linsen der Bronzezeit ausgesehen haben, wissen wir nicht. Braun, grün, schwarz oder gescheckt? Die zumeist verkohlt erhaltenen Samen lassen keine Schlüsse zu. Gewiss ist jedoch, dass die Pfahlbauer*innen die orangen und gelben Linsen nicht kannten. Jene Sorten also, die ohne Einweichen rasch gar sind. Hier, wie auch bei den Ur-Erbsen und den Ur-Bohnen, galt für die Pfahlbauköche: Einweichen und lange kochen.

Verkohlte Linse (lens culinaris), Strich = 1 mm.
© LAD, bearbeitet
Linse mit Blüten und jungen Hülsen, Pro Specie Rara-Sorte „Lenka“. © K. Schäppi

Hinter einem Teller Erbsensuppe oder einem Linseneintopf steckt also eine ganze Menge Geschichte der Kulturpflanzen und eine ganze Menge Aufwand beim Anbau und der Zubereitung. Vielleicht denkst du daran, wenn du das nächste Mal Hülsenfrüchte zubereitest. Wir hoffen natürlich, dass dich die Hülsenfrüchte-Neugier gepackt hat, du dich an Rezepte mit Saubohnen und Co. wagst und an unserer April-Challenge teilnimmst.

Vielen Dank an Stefanie Jacomet für die fachlichen Inputs zu diesem Blogbeitrag.

Portrait Katharina Schäppi

Archäofacts

A. Heistinger/Arche Noah/Pro Specie Rara (Hrsg.) (2004) Handbuch Samengärtnerei. Sorten erhalten, Vielfalt vermehren, Gemüse geniessen.

U. Körber-Grohne (1994) Nutzpflanzen in Deutschland. Kulturgeschichte und Biologie.

P. Smýkal/Ž. Jovanović/N. Stanisavljević, et al. (2014) A comparative study of ancient DNA isolated from charred pea (Pisum sativum L.) seeds from an Early Iron Age settlement in southeast Serbia: inference for pea domestication. Genetic Resources and Crop Evolution 61, 1533–1544. DOI: 10.1007/s10722-014-0128-z

Bronzemesser – innovatives Rüstzeug

In puncto Schärfe ist eine frisch geschlagene Feuersteinklinge (Silex) kaum zu übertreffen. Doch die ab 2200 v. Chr. neu eingeführte Bronze läuft dem Stein den Rang ab. Sie lässt sich in fast jede beliebige Form bringen, kann x-mal geschärft werden, ist recycelbar und sieht mit ihrer rotgolden glänzenden Oberfläche erst noch schön aus.

Als Steine aus der Mode kamen

Unglaubliche 2,5 Millionen Jahre lang dienten Steine dem Menschen als Werkzeug. Er hat es weit gebracht damit, wurde vom Urmenschen zum Homo sapiens, jagte Tiere und zerlegte sie, machte damit Feuer, stellte mit Steinen Werkzeuge aus Holz, Knochen und Geweih her und schuf Kunstgegenstände. Mit Steinäxten fällten die Jungsteinzeitler*innen Bäume und bauten Häuser, mit Sicheln aus Silex ernteten sie Getreide. Und dann entdeckte der Mensch, dass man aus bestimmten Steinen einen neuen Rohstoff gewinnen kann: Kupfer. Wie so vieles kam auch diese Innovation aus dem Osten und gelangte in der Jungsteinzeit, im 4. Jahrtausend v. Chr., in die Pfahlbausiedlungen. Der nächste Innovationsschritt folgte 2000 Jahre später mit der Erfindung der Bronze. Die Legierung aus Kupfer und Zinn ist härter, elastischer und einfacher zu verarbeiten als Kupfer allein. Dieser neue Werkstoff läutete die Bronzezeit ein und ersetzte langsam, aber sicher die altbewährten Steinwerkzeuge.  

Formgleiche Messer aus der Pfahlbaufundstelle Wollishofen-Haumesser (CH). © K. Schäppi

Jahrtausende alter Glanz

Die Pfahlbaufundstellen sind bekannt für die ausserordentliche Erhaltung von organischen Materialien wie Holz, Textilien und Pflanzenresten. Weniger im Bewusstsein ist, dass auch Metall im dauerfeuchten Boden ohne Sauerstoff die Jahrtausende oft unbeschadet übersteht. Ein frisch ausgegrabenes Bronzemesser kann noch rotgolden glänzen, wie am Tag, als es sein*e Besitzer*in das letzte Mal in den Händen hatte. Und wer genau hinschaut, erkennt auf den Bronzemessern noch so manche Spur von deren Herstellung und Verwendung: Hammerschläge, Feilspuren, Kratzer oder Scharten. Man kann sich die Bronzehandwerker*innen bildhaft vorstellen, wie sie die Messerklingen Schlag für Schlag mit feinen Meisseln verziert haben.

Spuren der Herstellung und Verwendung auf einer Messerklinge. Das Metall ist unterschiedlich gut erhalten. © K. Schäppi
Unter dem Binokular sind die einzelnen Meisselhiebe in der Verzierung erkennbar. © K. Schäppi

Experimentieren geht über Studieren

Um die Spuren auf einem Bronzemesser korrekt zu interpretieren, muss man sich selbst ans Giessen, Hämmern, Schleifen und Verzieren machen und die Messer danach auf ihre Tauglichkeit testen. Die Methode dafür ist die experimentelle Archäologie. Sie beantwortet Fragen, lüftet Geheimnisse, geht Schreibtischtheorien auf den Grund und macht manchmal lang gehegte Lehrmeinungen zunichte. Mit experimenteller Archäologie machen wir uns auf die Spur des Entstehens und der Verwendung eines Pfahlbauermessers. Als Vorlage dient ein rund 3000 Jahre altes Bronzemesser aus der Fundstelle Wollishofen-Haumesser bei Zürich (CH). Zuerst hat man es genauestens untersucht, dann Hypothesen aufgestellt und diese mit mehreren Experimentserien so lange überprüft, bis die Spuren von Herstellung und Verwendung an Original und Replik exakt übereinstimmten.

Als Vorlage für die Experimente diente ein Messer aus der Pfahlbaufundstelle Wollishofen-Haumesser (CH). Foto (oben), Umzeichnung (unten) und Rückenansicht (Mitte). © K. Schäppi

Ein Grillfeuer reicht nicht

Wer hat schon Zinn gegossen, z. B. rätselhafte Formen ins Wasserglas an Silvester? Bronzegiessen ist im Vergleich dazu höhere Kunst. Kupfer schmilzt bei 1083 °C, die Zugabe von Zinn senkt den Schmelzpunkt. Dennoch reichte den Pfahlbauer*innen ein Grillfeuer bei weitem nicht, sondern sie brauchten eine Grube, gute Holzkohle, Blasebälge, Schmelztiegel und viel Übung. Erst dann konnten sie eine ausreichende Menge Metall schmelzen und in die Gussformen aus Ton oder Stein füllen. Sandstein war hierfür das bevorzugte Material. In zwei Gussformhälften ritzten die Giesser*innen das Negativ des Messers, setzten die Steinplatten passgenau mit Hilfe von Holzstiften aufeinander und banden sie zusammen. Nach dem Guss erstarrte das Metall rasch und schon konnte man den frisch gegossenen Messerrohling aus der Form nehmen. Wer jetzt glaubt, das Ziel sei fast erreicht, irrt. Die Nachbearbeitung war aufwendig, weshalb nur perfekte Rohlinge für die weitere Prozedur ausgewählt wurden. Fehlgüsse wanderten wieder in den Tiegel.

Guss der flüssigen Bronze in eine Sandsteingussform. © K. Schäppi
Frisch gegossene Messer neben dem Schmelzofen. © K. Schäppi

Mit Hammer und Amboss

Bronzezeitliche Schmiede würden sich die Augen reiben, wenn sie heutige Schmiede das glühende Eisen traktieren sähen. Bronze schmiedete man überwiegend kalt. Dazu dienten den Schmied*innen Hämmer und Ambosse aus Bronze und Stein. Die Bronzehämmer waren – für uns ungewohnt – mit einem geknickten Holm, einem sogenannten Knieholm geschäftet. Die Bronzeambosse jedoch hatten bereits die Form, die bis heute bewährt ist – wenn auch viel kleiner als der heutige Schmiedeamboss. Ein frisch gegossenes Messer ist weich, lässt sich verbiegen und taugt so noch nicht zum Schneiden. Erst mit gezielten Hammerschlägen verwandelt sich das Metall, wird hart, unbiegsam und die Klinge immer dünner. Das Hämmern beschränkt sich nur auf den Schneidebereich und den Griffdorn, der Messerrücken bleibt unbearbeitet.

Amboss, Hammer und Meissel aus der Pfahlbaufundstelle Wollishofen-Haumesser (CH). © K. Schäppi
Hämmern der experimentell hergestellten Messer mit Repliken von Bronzehämmern und einem Bronzeamboss. © K. Schäppi

Ohne Fleiss kein Preis

Was nun folgt, braucht Geduld, Steine, Wasser und kräftige Finger. Die Handwerker*innen entfernen jede kleine Unebenheit. Von grob zu fein, wie man es heute noch im Werkunterricht lernt. Nur dass in der Bronzezeit Steine unterschiedlicher Körnung und Härte zum Einsatz kommen. Der Preis ist der unvergleichlich rotgoldene Glanz und eine makellose, spiegelnde Oberfläche.

Der Feinschliff der Messer geschieht mit Sand und einem nassen Leder. © K. Schäppi

Das Messer ist nun bereit für den nächsten Schritt, die Verzierung. Du erinnerst dich: Man hämmert nur den Schneidenbereich, während die obere Hälfte der Klinge noch weich und formbar ist. Hier und auf dem Messerrücken reiht nun ein von geschickter Hand geführter Bronzemeissel Halbkreisbogen an Halbkreisbogen. Wer die Lupe nimmt, sieht auf dem Originalmesser fächerartig die einzelnen Meisselhiebe und erkennt, in welche Richtung der Meissel wanderte. Die Verzierung folgt dem geschwungenen Verlauf der Klinge, wie auch die Rillen, welche das leiterartige Dekor einrahmen. Auch der Rücken soll entzücken: mit schraffierten Dreiecken und einem Fischgratmotiv.

Ein Ziseliermeissel prägt Schlag für Schlag die Verzierung in die Messerklinge. © K. Schäppi

Bester Halt dank Hirschgeweih

Fehlt noch der Griff: Er besteht aus einem Stück Hirschgeweih oder Holz. Wer etwas auf sich hielt oder es sich leisten konnte, bestellte bei den Bronzegiesser*innen ein Messer mit Vollgriff, komplett aus Bronze und in gewagter Form. Aber ehrlich gesagt, der Holz- oder Geweihgriff liegt besser in der Hand. Ein geniales Material ist das Hirschgeweih: Aussen hart, innen porös. Es reicht, ein Loch in den porösen Teil zu bohren, das Geweih über Nacht in Wasser einzuweichen und den Griffdorn hineinzutreiben. Beim Trocknen zieht sich das Geweih geringfügig zusammen und die Klinge sitzt unverrückbar im Griff.

Experimentell nachgearbeitete Bronzemesser mit verschiedenen Griffen. © K. Schäppi

Zu guter Letzt wird das Messer scharf gemacht, mit einem feinkörnigen Schärfstein und einem Lederriemen, bis das Messer die Fingernagelprobe besteht: Die schräg auf den Daumennagel gesetzte Klinge rutscht nicht ab.

Gemüse rüsten und Fische schuppen

Und ab geht’s mit dem nagelneuen Messer in die Küche, auf das Feld, in den Wald oder zum Schlachtplatz. Mit Bronzemessern lässt sich vieles schneiden, schnippeln, hacken, schnitzen, zerteilen, trennen. Die Klingenform und Abnutzungsspuren verraten einiges über die Einsatzbereiche. Bei unserem Instagram-Post vor zwei Wochen kam die Frage von User*innen, ob denn die Messerklingen praktisch seien. Gemeint war die elegant geschwungene Form des Messers, dessen Werdegang wir eben verfolgt haben. Ja, die Messer sind praktisch und vor allem vielseitig einsetzbar. Aber zuerst müssen wir den Blickwechsel machen: Rückblickend aus heutiger Sicht ist manches, was man früher benutzte, unpraktisch oder untauglich. Wenn wir uns jedoch in die Menschen damals hineinzuversetzen versuchen, erkennen wir die Vorteile. Ein Messer hatte viele Aufgaben zu erfüllen: Gemüse rüsten, einen Stecken anspitzen, ein Tier zerlegen, Stoff zerschneiden usw. So wie das Schweizer Taschenmesser heute, das man bei sich trägt und bei Gebrauch rasch zur Hand hat, dürften die Besitzer*innen der Bronzemesser diese immer bei sich getragen haben. Je nach Einsatzgebiet kommt der vordere (Stoff zerschneiden, Tier häuten), mittlere (Gemüse rüsten, Fisch schuppen) oder der hintere (schnitzend arbeiten) Teil der Klinge zum Einsatz. Die geschweifte Form erlaubt sogar einen Wiegeschnitt beim Kräuterhacken.

Fisch schuppen mit einem Bronzemesser durch einen Berufsfischer. © K. Schäppi
Holz schnitzen mit einem Bronzemesser. © K. Schäppi

Bis zum Gehtnichtmehr

Immer mit am Gürtel oder in der Tasche der Messerbesitzer*innen war wohl ein Wetzstein. War die Schneide stumpf, genügte ein kurzes Schärfen mit dem Stein. Hatte die Klinge Scharten, musste man diese jedoch mit einem Hammer ausmerzen und die Schneide begradigen. Dies geschah immer und immer wieder, bis die Messer komplett abgenutzt waren. Selbst zerbrochene Messerklingen hat man nicht ins Altmetall gegeben, sondern umgeschmiedet und mit einem neuen Griff versehen. Erst wenn gar nichts mehr zu machen war, landeten die langjährigen, treuen Helfer im Schmelztiegel – oder im See, wo wir Archäolog*innen sie heute – Jahrtausende später – wiederfinden und messerscharf analysieren.

Unterschiedlich stark abgenutzte Bronzemesser aus der Pfahlbaufundstelle Wollishofen-Haumesser (CH). © K. Schäppi

Dieser Blog beruht auf den Ergebnissen einer unvollendeten Dissertation zur Herstellung und Verwendung spätbronzezeitlicher Bronzemesser.

Die abgebildeten Fundobjekte befinden sich im Funddepot des Nationalmuseums Schweiz.

Portrait Katharina Schäppi

Sättigendes Porridge oder Vogelfutter?

Hirse steht heute in Mitteleuropa nur noch selten auf dem Speiseplan. Das war früher anders. Seit der Einführung von Hirsen in der Bronzezeit und bis in die Neuzeit war süsser oder salziger Hirsebrei ein wichtiges Grundnahrungsmittel.

Rotschalige Rispenhirse (links) und Goldhirse (Gefäss).

Die Echte Hirse wurde schon in der Jungsteinzeit (6. Jahrtausend v. Chr.) in Nordost-China domestiziert und erreichte das zentrale Europa in der mittleren Bronzezeit (15. Jahrhundert v. Chr.) – zusammen mit anderen Neuerungen aus den eurasiatischen Steppen. In den Pfahlbauten scheint die Hirse aber erst einige Jahrhunderte später (in der Spätbronzezeit) angekommen zu sein. Belegt sind sowohl Echte Hirse (Panicum miliaceum) wie auch Kolbenhirse (Setarica italica). Zahlreiche Vorratsfunde von Hirse aus der spätbronzezeitlichen Siedlung Zug-Sumpf (um 1000 v. Chr.) zeigen die hohe Bedeutung dieser Kulturpflanze im Alpenvorland. Im Vergleich zu den heute noch wichtigen Getreiden wie Weizen und Gerste hat sich die Pfahlbauforschung noch nicht intensiv mit der Hirse beschäftigt, z. B. mit der Frage, ob daraus auch Bier gebraut wurde, was prinzipiell möglich ist.

Verkohlte Hirsekörner aus den Pfahlbaufundstellen Lavagnone (I), links, und Unteruhldingen (D), rechts. © Filipović/Meadows/Corso et al. (2020), Fig. 11, bearbeitet

Dieser Frühstücksbrei gibt Kraft

Doch was kann man mit Hirse überhaupt zubereiten? Hirse eignet gut für Eintopfgerichte, die über dem Feuer köcheln, zum Beispiel mit Gemüse, Pilzen oder auch Fleischstücken. Man kann sie auch zu süssem oder salzigem Hirsebrei verarbeiten. Ein Frühstück für Pfahlbauer*innen, das Kraft gibt für den Tag oder an kalten Tagen den Bauch wärmt. Der Brei kann auch im Ofen mit weiteren Zutaten wie Pilzen zu Gratins verfeinert werden oder ausgekühlt in Scheiben geschnitten und in der Pfanne mit weiteren Zutaten ausgebacken werden.

Speedgetreide

Hirse wird in weniger als drei Monaten reif und verträgt verschiedenste Wachstumsbedingungen, allerdings keinen Frost. Nach anfänglich zögerlichem Wachstum schiesst Hirse bei günstigem Wetter schnell in die Höhe und bildet bald Rispen oder Kolben. Trockenperioden im Sommer sind für die Hirse kein Problem. Gegen Ende der Reifezeit neigen sich die mit hunderten Samen beladenen Rispen der Erde zu. Ab jetzt gilt es, Vögel vom Hirsefeld fernzuhalten; denn die sind – der Kanarienvogel lässt grüssen – ganz wild auf die Samen.

Unreife Kolbenhirse. © K. Schäppi
Unreife Rispenhirse. © K. Schäppi

Nach der Ernte löst man die Hirsekörner durch Dreschen von den Stängeln. Aber vor dem Verzehr muss man noch die hartnäckige äußere Schale entfernen, was gar nicht so einfach ist. Wie in traditionellen Hirseanbaugebieten Afrikas heute noch üblich, löst man die Spelzen am besten durch Stampfen in einem Holzmörser. Derartige Holzmörser und die zugehörigen Stössel findet man denn auch in Pfahlbauten. Nun noch einen passenden Wind abwarten, der die Spelzen beim Worfeln (Trennen von Spreu und Korn) davonträgt, und die Hirsekörner können ab in den Topf.

Holzstössel aus Sipplingen (D). © LAD

Von der Alltagskost zum Vogelfutter

Auch in der Eisenzeit und bei den Römern wurde Hirse gegessen. Im Mittelalter galt Hirsebrei aber bereits als Arme-Leute-Essen. Mit der Einführung von Kartoffeln und Mais nach der Entdeckung Amerikas wurde die weniger ertragreiche Hirse in der Neuzeit endgültig zum Vogelfutter degradiert. Heute erlebt die Hirse eine Renaissance als vielseitig verwendbare und glutenfreie Alternative zu Getreide. Hirse hat einen sehr typischen Eigengeschmack, der ganz anders ist als jener der anderen Getreide (Weizen, Emmer und Co.). Er ist aber nicht sehr intensiv, so dass die Hirse sich sowohl für Süssspeisen wie für salzige Gerichte eignet.

Lass dich inspirieren, mit Hirse zu experimentieren. Im Prinzip ist die Verarbeitung vergleichbar mit derjenigen von Griess oder Polenta. Und in unserem Warenkorb findest du spannende Zutaten, die zu leckeren Gratins, süssen Schnitten oder Breien aus Hirse passen.

Portrait Renate Ebersbach
Portrait Katharina Schäppi
Tipps

Wissenschaftlicher Artikel zum Aufkommen der Hirse in Mitteleuropa.

Willkommen in der Bronzezeit!

Mit der Einführung der Bronze als Metall beginnt eine neue Epoche in der archäologischen Zeitrechnung. Der epochale Wandel ist allerdings nicht so gross und plötzlich, wie es der Name suggeriert.

Metall, vor allem Kupfer, gibt es schon lange vor dem Beginn der offiziellen Bronzezeit, die für die Archäolog*innen um 2200 v. Chr. beginnt. Auch in den Pfahlbauten sind Kupferobjekte von Anfang an belegt, sogar Schmelztiegel kommen in den Siedlungen vor. Am Anfang der Bronzezeit ist Metall keineswegs häufig oder allgegenwärtig. Erst im Verlauf der Zeit beginnt Metall viele andere Materialien zu ersetzen. Die Menschen damals haben herausgefunden, dass sie daraus Objekte machen können, die sich aus Stein, Holz oder Silex nicht sinnvoll herstellen und benutzen lassen, z. B. Schwerter oder Schmuck mit goldähnlichem Glanz.

Jungsteinzeitliche Kupferbeiklinge aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier, CH. © KASH
Bronzezeitlicher Bronzedolch aus der Pfahlbaufundstelle Bad Buchau, D. © LAD

In der Bronzezeit passiert aber noch viel mehr als das. Besonders ernährungstechnisch ist das für uns interessant, denn damals wurden auch neue Tier- und Pflanzenarten eingeführt.

Aus dem Osten viel Neues

Gerste, Nacktweizen, Emmer und Einkorn waren weiterhin wichtig, doch schon am Ende der Jungsteinzeit kommt der Dinkel aus dem Osten in die Voralpen, ein robustes Spelzgetreide. Ab der Mittelbronzezeit (ab 1600 v. Chr.) wird mit Rispenhirse und Ackerbohne das Spektrum nochmals erweitert. Schliesslich ist Hirse (Rispen- und Kolbenhirse) in der Spätbronzezeit eines der wichtigsten Grundnahrungsmittel, dazu kommen als weitere Hülsenfrüchte die Linse und die Linsenwicke. Auch Leindotter (Camelia sativa) bauen die Menschen an. Weiterhin nachgewiesen, wenn auch seltener als in der Jungsteinzeit, sind Lein und Mohn. Wildpflanzen dürften ebenfalls durchgehend wichtig gewesen sein für die Pfahlbauer*innen. Die meisten der neu eingeführten Pflanzen stammen aus dem östlichen Mittelmeerraum oder noch weiter aus dem Osten.

Rispenhirse. © K. Schäppi
Dinkel. © K. Schäppi

Sommer- und Wintergetreide

Während der Dinkel ein typisches Wintergetreide ist, d. h. im Herbst ausgesät wird, baut man Hirse und Hülsenfrüchte im Frühling an. Durch die Verbreiterung der Anbaupalette und die vielen Hülsenfrüchte konnten die Pfahlbauer*innen die ackerbaulichen Aktivitäten besser aufs Jahr verteilen und Getreide mit Hülsenfrüchten teilweise kompensieren oder umgekehrt, falls es in der einen oder anderen Jahreszeit zu einem Ernteausfall kam. Spätestens in der Bronzezeit wurde die Verwendung des von Ochsen gezogenen Hakenpflugs bei der Feldbewirtschaftung Standard. Diese Innovation brachte viele Vorteile: Die Menschen konnten ihre Felder viel schneller bestellen, schwere Böden bearbeiten und in kürzerer Zeit neue Ackerflächen erschliessen.

Auf dem Rücken der Pferde

Bei den Haustieren ist die bemerkenswerteste Neuerung sicher die Einführung des domestizierten Pferdes. Anders als die übrigen Haustiere, die ursprünglich aus dem Nahen Osten stammen, gelangte das Hauspferd aus Zentralasien nach Mitteleuropa. Für die asiatischen Steppenbewohner war das Pferd nicht nur ein Nutztier zum Reiten, Lastentragen und als Fleischlieferant, sondern spielte auch in rituellen Handlungen eine Rolle.

Ziegen und vor allem Schafe waren in der Bronzezeit gegenüber der Jungsteinzeit sehr wichtige Haustiere. Schon am Ende der Jungsteinzeit wurde das Wollschaf eingeführt. Ursprüngliche Schafrassen hatten normales Fell wie Rinder oder Ziegen. Durch Züchtung und Selektion wurde das borstige Oberfell zurückgedrängt, bis das Schaffell vor allem aus der weichen, isolierenden Unterwolle bestand.

Soay-Schafe, eine ursprüngliche Schafrasse mit rauhem Wollkleid. © gailhampshire DOI

Netzwerken in den Alpen

Die land- und viehwirtschaftlichen Verbesserungen und Veränderungen hatten vermutlich massive Auswirkungen auf die Breite und Stabilität der Nahrungsversorgung, denn in der Bronzezeit haben die Menschen die Alpen besiedelt und ein schon vorher existierendes transalpines Handelsnetzwerk ausgebaut. Mittel- und spätbronzezeitliche Siedlungen sind im Kanton Wallis bis auf 1600 m nachgewiesen. In Graubünden liegen mehrere Siedlungen an wichtigen Passübergängen, z. B. Savognin-Padnal auf 1220 m an der Julierpass-Route. Kupferbergbau im Oberhalbstein und Salzbergbau in Hallstatt zeigen auch die zunehmende Professionalisierung und Arbeitsteilung der Gesellschaft an.

Die gestiegene Bevölkerungsdichte und die fortdauernden Eingriffe in die Landschaft durch Rodungen, Beweidung, Äcker, Brenn- und Bauholzentnahme führten seit der Jungsteinzeit, vor allem aber im Verlauf der Bronzezeit, zur Entstehung unserer heutigen Kulturlandschaft mit grossen offenen Flächen in unterschiedlichen Nutzungsformen. In der Bronzezeit ist auch erstmals in grösseren Mengen „Grünland“ im Sinne von Weiden nachgewiesen.

Zugbrücken und Tore führen zu den Pfahlbauten

Die ältesten bronzezeitlichen Pfahlbauten beginnen um 2000 v. Chr., z. B. Lucone in der Nähe des Gardasees. In der Mittel- und Spätbronzezeit kennen wir sehr grosse Siedlungen, von denen manche wie Burgen befestigt waren, mit Palisaden, Zugangswegen, Toren und Zugbrücken. In der Siedlung Forschner im Federseeried haben Archäolog*innen eine solche Toranlage nachgebaut. Eine der grössten Anlagen ist die UNESCO-Fundstelle Unteruhldingen-Stollenwiesen, wo heute noch ca. 70´000 Pfähle im Seeboden stecken. Die letzten spätbronzezeitlichen Pfahlbauten enden um 800 v. Chr., gleichzeitig mit einer heftigen Klimaschwankung. Neben den Pfahlbauten gibt es in der Bronzezeit auch befestigte Höhensiedlungen und kleine Weiler in Hanglagen. Ausserdem kennen wir – im Gegensatz zur Jungsteinzeit – viele Bestattungen.

Luftbild des Pfahlfeldes von Unteruhldingen-Stollenwiesen, D. © LAD
Verstürzte bronzezeitliche Brücke während der Ausgrabung in Bad Buchau, D. © LAD

Willkommen also in der Bronzezeit! Ab sofort erweitert sich die Produktpalette für unsere Rezepte um Pferd, Hirse, Linse, Dinkel und Ackerbohne. Dies sind auch die Challenge-Zutaten des Monats April. Hast du schon Ideen, was du daraus kochen kannst? Wir sind gespannt auf deine Rezepte.

Portrait Renate Ebersbach
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