Fleischverzicht aus verschiedenen Gründen ist ein aktuelles Thema, pflanzliche Alternativen ebenso. In der Schweiz wurden 2009 durchschnittlich 75 kg Fleisch pro Person verzehrt, in Deutschland 88 kg. Der Fleischverbrauch ist in Mitteleuropa aber seit Jahren rückläufig. Die Zahl der Veganer*innen, also Menschen, die auf jegliche tierischen Produkte verzichten, steigt.

In den Pfahlbauten finden Archäolog*innen jeweils Hunderte von Kilogramm Tierknochen – ein eindeutiger Beleg dafür, dass vor über 5000 Jahren Jagd und Viehzucht ein wichtiger Beitrag zur Ernährung waren und die Pfahlbauer*innen regelmässig Fleisch gegessen haben. 218 Hausschweine, 82 Rinder, 64 Hirsche, 43 Wildschweine, 45 Schafe und Ziegen – so viele Tiere wurden mindestens in der jungsteinzeitlichen Siedlung Arbon-Bleiche (CH) geschlachtet und verzehrt. Nachgewiesen sind auch viele weitere essbare Tiere, darunter Biber, Schildkröten, Vögel, Fische und Frösche. Aber gab es in der Jungsteinzeit und Bronzezeit bereits Menschen, die bewusst auf tierische Produkte verzichteten?

Neben den Nutztieren assen die Pfahlbauer*innen zahlreiche Wildtierarten. Blick in das Pfahlbaudorf Thayngen-Weier (CH). Modell von Hans Bendel. © KASH

Doppelt so viel

Was auf den ersten Blick nach einem hohen Fleischkonsum aussieht, relativiert sich mit einer kleinen Rechenaufgabe: Teilt man die Fleischmenge der nachgewiesenen Schlachttiere durch 17 Jahre (belegte Siedlungsdauer) und 23 Häuser (ausgegraben) mit je circa fünf Bewohner*innen, dann bleiben am Ende pro Person und Jahr nur knapp 30 kg Fleisch. Das ist weniger als die Hälfte des heutigen Fleischverzehrs.

Fleisch: Ausnahme oder Regel?

Man nimmt an, dass in den Pfahlbauten so ziemlich alles verzehrt wurde, was essbar war. Sogar Hunde (Schnittspuren), Singvögel und Froschschenkel (verdaute Knochen) gehörten zum Speiseplan. Was auffällt: Von den Schlachtkörpern hat man jeweils alle essbaren Teile verzehrt. Diese Ganztiernutzung, heute auch als «Nose to Tail» bekannt, ist wieder ein populärer Trend. Wir kehren also ein wenig zu den Wurzeln zurück.

Die Pfahlbauer*innen assen auch Hunde. Hundeschädel aus der Pfahlbaufundstelle Thayngen-Weier (CH). © KASH

Es gibt somit genügend Beweise dafür, dass Fleisch fester Bestandteil des Speiseplans war. Man darf aber nicht vergessen, dass Tierknochen-Nachweise und berechnete Durchschnittszahlen nichts darüber aussagen, ob einzelne Personen oder Personengruppen auf Fleisch oder tierische Produkte verzichteten. Verschiedene Religionen kennen Gebote und Verbote im Zusammenhang mit der Ernährung. Dazu gehören auch der Fleischverzicht oder dass man das Fleisch bestimmter Tiere meidet. Bis heute isst man am Freitag eher Fisch als an anderen Tagen. Dies geht auf den Karfreitag zurück, an dem die Menschen im Gedenken an den Tod Jesus streng fasten und von dem das Verbot, Fleisch zu essen, auf alle Freitage des Jahres übertragen wurde – sofern sie nicht auf kirchliche Hochfeste fallen. Fisch galt nicht als Fleisch und durfte daher verzehrt werden. Auch in der Fastenzeit zwischen Aschermittwoch und Ostern sollte man Fasten und dabei auf Fleisch verzichten. Zuvor liess man es sich an der Fasnacht (Nacht vor dem Fasten), bzw. dem Karneval (Carneval = Lebe wohl, Fleisch) nochmals gutgehen. Mönche und Nonnen verzichteten noch häufiger auf Fleisch. Es ist daher sehr gut denkbar, dass auch in der Urgeschichte an bestimmten Tagen Essengebote galten oder bestimmte Personengruppen bewusst auf Fleisch verzichteten.

An christlichen Fastentagen soll kein Fleisch gegessen werden, Fisch hingegen geht.

Knochen verraten die Ernährungsweise

Aussagen zur Ernährungsweise in der Vergangenheit sind dank moderner naturwissenschaftlicher Methoden möglich. Wie wir uns ernähren, hinterlässt Spuren in unseren Knochen und Zähnen. Anhand von Kohlenstoff- (δ13C) und Stickstoffisotopen (δ15N) lässt sich noch Jahrtausende später sagen, wie sich ein Lebewesen ernährt hat. Eine Gruppe von Forscher*innen hat Knochen und Zähne von 466 Menschen aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit Deutschlands untersucht. Die Ergebnisse zeigten, dass die Lebensmittelversorgung von Gemeinschaften zum Beginn der sesshaften, bäuerlichen Lebensweise vorwiegend aus Pflanzen bestanden. Erst mit der Zeit stieg der Fleischkonsum und nahm bis zur Bronzezeit stetig zu. Ab dann spielten auch Milch und Milchprodukte zunehmend eine Rolle in der Ernährung. Keine der Proben menschlicher Knochen wies auf eine rein pflanzliche Ernährung hin.

Milchprodukte wie diesen Frischkäse gab es vermehrt ab der Bronzezeit.

Ein weiteres Resultat der Untersuchungen war, dass über alle untersuchten Epochen die Männer mehr Fleisch gegessen haben als die Frauen. Nicht so in der Schweiz, zumindest nicht während der Jungsteinzeit in Oberbipp im Kanton Bern. Die Isotopenuntersuchungen an Knochen von 16 Bestatteten aus einem Dolmengrab (aus Steinblöcken errichtetes Grab) ergab einen ausgeglichenen Fleischkonsum zwischen den Geschlechtern. Gleichstellung in der Schweiz, Vorzugsbehandlung der Männer in Deutschland: Welche sozialen oder kulturellen Ursachen dahinterstecken, bleibt im Dunkel der Geschichte verborgen. Fakt ist, dass noch heutzutage Männer fast doppelt so viel Fleisch essen wie Frauen. Wie würden dies wohl künftige Forscher*innen bewerten?

Isotopenuntersuchungen an Skeletten aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit ergaben einen Unterschied im Fleischkonsum der Geschlechter. Werte der Männer (rot), Frauen (blau). CC by A. Münster et al.

Saisonale Flexitarier*innen

Im Laufe des PalaFitFood-Jahres wurde uns bewusst, wie stark die Jahreszeiten das Lebensmittelangebot der Pfahlbauer*innen prägten: Frösche gab’s nur im Februar und März, wenn die Grasfrösche zum Laichen zu den Gewässern zogen. Rührei, Omelett oder Kuchen mit Eiern konnte man nur während der Brutzeit der Wildvögel zubereiten. Die Milchsaison begann im zeitigen Frühjahr mit den ersten Kälbern, Lämmchen und Zicklein und endete im Spätherbst. An Wildgemüse gab es nur das, was gerade wuchs. Die Pfahlbauer*innen waren daher saisonal bedingte Flexitarier*innen. Auch der Verzicht auf Milch dürfte kein bewusster gewesen sein, sondern ergab sich für die meisten Menschen genetisch bedingt durch die von der Jungsteinzeit bis in die Bronzezeit vorherrschende Laktoseintoleranz. Bei diesem beschränkten Lebensmittelangebot drängt sich ein zusätzlicher, bewusster Verzicht auf gewisse Lebensmittel nicht gerade auf. Wenn zudem das Essen knapp wird, kann man kaum noch wählerisch sein. Konsequente Veganer*innen bei den Pfahlbauer*innen hätten neben Honig, Milch, Fleisch und Eiern auch auf Lederschuhe, Lederbekleidung, Wollstoffe, Werkzeuge aus Knochen, Federn für die Pfeile, Hautleim und den Schmuck aus Tierzähnen verzichten müssen. Als Alternativen standen Bastschuhe, Leinenstoffe und Geräte aus Holz oder Stein zu Verfügung. Pfeil und Bogen hätten sie als Veganer*innen sowieso nicht gebraucht. Die bewusste Entscheidung zum Verzicht auf jegliche tierischen Produkte dürfte ein «Luxus» unserer Zeit sein bzw. eine Folge davon, wie wir heute mit Tieren umgehen.

Pflanzliche und tierische Lebensmittel der Jungsteinzeit.

Wenn wir ein Tier schlachten, dann sollten wir nicht nur das Filet essen und die Hälfte des Schlachtkörpers zu Hundefutter verarbeiten oder gar wegwerfen. Zu einem respektvollen Umgang mit Tieren gehört auch, dass wir es ganz verwerten. Darum unser Tipp: Wage dich an die ungewöhnlichen Stücke und frage beim Metzger deines Vertrauens einmal nach „Nose to Tail“-Stücken. Wir probieren es immer wieder aus und sind begeistert, wie gut auch weniger bekannte Teile des Tieres schmecken. Unter den Rezepten findest du einige Anregungen dazu.

Portrait Katharina Schäppi
Portrait Renate Ebersbach

Archäofacts

Münster A, Knipper C, Oelze VM, Nicklisch N, Stecher M, Schlenker B, et al. (2018) 4000 years of human dietary evolution in central Germany, from the first farmers to the first elites. PLoS ONE 13(3).
DOI: doi.org/10.1371/journal.pone.0194862

Lösch, S. et al. (2020) Bioarchäologische Untersuchungen der Knochen aus dem Dolmen von Oberbipp, Steingasse. Archäologie Bern 2020, 202-230.
boris.unibe.ch/145206/