Für einmal müssen wir ohne Archäofacts auskommen und einen rein spekulativen Blogbeitrag verfassen. Er behandelt ein Thema, das wir im Zusammenhang mit der Ernährung der Pfahlbauer*innen jedoch nicht ausser Acht lassen können: Blut. Es fällt beim Schlachten und bei der Jagd automatisch an. Wie in früheren Beiträgen berichtet, wissen wir, dass man in der Jungsteinzeit und Bronzezeit, ja bis in die jüngere Geschichte hinein, von Tieren selbstverständlich so viel als möglich verwertet hat. Da ist es naheliegend, dass man Blut in der Urgeschichte ebenfalls gegessen hat. Der Nachweis ist jedoch äussert schwierig, und es gibt einige historische Facts, die darauf hinweisen, dass dies nicht überall und nicht zu allen Zeiten der Fall war.

Heute kennen wir in unseren Breitengraden am ehesten die Blutwurst, an der sich die Geister scheiden. In Norddeutschland gibt es aber auch Schwarzsauer, ein Gericht aus mit Essig eingedicktem Blut, das Fleischstücke enthält. Noch weiter im Norden ist die Vielfalt an Blutgerichten viel grösser und sie kommen nicht nur zur klassischen Schlachtzeit im Herbst auf den Tisch. Doch dazu später mehr.

Blut: Lebenssaft und nach alter Vorstellung Sitz der Seele.

Die Seele sitzt im roten Saft

Blut ist weit mehr als ein proteinreiches, eisen- und zinkhaltiges Lebensmittel. Es ist der Lebenssaft, wie wir gerne sagen. Im Judentum und dem Islam gilt das Blut sogar als Sitz der Seele, was zum Verbot führte, Blut zu essen. Daher trennt man den Tieren beim Schächten, bzw. der Halal-Schlachtung, die Halsschlagader auf und lässt sie durch den eigenen Herzschlag ausbluten. Auch im frühen Christentum war der Verzehr von Blut aufgrund derselben Vorstellung verboten. In Nordeuropa hingegen fing man das Blut auf, ass oder trank es, um die Kraft des Tieres in sich aufzunehmen. Diese Tradition, von der wir nicht wissen, wie weit sie zurückreicht, führte dazu, dass es in Nordeuropa noch heute viel mehr Rezepte mit Blut gibt als weiter südlich.

Damit Blut nicht gerinnt, schlägt man es auf.

Blut ist sehr energiereich und eisenhaltig. Es kann daher Eisenmangel vorbeugen, einem in der Urgeschichte verbreiteten Problem. Zahlreiche menschliche Schädel weisen im Dach der Augenhöhle poröse Stellen auf; ein Anzeiger für länger andauernde und massive Anämie, d. h. Blutarmut. Den Bedarf an Eisen konnte Blut also offensichtlich nicht komplett oder nicht für alle decken. Vielleicht gilt, wie beim Fleisch, dass Kinder und Frauen weniger davon erhielten als Männer und ältere Personen. Immerhin ergibt ein (heutiges) Schwein 2.5 bis 4.5 kg Blut. Daraus lässt sich einiges machen. Die Möglichkeiten sind vielfältig und historische oder traditionelle Rezepte könnten – leicht abgewandelt – bereits in der Jungsteinzeit und Bronzezeit so zubereitet worden sein. Einzig Gewürze wie Zwiebeln, Knoblauch oder Pfeffer müssen wir uns wegdenken. Ansonsten bieten sich kräftige Würzkräuter wie Thymian und Majoran an, um den metallischen Eisengeschmack des Blutes zu überdecken.

Blutwurst würzt man mit kräftigen Kräutern.

Odysseus wälzte sich wie eine Blutwurst

Blutwurst gilt als die älteste Wurst und wir schon in Homers «Illias» genannt. Nach einem Sieg und einem Festgelage wälzt sich der schlaflose Odysseus im Bett von einer Seite zur anderen, so wie man «eine Magenwurst nach beiden Seiten umdreht, damit sie schnell brate». Weiter im Text wird klar, dass der Vergleich sich auf eine Blutwurst bezieht. Wie die Blutwurst von Homer geschmeckt hat und welche Konsistenz sie hatte, wissen wir leider nicht. Ein Blick auf die Schlachtplatte verschiedener Länder zeigt, dass Blutwürste ganz unterschiedlich daherkommen: In der Schweiz ist dies eine Wurst von eher weicher Konsistenz, die Rahm und eine fein zerkleinerte Blut-Schwarten-Masse enthält. In Österreich und vor allem in Deutschland ist die Blutwurstvielfalt gross, die Wurst aber in der Regel fester und kann sogar in Scheiben geschnitten werden durch die Zugabe von Speck und Muskelfleisch. In England besteht der klassische «black pudding» aus Blut, allerlei Fleischteilen und Haferflocken oder Getreide. In Skandinavien versteht man unter einer Blutwurst ein Gemenge aus Blut, Fett, Kräutern und Mehl.

Klassisches irisches Frühstück mit Blutwurst, “black pudding”. CC by Jules

Von Blutpudding bis Blutpfannkuchen

Bleiben wir noch etwas in Skandinavien, wo die Blutrezepte-Vielfalt am höchsten ist. Hier gibt es neben der Blutwurst auch Blutpudding, Blutpfannkuchen oder Blutbrot. Je nachdem, wieviel Mehl (meist Roggen- oder Gerstenmehl) man zum Blut gibt, entsteht eine flüssigere oder festere Masse, die man braten, in Brühe kochen oder backen kann. Das Blutbrot kann man trocknen und zum Frühstück in Kaffee, Milch oder Tee tunken oder eine Suppe oder einen Eintopf damit eindicken. Auch das norddeutsche Schwarzsauer begegnet uns wieder in Form der «svartsoppa», die man traditionell aus Enten- oder Gänseblut zubereitet.

Zutaten für pfahlbautaugliche Blutklösschen.

Ein Klumpen Blut als Wanderproviant

Besonders spannend ist eine Konservierungsmethode der Samen (die indigene Bevölkerung Skandinaviens und Russlands): Blut, hier bevorzugt Rentierblut, wird getrocknet und ist dadurch sehr lange haltbar und leicht zu transportieren. Wir haben dazu verschiedene Anleitungen gefunden. Entweder schlägt man das frische Blut auf, damit es nicht gerinnt oder aber man trennt es gezielt in seine verschiedenen Bestandteile auf. Dies ist zu empfehlen, denn wie uns ein Same verraten hat, verderben die weissen Blutkörperchen schneller. Dazu lässt man Blut in einem Eimer stehen, wo es sich schichtweise ablagert: Das dicke, rote Blut zuunterst (rote Blutkörperchen), in der Mitte das geronnene Blut in Klumpen und zuoberst dünnes, fast durchsichtiges Blut (Blutserum).

In dünnne (Serum) und dicke Bestandteile (Blutkörperchen und Blutplättchen) aufgetrenntes Blut.

Nach alter Tradition bereitet man aus dem frischen, dünnen Blut Essen zu, kocht Hundefutter aus dem geronnenen und füllte das dicke But von zuunterst in Magensäcke, um es zu trocknen. Davon erzählt der Bauer Dynesisu aus Malmberget in schwedisch Lappland 1889: «Das (Rentier-)Blut wird gesiebt und leicht gesalzen. Danach näht man es in einen zuvor sorgfältig gereinigten Rentiermagen ein, den man im Vorratshaus aufhängt. Hier trocknet das Blut vom Winter bis zum Sommer.» Für eine lange Wanderung oder eine Jagdtour brauchte man nur einen Klumpen getrocknetes Blut mitzunehmen, es in etwas Wasser aufzulösen, nach Gusto Mehl zuzufügen und schon hatte man eine kräftigende Mahlzeit; Outdoornahrung lange vor der Erfindung gefriergetrockneter Bergsteigermenus.

Fladenbrot mit Blut kann man aus getrocknetem Blut zubereiten.

Das Thema ist noch nicht ausgeschöpft und in den modernen Küchen findet wieder eine Auseinandersetzung mit dem altbewährten Lebensmittel Blut statt. Köch*innen verwenden es für salzige und süsse Speisen und nehmen Blut auch als Ersatz für Eier unter die Lupe. Damit lässt sich nämlich auch wunderbar backen, etwa einen Schokoladenkuchen. Wir servieren dir als klassisches Rezept Blutklösschen und als neue Variante Blutbuben, unser Favorit für die diesjährigen Weichnachtsguetzli. Wagst auch du dich an anderes als die Blutwurst? Warne den Metzger deines Vertrauens vor und bestelle ein oder zwei Liter vom roten Lebenssaft. Vielleicht kriegst du ihn gratis, da – bislang – die Nachfrage nicht gross ist.

Portrait Katharina Schäppi

Facts

sobre mesa – Begegnungen Rund um Esskultur. Mit einer Sammlung von Rezepten und Artikeln zu Blut als Lebensmittel

Schwedische Website zu traditioneller Esskultur in Schweden.

Asp, Elaine (2019) Självklart. Sydsamisk mat tolkad av Elaine Asp.

Huuva, Per (2020) Aitta. Ursrungsmat med rötterna i den samiska och tornedalska matkulturen.