Das Jahr neigt sich dem Ende zu, die Sonnenstunden sind rar geworden. Mal schneit es, mal regnet es und meist ist es kalt und unwirtlich. Manch einer mag sich fragen, wie so ein Winter im Pfahlbaudorf wohl gewesen sein kann: Rückte man zusammen und erzählte sich Geschichten im fahlen Licht des Feuers? Oder konsumierte man vielleicht Rauschmittel gegen den Winterblues?

Wir werden es nie erfahren. Jedenfalls nicht mit Sicherheit. Wahrscheinlich ist die Verwendung von Rauschmitteln aber so alt wie die Menschheit selbst.

Sesshaft wegen Bierkonsum?

Einige Forscher glauben gar, dass die Menschen nur sesshaft wurden, um Rauschmittel –genauer Bier – herzustellen. Sie berufen sich dabei auf Funde aus Göbekli Tepe, einem Kultplatz aus dem 10. und 9. Jahrtausend v. Chr. im Südosten der heutigen Türkei. Just zur selben Zeit fingen die Menschen an, Getreide zu domestizieren. Göbekli Tepe steht also am Anfang eines der bedeutendsten Ereignisse in der Geschichte der Menschheit: Der Neolithisierung. Und der Erfindung des Biers.

Der Kultplatz Göbekli Tepe in der Türkei. © R. Ebersbach

In der Anlage selbst wurde kein Getreide angebaut. Sie diente vielmehr als Versammlungsort verschiedener Gruppen, die sich dort trafen und Rituale durchführten – oder in anderen Worten Gelage feierten mit 500 bis 1000 Personen. Neben den berühmten kreisförmig angeordneten, gravierten Stelen entdeckten Archäolog*innen mehrere grosse Steingefässe, die Reste von Bierstein (kalkhaltige Ablagerungen) enthielten. Ob tatsächlich Bier gebraut wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn die Reste deuten lediglich auf einen Fermentierungsprozess hin. Allerdings befindet sich die Anlage genau in der Region, wo auch die Wildformen der Getreide, d. h. Wildgräser wachsen, die als erstes domestiziert wurden (z. B. Weizen und Gerste). Womöglich ist also etwas dran an der Geschichte, dass die Menschen nur wegen dem Bier sesshaft wurden.

Die Menge macht das Gift

Egal ob Bier, Schoggi oder Gemüse: in der falschen Menge konsumiert, schadet alles – sogar Wasser. Die geläufige Redewendung stammt ursprünglich von Paracelsus. Sie wurde jedoch vereinfacht und dem heutigen Sprachgebrauch angepasst. Das Originalzitat lautet «Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.» Paracelsus war Arzt und beschäftigte sich intensiv mit den Wirkstoffen von Heilpflanzen. Die beiden Bezeichnungen Rauschmittel und Rauschgift zeigen, dass Paracelsus’ Zitat auch bei Drogen Gültigkeit hat und die Grenze nicht immer scharf zu ziehen ist. Was berauscht, kann in der falschen Menge konsumiert schaden oder gar töten.

Der Konsum von getrocknetem Fliegenpilz führt zu Halluzinationen.

Doch was heisst eigentlich “berauscht”? Drogen, Rauschmittel oder Rauschgifte wirken ganz unterschiedlich. Sie können körperliche Zustände verändern oder eine bewusstseins- und wahrnehmungsverändernde Wirkung erzeugen. Natürliche Rauschmittel bestehen aus Teilen von Pflanzen, Pilzen, Tieren oder Mikroorganismen; alles verfügbar in der Pfahlbauerapotheke. Ebenso unterschiedlich wie die Stoffe und deren Wirkung sind die Beweggründe sie zu konsumieren. Denkbar ist, dass die Pfahlbauer*innen im Rahmen von Ritualen auch Rauschmittel konsumiert haben.

Schlafes Blume

Die Pfahlbauer*innen kannten also berauschende Stoffe. Ob sie diese nutzten, bleibt aber offen. Analysen von Bodenproben aus Pfahlbausiedlungen zeigen jedenfalls auffallend hohe Konzentrationen von Schlafmohnsamen. Der botanische Name Papaver somniferum leitet sich aus dem Lateinischen ab und bedeutet Schlaf bringend. Ob Schlaf oder Rausch ist wiederum eine Frage der Menge.

Mohnsame. © LAD

Die Pflanze mit den zarten, weissen bis violetten, selten roten Blütenkronblättern stammt ursprünglich aus dem westlichen Mittelmeergebiet. Dort hat man sie in der frühen Jungsteinzeit kultiviert. Interessanterweise ist es die einzige domestizierte Pflanze auf den Feldern der ersten Bauern und Bäuerinnen in unserer Region, die nicht aus dem Vorderen Orient zu uns kam, sondern aus dem Mittelmeerraum. Damit kultivieren die im Alpenraum ansässigen Bewohner*innen Mohn seit mehr als 7’000 Jahren . Ebenso lang könnten sie daraus berauschende Substanzen gewonnen haben. Alle Teile der Pflanzen enthalten nämlich verschiedene Alkaloide, zu denen auch das Morphium gehört. Die Konzentration ist im Saft der Mohnkapsel mit Abstand am höchsten. Als Schmerzmittel hat Morphium bis heute eine wichtige Bedeutung in der Medizin. Da es bei regelmässiger Einnahme jedoch zu starker Abhängigkeit führt, ist Morphium rezeptpflichtig. Auch Roh-Opium gewinnt man aus den unreifen Kapseln des Schlafmohns. Durch Anritzen tritt Saft aus, welchen man anschliessend trocknet und abkratzt. Roh-Opium bildet die Grundlage für die Herstellung von Rauschmitteln wie Rauch-Opium oder Heroin.

Blühender Schlafmohn.

Waren die Pfahlbauer*innen also alle Junkies und dauernd high? Wohl kaum. Erst der Fund einer angeritzten Samenkapsel würde eindeutig belegen, dass sie den Saft tatsächlich nutzten. Doch auch der Genuss von Mohnsamen ist nicht ohne. Je nach konsumierter Menge schafft man es nicht mehr durch den Drogentest. Im Rauschzustand ist man deswegen aber noch lange nicht. Nur selbst ans Steuer setzen sollte man sich vielleicht lieber nicht mehr. Glücklicherweise waren die Ochsenkarren der Pfahlbauer*innen nur sehr langsam unterwegs und Drogentests gab es auch noch keine.

Rauschmittel als modisches Accessoire?

Ob man Schlafmohn hauptsächlich als Nahrungspflanze oder zur Rauschmittelgewinnung angebaut hat, bleibt also offen. Die grossen Mengen an Mohnsamen in den Siedlungsschichten zeigen jedoch, dass die Pflanze von grosser Bedeutung war für die Menschen. Einen weiteren Hinweis darauf geben Gewandnadeln aus der späten Bronzezeit. In Zeiten ohne Reiss – und Klettverschluss oder gar Druckknöpfen hielten Nadeln Stoffe und Kleider zusammen. Die Form der Nadelköpfe unterlag Modeerscheinungen und veränderte sich im Laufe der Zeit. In der späten Bronzezeit (1350-800 v. Chr.) gibt es zwei Nadeln, deren Köpfe einer Mohnkapsel gleichen: die sogenannten Vasenkopfnadeln erinnern an junge Kapseln; die Mohnkopfnadeln sind eher stilisierte, pralle Kapseln. Die Bezeichnung ist natürlich modern und wird von Archäolog*innen als Typenbezeichnung verwendet. Aber wer weiss, was die Pfahlbauer*innen hinter diesen Nadeln gesehen haben, v. a. im Rauschzustand.

Replik einer Vasenkopfnadel.
Angeschmolzene Mohnkopfnadel aus Bronze. © KASH, bearbeitet

Was die Pilze betrifft, so haben wir im Blog vom 12. September 2021 bereits einige berauschende Kandidaten vorgestellt. Mit Pilzen wie dem Fliegenpilz (Amanita muscaria) oder dem Spitzkegeligen Kahlkopf (Psilocybe semilanceata) wuchsen vor den Haustüren der Pfahlbauer*innen verschiedene einheimische Sorten, die unter die Kategorie „magic mushrooms“ fallen.

Die Mutter der psychoaktiven Substanzen

An Getreideähren oder Gräsern kann ein bis 6 cm langer dunkler Schlauchpilz wachsen (Claviceps purpurea), besser bekannt als Mutterkorn. Die darin enthaltenen Alkaloide weisen eine hohe Giftigkeit auf. Die Einnahme schon von geringen Mengen kann zu massiven Verengungen der Blutgefässe, in der Folge zu Durchblutungsstörungen bis hin zu Lähmungserscheinungen, Nekrosen oder Atem- und Herzstillstand führen. Andere Symptome sind Verwirrtheit und Halluzinationen – also eine Veränderung der Wahrnehmung. Aus dem Mittelalter sind Epidemien mit tausenden von Toten bekannt, die man auf Vergiftungen durch Mutterkorn zurückzuführen kann. Die Menschen hatten es ahnungslos mit Roggenbrot gegessen.

Die Erkrankung erhielt sogar einen eigenen Namen: St. Antoniusfeuer oder Ignis sacer und sie galt als Strafe Gottes. Die im Mutterkorn enthaltenen wasserlöslichen Lysergsäurealkaloide spielten in berauschenden Getränken eine Rolle bei Riten im alten Griechenland – und bei der Entwicklung von LSD. Roggen wurde nun in der Pfahlbauzeit noch nicht angebaut. Mutterkorn kann seltener auch auf anderen Getreidearten auftreten. Pfahlbauer*innen konnten daher bewusst oder zufällig auf einen (Horror-)Trip gegangen sein.

Mutterkornpilz an Gerste.

Zum Rauchen vors Dorf

Heute würde im Pfahlbaudorf ein striktes Rauchverbot herrschen. Die Dörfer brannten oft genug ab. Ob unvorsichtige Raucher*innen schuld daran waren, wissen wir jedoch nicht. Tabak gab es mit Sicherheit noch keinen. Aber wie wäre es z. B. mit Waldrebe (im Schweizerdeutschen auch bekannt als Niele)? Oder ein paar getrockneten Blättern der Brombeere? Geschmacklich überzeugt beides nicht und auch der Rauschzustand ist vermutlich eher eine Einbildung. Zumindest erging es manch einem als halbstarke Jugendliche wohl so beim Paffen im Wald.

Waldrebe (Niele) kann man rauchen, muss aber nicht.
Portrait Franziska Pfenninger
Archäofacts

Informationen des Deutschen Archäologischen Institutes zu Göbekli Tepe.

Interview mit dem Archäologen Jens Notroff zu den Gelagen in Göbekli Tepe.