Fasnachtschüechli, Krapfen, Schenkeli und die badischen Scherben haben eines gemeinsam: Sie werden mit Schmalz oder in Fett gebacken. Das Ostergebäck enthält dagegen reichlich Milch, Butter oder Sahne, dazu gibt es Ostereier und Osterlämmer. Dazwischen liegt die Fastenzeit. Das ist kein Zufall: Spätwinter und Vorfrühling waren traditionell diejenigen Jahreszeiten, in denen das Nahrungsangebot am stärksten eingeschränkt war. Vermutlich haben schon die Pfahlbauer*innen die erste Frischmilch und alles, was man daraus herstellen kann, begeistert verarbeitet.
Früher hatten Kühe eine Pause
Heute ist Milch jederzeit und in jeder benötigten Menge verfügbar. Natürlicherweise bekommen Kühe den Nachwuchs aber wie Schafe und Ziegen im zeitigen Frühjahr, dann kann das neugeborene Kalb die erste Zeit von der Milch leben und, wenn das neue Gras hoch gewachsen ist, zum Weiden übergehen. Die produzierte Milchmenge der Kuh nimmt über den Sommer ab, dabei wird die Milch immer fettreicher. Spätestens im Spätherbst und Winter steht die Kuh trocken und erholt sich für die nächste Runde. Heutige Hochleistungs-Milchkühe geben bis zu 10´000 Liter Milch im Jahr, und das fast durchgehend. Das funktioniert nur mit reichlich Zufütterung von Kraftfutter. Nach sieben Jahren sind diese Hochleistungs-„Maschinen“ ausgelaugt und werden geschlachtet. Heutige alte Landrassen wie die „Hinterwälder“ aus dem Schwarzwald geben zwar viel weniger Milch, können dafür aber über 25 Jahre alt werden.
Kühe waren viel kleiner als heute
Vor dem Beginn der Hochleistungszucht im 19. Jhd. n. Chr. gaben die Kühe in Europa durchschnittlich nur 500 bis 600 Liter Milch im Jahr, und davon brauchte das Kalb etwa die Hälfte bis zwei Drittel. Das vermittelt uns eine gute Vorstellung, wie Pfahlbauers Kühe ausgesehen haben dürften. Tatsächlich haben die Auswertungen von Rinderknochen aus Feuchtbodensiedlungen gezeigt, dass die Kühe sehr klein waren und in manchen Zeiten kaum über einen Meter Widerristhöhe erreichten (Horgen Zürichsee: 102,5 cm; heutiges Deutsches Holstein Rind: 145-156 cm). Milch gaben sie vermutlich vor allem für ihr Kalb.
Für den eigenen Verzehr stand den Pfahlbauern also nur wenig Milch pro Kuh zur Verfügung, und das nur im Frühjahr und Sommer. Milch ist ein leicht verderbliches, zugleich aber protein- und fettreiches Lebensmittel. Und gerade im kargen Frühjahr, wenn die nächste Ernte noch in weiter Ferne lag und die letzten Vorräte zur Neige gingen, waren Milch, Frischkäse oder Sahne in der Suppe sicher hochwillkommen.
Gute und schlechte Bakterien
Frischmilch kann allerdings schon beim Melken durch Keime kontaminiert werden und ist extrem anfällig für Bakterien. Dabei gibt es gute Bakterien, die die Milch in Joghurt, Quark oder Dickmilch umwandeln, und schlechte, die ungesund sind. Bei warmen Temperaturen ist die Milch schon nach spätestens zwei Tagen ein einziger Bakterien-Brutkasten. Deshalb ist heute im Supermarkt keine unbehandelte Rohmilch mehr erhältlich. Durch Abkochen der Frischmilch oder Erhitzen auf mindenstens 70 Grad und anschliessendes Zusetzen der gewünschten Bakterien kann man die Milch dann in eine schier endlose Palette von länger lagerfähigen Milchprodukte verwandeln. In meterlangen Kühlregalen im Supermarkt haben wir die Qual der Wahl: Dickmilch, Sauermilch, Buttermilch, Butter, Sahne, Crème fraîche, Blanc battu, Quark, Joghurt, Schmand, Ricotta, Frischkäse, Mozzarella sowie zahlreiche Sorten von Weich- und Hartkäsen.
Dank Zimmertemperatur zum Weichkäse
Einige Bakterien wollen es dabei ziemlich warm, damit sie aktiv werden, z.B. die üblichen Joghurtbakterien, die am besten bei 35-45 Grad gedeihen, man muss also die Milch etwas erhitzen. Andere wachsen schon bei Zimmertemperatur ganz vergnüglich und verwandeln die Milch nach und nach in Sauermilch, aus der man dann Frisch- und Weichkäse machen kann. Wie das genau funktioniert, erfahrt ihr im nächsten Blog. Vom Pfahlbauer-Joghurt müsst ihr euch aber gedanklich schon mal verabschieden, denn Joghurt-Produzenten wie Streptococcus thermophilus und Lactobacillus bulgaricus kommen im Alpenraum nicht vor, sondern – wie der Name schon sagt – im wärmeren Südosteuropa. Joghurt wurde als Milchprodukt in Mitteleuropa erst im frühen 20. Jhd. eingeführt.
Verarbeitete Milchprodukte haben nicht nur den Vorteil, dass sie lager- und transportfähig sind, sondern einige davon ermöglichen auch Erwachsenen mit Laktose-Unverträglichkeit den Verzehr. Sie sind durch die Milchsäuregärung quasi schon ausserhalb des Körpers vor-verdaut und führen daher nicht mehr zu Blähungen oder anderen unangenehmen Begleiterscheinungen im eigenen Darm. Von DNA-Untersuchungen jungsteinzeitlicher Menschen wissen wir, dass Laktose-Unverträglichkeit weit verbreitet war, z.B. bei Ötzi.
Pfahlbauer-Käse?
Zur Herstellung von Milchprodukten braucht man kaum spezielle Gerätschaften. Formen, aus denen die Molke ablaufen kann, können einerseits Siebgefässe sein, andererseits genügt auch ein Holzrahmen mit eingelegtem Stoff, Farn oder Blättern auf einem Brett als Abtropfform. Zum Aufbrechen der Käsemasse bei der Hartkäseproduktion braucht es ein geeignetes Werkzeug, z.B. den historisch belegten „Milchquirl“. Um die eingedickte Käsemasse vom Topf in die Form zu bekommen, verwendet man am besten ein Tuch.
Welche Produkte die Pfahlbauer*innen aus Milch tatsächlich herstellten, wissen wir nicht. Was man finden kann, sind Siebgefässe und Holzobjekte wie den Milchquirl. Ob sie diese Objekte aber zur Käseherstellung verwendet haben oder für den Griessbrei oder das Haselnussmus – oder ob sie gar multifunktional waren – ist meist nicht belegbar. Nachgewiesen sind Milchfette in Keramiktöpfen, die zumindest dafür sprechen, dass Milch (oder Sahne) gekocht oder erhitzt wurde. Offensichtlich wussten schon die Menschen in der Jungsteinzeit, dass man die Milch besser gleich abkocht, und vielleicht hatten sie auch schon ihr Lieblings-Frischkäserezept oder konnten noch im Winter auf den Topf mit Butterschmalz zurückgreifen.
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