Rund um die Alpen haben Archäolog*innen in den Pfahlbauten nicht nur Grundnahrungsmittel gefunden, sondern auch Pflanzenarten, die als Rausch- und Genussmittel genutzt werden konnten wie z. B. Mohn. Ob man in der Jungsteinzeit und Bronzezeit bewusst bewusstseinsverändernde Stoffe konsumiert hat, ist kaum nachweisbar. Ein Getränk, das aus unserem heutigen Alltag gar nicht mehr wegzudenken ist, gab es aber ziemlich sicher schon: Bier.
Bier ist nahrhaft, man kann es einfach herstellen und es erheitert die Gemüter. Die allgemein gehaltene Definition für Bier lautet: Es ist eine alkoholhaltige Flüssigkeit aus gekeimten, zerkleinerten und fermentierten stärkehaltigen Pflanzenbestandteilen. Das können Getreide sein, aber auch Mais, Bananen oder Kartoffeln. Da man für die Bierherstellung lediglich Getreide, Wasser und einen Topf braucht, war es den Pfahlbauer*innen eigentlich problemlos möglich, selber Bier herzustellen.

Gerste, Wasser, Topf – fertig ist das Brau-Set
Gerste war eine der wichtigsten Kulturpflanzen bei den Pfahlbauer*innen. Das Getreide verarbeitete man zu allen möglichen Endprodukten. Wenn die Lagerung mal nicht sachgerecht war und das Getreide zu keimen anfing, war das noch kein Unglück. Im Gegenteil: Durch die Keimung wird die Stärke im Getreide in kleinere Moleküle umgewandelt, sogenannte „Mehrfachzucker“ wie z. B. Maltose. Wie der Name schon sagt, schmeckt das Ergebnis süsslicher als ungekeimtes Getreide. Gekeimtes und wieder getrocknetes Getreide bildet heute noch die Grundlage für Getränke (Malzbier, Malzkaffee) oder Süssigkeiten (Ovomaltine, Bayerisch Blockmalz). Es kann wie ungekeimtes Getreide gekocht, getrocknet, gemahlen oder zu Flocken verarbeitet werden.

Giesst man das Malz mit Wasser auf und lässt es eine Weile stehen, kommt es zur Gärung oder Fermentation. Diese erfolgt durch natürlich vorkommende Bierhefen oder Milchsäurebakterien, die bei unterschiedlichen Temperaturen aktiv sind. Wie die „Zimmertemperatur“ in einem Pfahlbauhaus so war, wissen wir zwar nicht – vermutlich keine 22 Grad wie heute – aber um eine Gärung von zerkleinertem Getreide in Gang zu setzen, hat sie sicher ausgereicht. Der gleiche Prozess macht aus Mehl Sauerteig und aus Rohmilch Käse.
Craft Beer nach Pfahlbauer*innen-Art
Obwohl Bier nach dem Genuss rückstandsfrei verdaut wird, bestehen Chancen, die Bierherstellung in prähistorischen Zeiten zu belegen: Dann nämlich, wenn das Bier ungefiltert war und beim Dorfbrand im Topf verkohlte. Zugegeben, diese Kombination von Umständen ist ein seltener (Un-)Glücksfall, aber genau das ist beim Nachweis des vermutlich ältesten Bieres in Mitteleuropa passiert. Den unförmigen, schwarzen Klumpen aus der Pfahlbausiedlung Hornstaad-Hörnle (D) am Bodensee hielten die Finder*innen zuerst für einen verkohlten Rest von Getreidebrei.

Rasch war klar, dass es sich um zerkleinerte Gerste handelte. Mit Hilfe von neu entwickelten Methoden und einem Laser-Scan-Mikroskop gelang es den Forscher*innen sogar zu beweisen, dass die Körner zuerst gekeimt waren, danach zerkleinert wurden und schliesslich mit Flüssigkeit aufgegossen in einem Kochtopf schwammen; just zu dem Zeitpunkt als 3910 v. Chr. die Siedlung abbrannte.

Die alles entscheidende Frage aber bleibt offen: Hat die Flüssigkeit bereit Alkohol enthalten oder nicht? Darf man nun von Bier sprechen oder war dies nur ein Malheur bei der Zubereitung von Gerstenbrei? Unserer Meinung nach sprechen genügend Indizien dafür, dass die Pfahlbauer*innen von Hornstaad in besagtem Topf gezielt ein leicht berauschendes Getränk zubereitet haben und damit das produzierten, was wir heute als Bier in allen seinen Geschmacksrichtungen konsumieren. Dafür sprechen auch Reste von gekeimter und anschliessend zerkleinerter Gerste in Gefässen aus den Pfahlbaustationen Sipplingen-Osthafen (D) und Zürich-Parkhaus Opéra (CH). Die Forschung ist hier erst ganz am Anfang und wir erwarten in Zukunft viele weitere Bier-Nachweise. Vielleicht gab es nicht nur Gerstengetränke, sondern auch Bier aus anderen Getreidearten. In der Bronzezeit käme zum Beispiel Hirsebier in Frage.

Hopfen und Malz, Gott erhalt’s
Interessanterweise kennen wir aus der Jungsteinzeit nicht nur den Biertopf im Pfahlbauhaus, sondern auch Nachweise von Hopfen (Humulus lupulus) aus Pollenprofilen. Der Echte Hopfen ist besonders häufig in feuchten Auenwäldern anzutreffen – sozusagen vor der Haustüre der Pfahlbauer*innen. Ob diese einheimische Pflanze im Bier landete, wissen wir nicht, denn Hopfen-Sprossen kann man auch als Gemüse essen. Historisch überliefert sind allerlei andere Pflanzen, die als Gewürz ins Bier kamen, etwa Fichtensprossen, Beifuss, Minze, Wacholder oder Schafgarbe.

Vielleicht haben sich die Pfahlbauer*innen abends am Feuer tatsächlich auf ein Bier getroffen, um nach getaner Arbeit auf den Feierabend anzustossen. Vielleicht wurde es auch bei Ritualen eingesetzt. Vielleicht gönnen wir uns heute Abend einfach selber ein Bier und stellen uns vor, was die Pfahlbauer*innen dazu gegessen hätten. Anregungen findest du bei unseren Rezepten genug. Und für ganz Wagemutige gibt es im Internet jede Menge Anleitungen, um Bier zuhause selbst herzustellen.
Archaeofacts
Bier – Die Anfänge. Archäologie in Deutschland, 2021, 1.
Heiss, A. G./Berlhuete Azorín, M./Antolín, F. et al. (2000) Mashes to Mashes, Crust to Crust. Presenting a novel microstrucutral marker for malting in the archaeological record. PLOS ONE 15, 5. DOI: doi.org/10.1371/journal.pone.0231696
Ebersbach, R./Marinova-Wolff, E./Heiss, A. G. (2001) 6000 Jahre altes Gerstenmalz aus Hornstaad – Bioarchäologischer Nachweis für das älteste Bier in Europa? Plattform 28/29, 2019/20, 127-132.
Beitrag zu den verschiedenen Hefen, die zu Alt- oder Lagerbieren führen.
3D-Scan des verkohlten Bierrests aus Hornstaadt-Hörnle.