Hefewürfel, wie sie während dem Corona-Lockdown im Frühling 2020 heiss begehrt waren, kannten die Pfahlbauer*innen nicht. Es gibt jedoch andere Backtriebmittel, deren Ausgangsprodukte wir heute im Supermarkt vergeblich suchen, an die Herr und Frau Pfahlbauer aber mit Leichtigkeit kamen: Horn, Asche, wilde Hefepilze und Milchsäurebakterien.
Die Pfahlbauer*innen assen nicht einfach nur Fladenbrote aus Mehl und Wasser, sondern schätzten bereits Brote, die aussen knusprig, innen weich und würzig waren. Weshalb wir Archäolog*innen das wissen und wie so ein Pfahlbaubrot aussah und schmeckte, erfahrt ihr in zwei Wochen.
Die Schwierigkeit oder Herausforderung der prähistorischen Archäologie, also der Geschichte vor der Schrift, ist folgende: Wie schliesst man anhand von Indizien der archäologischen Funde auf die frühere Lebensweise? Dabei gehen wir in der Zeit zurück, hangeln uns dem Faden der Geschichte entlang und versuchen, die Ursprünge einer Technologie oder die Herkunft eines neuen Materials aufzuspüren. Wo also liegen die Ursprünge der Hefe, die heute das gängigste Backtriebmittel ist?
Früher kam die Hefe vom Bierbrauen
Hefe ist ein einzelliger Pilz, der Zucker in Alkohol und Kohlenstoffdioxid umwandelt und damit Teige auflockert und aus Gerstensaft Bier entstehen lässt. Heute wird Hefe in Reinkultur gezüchtet. Noch bis ins 19. Jahrhundert verwendeten die Bäcker*innen Hefe vom Bierbrauen. Der römische Schriftsteller Plinius der Ältere schreibt in seiner naturalis historia um 77 nach Christus von den Galliern und Hispaniern, die den Schaum eines Weizengetränkes zum Backen verwenden und damit luftigeres Brot als andernorts backen. Beides Hinweise, die lange nach der Zeit der Pfahlbauer*innen schriftlich festgehalten wurden. Tatsächlich gibt es bereits aus der Pfahlbauzeit Hinweise auf vergorenen Gerstensaft und damit indirekt auch auf Hefepilze. Wie von Plinius beschrieben, könnte der Schaum, der beim Gären entsteht, bereits bei den Pfahlbauer*innen dem Brotteig zugesetzt worden sein.
Sauer macht luftig
Zugegeben, diese Herleitung ist sehr hypothetisch, und die Verwendung von Hefe bei den Pfahlbauer*innen steht auf ganz wackligen Füssen. Da ist Sauerteig als altbewährtes Triebmittel um einiges unkomplizierter: Mehl mit Wasser mischen, warten, bis es schäumt und zunächst eher übel, dann allmählich angenehm säuerlich riecht. Dies ist der Verdienst von überall natürlich vorkommenden Milchsäurebakterien und wilden Hefepilzen. Die Milchsäurebakterien dominieren über die Hefe und halten andere Bakterien in Schach, was schon mal ein grosser Pluspunkt für den Sauerteig ist, in Zeiten, wo Hygiene noch ein Fremdwort war. Ob die Pfahlbauer*innen diese Methode schon nutzten, konnte man bisher nicht direkt nachweisen. Über die Ursprünge von Sauerteig gibt es ganz verschiedene Angaben. Heute ist der gehaltvolle, säuerliche Roggenlaib der Inbegriff von Sauerteigbrot. Die Getreideart Roggen war den Pfahlbauer*innen jedoch noch nicht bekannt. Die Methode funktioniert aber auch mit anderen Mehlsorten. Im Internet und in Backbüchern findest du fast unbegrenzte Möglichkeiten zum Backen mit Sauerteig und auch, wie man einen Roggensauerteig zu pfahlbaukonformem Weizen- oder Einkornsauerteig „umzüchtet“. Wer hat den Mut, daraus ein Sauerteigbrot zu backen? Wir sind gespannt auf deine Brotrezepte.
Mit Hirschhornsalz backt man heute noch
Für das dritte in Frage kommende Triebmittel erlege man einen Hirsch, zerkleinere Haut und Klauen und destilliere diese. So einfach geht die Herstellung von Hirschhornsalz. Unter diesem Namen findet man das Triebmittel heute noch in der Backwarenabteilung. Der Begriff ist etwas irreführend: Er lässt vermuten, dass Hirschhornsalz aus den imposanten Hirschgeweihen hergestellt wurde. Dieses besteht jedoch aus Knochen und nicht aus Hornsubstanz, wie unsere Haare, Haut und Nägel oder die Hörner von Rind, Schaf und Ziege. Mittlerweile wird Hirschhornsalz sowieso nicht mehr aus Horn, sondern synthetisch hergestellt. Das Backtriebmittel kommt bei Lebkuchen, Spekulatius oder Springerle/Anisbrötli zum Einsatz, lockert die flachen Gebäcke auf und verlängert deren Haltbarkeit. Es eignet sich hingegen nicht für Brotlaibe oder Kuchen; beim Backen entsteht Ammoniak, der zwar aus flachen Backwaren entweicht, sich in grösseren Mengen Teig aber als unangenehmer Geschmack nach altem Urin festsetzt. Assen also schon die Pfahlbauer Anisguetzli, beziehungsweise in Ermangelung von Anis Kümmel- oder Dillguetzli? Haut, Klauen und Rinderhorn fielen beim Schlachten oder bei der Jagd sowieso an. Und sogar das Destillieren hatten die Pfahlbauer im Griff. Dieser chemische Umwandlungsprozess gilt als einer der ältesten, den die Menschen nutzten. Er ist bislang aber nur für die Herstellung von Birkenpech aus Birkenrinde nachgewiesen, dem Alleskleber der Urgeschichte. Hirschhornsalz konnten sie vor über 5000 Jahren also im Prinzip schon herstellen. Belege dafür gibt es leider keine.
Asche lockert den Teig
Handeln wir zum Schluss noch die Asche ab, oder genauer genommen, Pottasche. Sie wird erzeugt durch Auswaschen von Holz- oder Pflanzenasche mit Wasser. Der Auszug wird anschliessend in Pötten (Töpfen) gesotten, bis als weisses Konzentrat die Pottasche übrigbleibt. Beim Backen reagiert diese mit Wasser und Säure und setzt Kohlenstoffdioxid frei, was den Teig lockert. Gleichzeitig schwächt Pottasche den Kleber, der im Mehl enthalten ist, weshalb die Teige eher in die Breite, als in die Höhe gehen. Die Lösung ist die Kombination von Pottasche und Hirschhornsalz. Pottasche ist ausserdem fast ein Alleskönner: Mit ihr kann man Eis auftauen, Angebranntes aus Töpfen entfernen, Wäsche waschen, Farbe anmischen oder – schon wieder – Lebkuchen backen.
Hirschhornsalz, Pottasche oder Sauerteig: Mach das Backen ohne Hefe zu deiner nächsten Challenge!
Vielen Dank an Andreas Heiss für die fachlichen Inputs zu diesem Blogbeitrag.
Tipps
Lutz Geissler. Brotbackbuch Nr. 4. Backen mit Sauerteig. Verlag Eugen Ulmer, 2019.
Bier – Die Anfänge. Archäologie in Deutschland 01/2021.
Wissenschaftlicher Artikel von A. G. Heiss, M. Berihuete Azorín, F. Antolín et al. (2020) zum Nachweis von Malz in archäologischen Funden.