Festessen mit Kartoffeln und Fleisch im Rotweinsösschen, zum Nachtisch Vermicelles, und ein anständiger Kirsch als Digestif? Das wäre bei Pfahlbauers nicht auf den Tisch gekommen, denn diese Nahrungsmittel gab es vor über 5000 Jahren in unserer Region noch nicht.
Die Römer brachten den Wein, Kolumbus die Pommes
Von vielen heute sehr beliebten Grundnahrungsmitteln wissen wir ziemlich genau, wann, von wo und wie sie Europa erreichten. Ein ganzer Schwung an neuen Arten kam vom amerikanischen Kontinent und wurde erst ab 1492 n. Chr. bei uns gebräuchlich. Dazu gehören z.B. Kartoffeln, Reis, Mais, Tomaten, Tabak, Paprika, Kürbis, Sonnenblumen und Kakao. Aber auch die Römer brachten schon zahlreiche neue Pflanzenarten ins nördliche Alpenvorland, von denen einige dann hier weiter gediehen, z.B. (Ess-) Kastanien, Weinreben, Walnüsse und viele Obstarten.
«Kulturschicht» als Fundgrube
Die Siedlungen der Pfahlbauer*innen befanden sich in der Flachwasserzone der Seen oder in Mooren. Fielen Abfälle an, so landeten sie unter oder neben den Häusern im feuchten Untergrund. Dort ist die Zersetzung der Reste durch den fehlenden Sauerstoff sehr viel langsamer als bei archäologischen Fundstellen ohne Feuchterhaltung. Überdauert haben alle Arten von Resten, ein Sammelsurium aus Kompost, Müll, Bauschutt (Ruinen) und menschlichen und tierischen Fäkalien. Mülltrennung gab es noch nicht. Die braunen Lagen von Steinzeit-Müll nennen die Archäolog*innen beschönigend „Kulturschicht“. Und dieser Name ist Programm: Fast alles, was wir heute über das Leben der Pfahlbauer*innen wissen, lässt sich anhand der sehr gut erhaltenen Reste aus diesen Kulturschichten erforschen.
Alle nachgewiesenen Tier- und Pflanzenarten in den Kulturschichten, die nicht natürlicherweise vor Ort (also am Siedlungsstandort) vorkommen, wurden von den Menschen oder ihren Haustieren ins Dorf gebracht. Und für jede Art gab es natürlich einen Grund. Die spannende Frage ist: welchen? War die Haselnuss Nahrungsmittel, Baumaterial, Viehfutter oder Brennholz? Oder alles gleichzeitig? Vermutlich Letzteres.
Essensreste
In gut erhaltenen Fundstellen konnten Archäobotaniker*innen mehrere hundert verschiedene Pflanzenarten identifizieren, von denen viele essbar sind. Die Forscher*innen machen dies anhand von verkohlten oder unverkohlten Samen, Früchten oder Nüssen. Viel schwieriger nachweisbar sind hingegen weiche Pflanzenteile wie fleischige Blätter, Stängel und Wurzeln. Sie zersetzten sich rasch oder werden von Tier und Mensch vollständig verdaut.
Hier hilft die Pollenanalyse weiter. Blütenstaub, vom Winde verweht, lagert sich auf dem Wasser ab und wird dadurch in den Seesedimenten über Tausende von Jahren archiviert. Die winzig kleinen Pollenkörner können von Archäobotaniker*innen bestimmt und daraus der Bewuchs an Bäumen und anderen Pflanzen im Umfeld der Pfahlbauten rekonstruiert werden.
Manche Nahrungsgruppen sind trotz aller moderner Methoden kaum zu fassen, dazu gehören Pilze, Schwämme und Flechten. Auch Salz oder Honig lassen sich schlecht nachweisen.
Zum Abendessen Frosch
Vom Rinderbraten und der Schweinehaxe blieben nur die Knochen übrig. Diese genügen den Archäozoolog*innen, um die Tierarten zu bestimmen, das Schlachtalter und sogar, wie die Tiere zerlegt wurden. Herbstliche Schlachtplatte, Schafe zur Woll- oder Fleischproduktion, überjagte Hirschpopulation? All das lässt sich aus den Knochen herauslesen. Schnitt- und Schlagspuren sowie angekohlte Enden von Tierknochen zeigen, wie die Fleischstücke tranchiert und zubereitet wurden. Man war da nicht wählerisch: Zu manchen Zeiten und in manchen Regionen wurden Hunde, Singvögel und sogar Frösche gegessen!
Angebrannter Griessbrei
Mit dem Beleg einer Pflanzen- oder Tierart ist das Forschungspotential aber noch nicht erschöpft, und von der Rohware bis zum fertigen Gericht ist es ein weiter Weg. Die Schritte dorthin haben ebenfalls Spuren hinterlassen.
Die Getreideaufbereitung hinterlässt charakteristische Abfälle, welche die Archäobotaniker*innen erkennen und zuordnen können, z.B. Dreschreste oder Siebabfälle. Pfahlbauten wurden häufig durch Dorfbrände zerstört. Was für die damaligen Menschen sicher eine Katastrophe war, ist für die Forschung ein Glücksfall: In den abgebrannten und verlassenen Hausruinen finden sich manchmal verkohlte Vorräte, darunter nicht nur Hunderte von Kilogramm Getreide, sondern auch Samen und Früchte von eingelagerten Wildpflanzen.
Gerichte selbst oder direkte Belege, was in welcher Form gegessen wurde, haben sich allerdings nur selten und meist in zwei Formen erhalten: vor und nach dem Verzehr. Relativ häufig, aber schwierig zu analysieren, sind angebrannte Speisereste in der groben Kochkeramik. Forschende konnten Breie oder Eintöpfe auf Getreidebasis mit verschiedenen Zutaten nachweisen, z.B. Fisch, Äpfeln oder Eicheln. In Ausnahmefällen findet man Gebäckreste oder verkohlte Breifragmente.
Eher selten, aber auch sehr spannend sind die Nachweise von Essensresten nach dem Verzehr, also in den Fäkalien. Es ist nicht einfach zu bestimmen, ob ein Kothäufchen von Mensch, Hund oder Schwein stammt – aber die DNA hilft weiter. Im menschlichen Kot findet man nicht nur das mit Absicht Verzehrte, sondern auch die Reste diverser anderer – meist unliebsamer – Mitbewohner wie z.B. den Fischbandwurm oder den Leberegel. Sogar kleine Knochensplitter stecken da und dort in den menschlichen Fäkalien.
Wissenschaft, die durch den Magen geht
Die Zutaten in unseren Rezepten beruhen auf all diesen Nachweisen essbarer Pflanzen und Tiere. Wir gehen davon aus, dass die Pfahlbauer*innen ihre Umwelt so gut kannten, dass sie alles, was in der jeweiligen Zeit und Region vorkam und essbar war, auch wirklich verzehrt haben (könnten).
Lass dich inspirieren von den Pfahlbauer*innen. Was kochte man vor Kolumbus und den Römern? Welche wirklich einheimischen Pflanzenarten wachsen vor deiner Haustür? Welche der prähistorischen Lebensmittel hast du in deinem Kühlschrank oder Vorratskasten? Wir gehen ein ganzes Jahr lang auf Entdeckungsreise durch die Pfahlbauerküche.