Hast du schon einmal eine Handmühle bedient? Dann weisst du, dass das Verhältnis von Aufwand und Ertrag bescheiden ist. Rund zwei Stunden dauert es, um ein Kilogramm Getreidekörner zu Mehl zu verarbeiten. Dieser Kraftakt hinterliess wortwörtlich Spuren an den Pfahlbauerinnen. Ausnahmsweise ist der Pfahlbauer hier nicht mitgemeint, denn es waren hauptsächlich die Frauen, die diese Arbeit erledigt haben.

Durch Mark und Bein

An weiblichen Skeletten aus der Jungsteinzeit gibt es zwei Auffälligkeiten, die auf stundenlanges Getreidemahlen zurückzuführen sind: Hockerfacetten und kräftige Oberarme. Hockerfacetten sind Knochenverdickungen im Sprunggelenk. Sie entstehen durch sehr häufiges Kauern auf den Knien oder den Fersen, wie dies eben beim Getreidemahlen am Boden der Fall ist.

Mahlen statt Fitnessstudio

Forscher*innen der Universitäten Cambridge, London und Wien haben Oberarmknochen jungsteinzeitlicher Frauen vermessen. Dabei stellte sich heraus, dass sie um 11 bis 16 Prozent stärkere Knochen hatten als heutige Athletinnen des Cambridge-Ruderteams. Der Umfang und die Robustheit der Knochen nehmen durch körperliche Belastungen zu. Neben dem Rudern mit dem Einbaum, dem Herumschleppen von Kindern und dem Hochheben von schweren Kochtöpfen, dürfte bei den Frauen der Jungsteinzeit vor allem das Getreidemahlen der Grund dafür sein. Vermutlich haben sie damit schon als Kinder angefangen. Mehl mahlen war also Frauensache. Fitnessstudio und Hanteltraining? Brauchten sie nicht.

Mehl mahlen am Mahlstein.

Mahlgrad früher und heute

Heute werden aus Brotgetreide Dutzende verschiedene «Mahlprodukte» hergestellt, nicht nur unterschiedliche Mehlarten, sondern auch Schrot oder eben Griess. Die fast schon verwirrende Vielzahl der Erzeugnisse wird allen bewusst, die im Supermarkt vor dem Regal stehen, oder wenn im Rezept ein ganz bestimmter Typ Mehl gefragt ist. Je niedriger die Typen-Zahl, desto weniger ist vom ganzen Korn enthalten. In einem Weissmehl vom Typ 550 steckt nur das Innerste vom Getreidekorn, in einem Ruchmehl sind immerhin noch bis zu 85 % des ganzen Korns enthalten. Wie hielten es die Pfahlbauer*innen? Kannten sie nur Ruchmehl? Normierte Mahltypen gab es sicher nicht. Dennoch lassen sich mit den damals zur Verfügung stehenden Gerätschaften verschiedene Produkte herstellen. Handmühlen gehörten zum typischen Hausinventar; sie standen in oder direkt vor den Häusern. Man streute die Körner auf die schweren, grossen Steinplatten und verrieb sie mit einem kleineren Reibstein. Vom groben Schrot bis zum feinen Mehl lassen sich so alle Mahlgrade mit mehr oder weniger Aufwand herstellen.

Geschirr und Mahlstein aus dem Pfahlbau in Eschenz, CH. © AATG

Erst mahlen, dann sieben

Durch Sieben trennt man danach die feinen von den groben Bestandteilen. Im Sieb zurück bleiben Griess – kantige, grössere Stückchen – und Kleie, Rückstände von Schale, Randschicht und Keimling der Körner. Siebe hat man an verschiedenen Orten gefunden, zum Beispiel in Hornstaad am Bodensee. Die Versuche der Experimentalarchäologin Anne Reichert, mit einem nachgemachten Sieb Mehl zu sieben, verliefen nicht sehr überzeugend. Andererseits fanden Archäolog*innen in der Grabung Parkhaus Opéra in Zürich in der Nähe von Mahlsteinen Anhäufungen von Kleie als Hinweis auf eine Reinigung. Dass auch Vollkornprodukte verzehrt wurden, beweisen wiederum Kleierückstände als unverdauliche Bestandteile in menschlichen Exkrementen. Es scheint also, dass die Pfahlbauer*innen sowohl feineres als auch vollwertigeres Mehl verwendet haben.

Replik eines Siebgeflechts aus dem Pfahlbau Hornstaad, DE. © Anne Reichert, bearbeitet

Brunchen wie die Pfahlbauer*innen

Neben den Mahlsteinen gibt es in Pfahlbausiedlungen auch sogenannte Schalensteine mit einer Vertiefung, die sich zum Zerkleinern von Lebensmitteln eignen. Denkbar ist darin die Herstellung von Schrot, also grob gequetschten Getreidekörnern, die man dem Mehl beimischen oder zu einem Brei verkochen kann. Oder Bulgur, vorgekochte Getreidekörner, die man anschliessend trocknet und zerkleinert. Auch gedämpfte Getreidekörner könnte man darin zu Flocken quetschen, wodurch sie leichter verdaulich sind. Es gibt viele Möglichkeiten, Getreide zuzubereiten; die Forschung dazu steckt erstaunlicherweise noch in den Kinderschuhen. Das Bild vom Getreideeintopf und dem grob gemahlenen Mehl haftet in den Köpfen. Von dieser festgefahrenen Vorstellung möchten wir uns lösen und mit unseren Rezepten zeigen, was auch möglich ist. Hilf uns, den Speiseplan der Pfahlbauer*innen zu erweitern!

Portrait Simone Benguerel
Portrait Renate Ebersbach
Portrait Katharina Schäppi
Tipps

Artikel zu den kräftigen Oberarmen jungsteinzeitlicher Frauen.

Artikel zu Grütze, Bulgur, Mehl und Griess.